PsychologieSchöner leben mit Ausreden

Lesezeit 5 Minuten
Silvio Berlusconi hat schon mit einigen Ausreden verblüfft. (Bild: rtr)

Silvio Berlusconi hat schon mit einigen Ausreden verblüfft. (Bild: rtr)

Vielleicht schleicht er sich heute Abend einfach heimlich dazu. Unauffällig reiht er sich in den Zug der Sünder ein, zieht mit ihnen durch die Stadt, versteckt unter einem Hasen-Kostüm oder einer Zorro-Maske. Oder er geht eben als Ex-Verteidigungsminister. Wer denkt heute schon, die Brille und der Armani-Anzug wären echt. Und wenn dann die Strohpuppe brennt, wird er am lautesten schreien: „Der Nubbel war's. Der Nubbel hat die verdammte Doktorarbeit geschrieben!“

Aber auch wenn Karl-Theodor zu Guttenberg nicht zur Nubbelverbrennung kommt, er macht trotzdem etwas, was nicht nur heute ganz viele tun - weil es so schön leicht ist: die Schuld erst mal irgendwo anders hinschieben. Eltern schieben sie auf Lehrer, Fußballer auf Trainer, Raucher auf den Stress, Schlechtgelaunte auf das Wetter. Schon Adam kannte für die Vertreibung aus dem Paradies nur eine Schuldige: „Eva war's!“ Die wiederum zeigte auf die Schlange: „Sie hat mich verführt!“

Konflike sind anstrengend

„Es ist ein menschliches Bedürfnis, erst mal an seiner Unschuld festzuhalten“, sagt die Psychologin Brigitte Roser, die das Buch „Das Ende der Ausreden“ geschrieben hat. Denn Konflikte auszutragen ist anstrengend und der Mensch eher bequem. Ausflüchte bringen Zeit. Zeit, um einen Anwalt anzurufen, doch mal in sich zu gehen oder einfach schnell abzuhauen.

Ohne Ausreden wäre der Alltag voller kleiner Konflikte. Sie seien sogar ein „wichtiges soziales Schmiermittel“, meint der Rechtspsychologe Professor Dietmar Heubrock. „Ausreden schaffen Gemeinsamkeit, indem ich mich nicht explizit gegen die Regeln einer Gruppe stelle.“ So sagt man eben: „Das Meeting war länger“, und nicht: „Ich lag auf der Couch, statt dich anzurufen.“

SMS enthalten besonders viele Ausreden

Solche Ausflüchte haben in den letzten Jahren laut einer Studie sogar noch zugenommen. Und wer ist daran schuld? Nein, doch nicht wir. Sondern: Handy, Blackberry und Internet. Demnach fänden sich die meisten Ausreden in SMS. Da die Nachrichten so kurz seien, erscheine einem auch die Lüge kleiner. Auf Platz zwei liegt die E-Mail. Auch hier falle es leichter, eine Notlüge zu finden. Die größte Chance auf ehrliche Eingeständnisse gebe es noch am Telefon.

Rosaroter SpiegelDie Ausrederei hat aber auch mit unserem Selbstbild zu tun. Wissenschaftler nennen es den „Rosaroten Spiegel". Am liebsten sehen wir uns positiv. Ein Wohlgefühl, das wir uns nicht so einfach nehmen lassen und für das wir vieles tun: die Wahrheit verbiegen oder verbergen, manchmal sogar vor uns selbst. „Die menschliche Selbsttäuschung gehört zur eindrucksvollsten Software, die je entwickelt wurde“, schreibt der amerikanische Erziehungswissenschaftler David Nyberg in seinem Buch „Lob der Halbwahrheit". „Wir versuchen eine Persönlichkeit zu kultivieren, die mit unseren Zielsetzungen übereinstimmt.“ Treibende Kraft dahinter sind auch die Menschen, die uns umgeben. Wir wollen ihre Anerkennung, ihr Wohlwollen, ihre Liebe. Wer sagt: „Ich habe einen Fehler gemacht“, fürchtet erst einmal Ablehnung.

Schlechtes Gewissen und Glaubwürdigkeit

Aber wann ist eine Ausrede okay und wann nicht? „Es gibt Konflikte, die muss man nicht eingehen, weil man Menschen schonen will“, sagt Psychologin Brigitte Roser. „Es kommt aber darauf an, ob die Vorteile überwiegen. Und da muss man ehrlich sein.“ Geht es darum, eine kriselnde Beziehung zu klären, ein Problem zu lösen, oder gibt es ein Opfer, das unter dem Verhalten leidet, verhindern Ausreden Veränderungen zum Besseren.

Die Schuld kann außerdem ein klebriger Geselle sein. So einfach abschütteln lässt sie sich nicht immer. Sie kommt zurück wie ein Boomerang. Das schlechte Gewissen pocht, erst leise, dann immer lauter, guckt morgens aus dem Spiegel, verlangt nach mehr als bloßer Verleugnung. „Wir tragen Verantwortung für das, was wir denken, reden und tun", sagt die evangelische Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, die zwischen Aschermittwoch und Ostern Ausreden fasten will. Die Aktion der evangelischen Kirche „Ich war's! Sieben Wochen ohne Ausreden“ ruft dazu auf, sich offen zu seinen Fehlern zu bekennen. Das könnte ungemütlich werden. Doch Beispiele wie der Rücktritt von Margot Käßmann nach ihrer Alkohol-Fahrt zeigen den Respekt, der denjenigen entgegenfliegt, die sich bekennen. Wer sich traut, „Mein Fehler“ zu sagen, wirkt menschlich. Auch Michel Friedman hat das nach seiner Kokain-Affäre getan und seine Aufgaben niedergelegt. „Ich tat es vor allem auch für meine innere Glaubwürdigkeit“, sagt er. Heute sei er mit sich im Reinen.

Mit Schuldgefühlen umgehen

Auch wenn es viele erst tun, wenn sie ertappt werden: Menschen haben das Bedürfnis, bei Fehlern einen Ausgleich zu schaffen. Ob sie nun mit gesenktem Kopf herumlaufen, ein Amt opfern oder zwei Monate den Spüldienst übernehmen. Etwas, das anderen zeigt, dass man sich seines Fehlers bewusst ist und ihn wiedergutmachen möchte.

Irgendwann ist es aber Zeit, Schuldgefühle loszulassen. Wer sich sein Leben lang für einen Fehler geißelt, verharrt in der Vergangenheit, kann davon sogar krank werden. Der Psychologe Ronald Melzack erforscht, wie Schmerzen von Nervenbahnen übertragen werden. Er fand heraus, dass Selbstvorwürfe und das Hadern mit Entscheidungen Schmerzen verstärken. Und der Psychologe Frederik Luskin gab an der kalifornischen Stanford-Universität 250 Personen Unterricht im Vergeben. Dabei stellt er fest, dass Stresssymptome wie Kopf- und Magenschmerzen bei den Teilnehmern abnahmen, Blutdruck und Puls sanken. Die Teilnehmer fühlten sich vitaler und optimistischer.Beim Sich-selbst-Verzeihen helfen Rituale: Wer seine Selbstvorwürfe aus sich rausredet, singt oder schreibt, hat bessere Chancen, sie loszulassen. Studien belegen, dass Personen, die aufschreiben, was sie belastet, danach angstfreier und leistungsfähiger sind. In vielen Kulturen schreiben Menschen ihre Sorgen auf, legen sie in kleine Garben und lassen sie auf einem Fluss davontreiben. „Wasser scheint eine heilsame Kraft zu haben, dadurch, dass es fließt“, sagt Brigitte Roser. Auch einen Luftballon mit einer Botschaft in den Himmel zu schicken kann befreien. Oder man sucht heute das nächste Feuer auf, stellt sich neben den Typ im Guttenberg-Kostüm und schreit lauthals: „Der Nubbel war's!“

KStA abonnieren