Nicht mehr ans OhrWarum halten so viele Menschen das Smartphone vor den Mund?

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Ins Handy sprechen

Viele Leute sprechen heute ins Smartphone, anstatt es sich ans Ohr zu halten.

Wer denkt, nur ihm sei aufgefallen, dass viele um ihn herum auf einmal so komisch telefonieren, kann beruhigt sein. Dr. Eike Wenzel vom Institut für Trend- und Zukunftsforschung bestätigt: „Es halten sich tatsächlich immer mehr Menschen das Smartphone vor den Mund.“ Das sei aber nicht nur bei jüngeren Menschen der Fall, es setze sich auch in die älteren Generationen fort. Aber warum?

Erst einmal gibt es viele praktische Gründe für diese Telefon-Haltung. Wer das Smartphone direkt mit dem unteren Ende vor das Gesicht hält, telefoniert entweder und hat ein Kopfhörer dabei im Ohr, oder er verschickt Sprachnachrichten. Denn es ist einfacher, einmal kurz ins Gerät zu sprechen, als alles per Hand zu tippen. Gerade jüngere Menschen nutzen die Funktion der Sprachnachrichten häufig lieber, als zu telefonieren. Ein Grund dafür ist auch, dass die Nachrichten vom Empfänger dann abgehört werden können, wenn er gerade Zeit dafür hat. Das geht schnell und kann auch unterwegs erledigt werden. Für ein Telefonat müsste man sich Zeit nehmen.

Das untere Ende, also die Sprechmuschel, dafür direkt an den Mund zu halten, kann außerdem für eine bessere Audioqualität des Gesprochenen sorgen.

Das Telefonverhalten hat sich verändert

Neben den rein praktischen Gründen, liegt die Ursache für die neue Telefon-Haltung aber auch darin, wie das Smartphone heute verwendet wird. „Wir Älteren sind so sozialisiert, dass das Gerät explizit zum Telefonieren da ist. Aber für viele junge Menschen hat es eine andere Bedeutung. Es ist im eigentlichen Sinne ein Taschen-Computer, der beiläufig benutzt wird, aber auch den kompletten Alltag organisiert. Deswegen halten sie das Gerät auch anders,“ erklärt Dr. Wenzel.

Viele Menschen können nicht nachvollziehen, dass man diese Gespräche nicht lieber tippt – der Privatsphäre zu Liebe.

Tatsächlich hat sich nicht nur die Telefon-Haltung, sondern auch das Telefon-Verhalten heutzutage geändert, erklärt Wenzel. „Wenn man früher in der Öffentlichkeit angerufen wurde, hat man den Kontext, in dem man sich befand, intensiver wahrgenommen. Die meisten haben dann leiser gesprochen. Das hat sich inzwischen stark aufgelöst“, erklärt er.

Die Menschen seien nicht so kontext-sensitiv wie früher. „Es ist ihnen oft egal, was um sie herum ist. Wir sind mit den Smartphone zu jeder Zeit alle kleine Öffentlichkeits-Punkte. Viele Menschen setzen das auch gezielt ein, stellen sich damit dar.“

Private Dinge in der Öffentlichkeit diskutieren – das gab es schon immer

Das ist erst einmal gewöhnungsbedürftig. Aber dass Menschen ihr Privatleben im Restaurant oder im Zug besprochen haben, das gab es schon immer. Nur früher saßen sie dabei mit anderen zusammen. Heute ist der Andere eben am Telefon oder durch die Kurznachrichten erreichbar.

Der Zukunftsforscher rät davon ab, diese Entwicklungen allzu negativ zu bewerten. „Man sollte es nicht kulturpessimistisch überformen und sagen: Früher war alles besser.“ Allerdings müsse man schon klar feststellen, dass sich die Öffentlichkeit durch die Handys stark verändert hat. „Aber dass wir jetzt alle zu Narzissten werden, die nicht mehr das direkte Gespräch suchen oder nicht mehr kommunizieren können, das ist Unsinn. Dafür gibt es keine faktische Gegebenheit.“

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