Neue Streitschrift„Wer sich heute für ein Kind entscheidet, muss verrückt sein“

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Denise Wilk und Alina Bronsky. Zusammen haben sie die „Abschaffung der Mutter“ geschrieben.

Der Ton in der Debatte um die Mutterschaft verschärft sich. Mit „Die Abschaffung der Mutter“ legen Alina Bronsky und Denise Wilk eine Streitschrift gegen die wachsende Bevormundung von Müttern vor. Die Autorinnen müssen wissen, wovon sie sprechen: Insgesamt haben sie zehn leibliche Kinder. Und sie haben den Vergleich. Ihr erstes Kind bekam Alina Bronsky vor 17 Jahren, ihr letztes erst vor kurzem. Wilk begleitet seit Jahren Familien bei Geburten. Was hat sich in den letzten Jahren verändert? Was macht das Muttersein für viele so schwer?  Wir haben Alina Bronsky zur Situation der Mütter interviewt und nach Lösungsansätzen gefragt.

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Bronsky, Wilk: Die Abschaffung der Mutter. Kontrolliert, manipuliert, abkassiert – warum es so nicht weitergehen darf, 17,99 Euro

Frau Bronsky, in Ihrem Buch schreiben Sie: „Wer sich heute als Frau für ein Kind entscheidet, der muss verrückt sein“. Sie haben selbst vier Kinder, ihre Co-Autorin sogar sechs. Sind Sie verrückt?

Vielleicht ein bisschen. Aber dieser Satz ist ein Zitat und fasst die Haltung gegenüber dem Kinderkriegen zusammen. Schwangerschaften werden wie ein Schritt in den Abgrund empfunden. Schließlich gilt es als ausgemacht, dass sie für die meisten Frauen einen sozialen und wirtschaftlichen Abstieg bedeuten.

Wer sein Kind zu früh in die Kita gibt ist eine Rabenmutter, „karrieregeil“, „egoistisch“, wer es fünf Jahre lang selbst betreut eine Glucke. Ist es das, was Sie mit dem großen Druck auf Mütter meinen?

Das mit der Rabenmutter hört man inzwischen deutlich seltener. Derzeit müssen sich eher Mütter rechtfertigen, die etwas länger zu Hause bei den Kindern bleiben wollen. Und das ist schon heftig, wenn man Frauen klar machen will, dass ihre Kinder es in der Krippe grundsätzlich besser haben – wegen vermeintlicher Bildungschancen.

Sie haben den Vergleich: Sie waren vor zwei Jahrzehnten schwanger und kürzlich noch einmal. Wo haben Sie Unterschiede festgestellt? Wie hat sich das Mutterbild verändert?

Obwohl ich bei der Geburt meiner ersten Tochter vor 17 Jahren erst 20 war, habe ich viel weniger Bevormundung erlebt, als es heute normalerweise der Fall ist. Ich will nicht sagen, dass alles sonnig war, aber mir wurde weder vermittelt, dass ich zum Tragen und Füttern meines Kindes einen Workshop brauche, noch, dass es grundsätzlich in Expertenhände gehört. Es gab auch keinen Druck, früh arbeiten zu gehen. Ich musste es allerdings trotzdem tun – und vermisse heute noch manchen verpassten Moment.

„Wer sich als Frau gegen eine Karriere entscheidet, hat keine Lobby.“ „Schwangere werden zu einem Gesundheitsrisiko für ihre Kinder gemacht.“ Haben wir in Ihren Augen ein Mütter- oder ein Gesellschaftsproblem?

Mütter sind ja Teil der Gesellschaft, das kann man schlecht trennen. Wir haben in unserem Buch zehn Kapitel, die sich chronologisch mit zehn Phasen der Mutterschaft beschäftigen, die sehr unterschiedlich sind – von der Reproduktionsmedizin bis zur Berufstätigkeit. Und wir haben festgestellt, dass es in all diesen Bereichen ähnliche Tendenzen gibt. Insofern scheint ein System dahinter zu sein.

Die Abschaffung der Mutter: Was soll denn das bedeuten?

Was meinen Sie denn, wenn Sie von der „Abschaffung der Mutter“ sprechen?

Wir haben eine neue Haltung gegenüber Müttern ausgemacht, die sie erstens als inkompetent, zweitens als leicht zu ersetzen behandelt. Wenn man das verinnerlicht hat, könnte man zu der Einsicht kommen, Mütter seien gar nicht so wichtig. Die einzigartige Beziehung zwischen Frauen und ihren Kindern steht plötzlich als ein patriarchalisches Fantasiegebilde da. Die fürsorgliche Mutter gilt automatisch als Opfer der Verhältnisse – als könnte sich keine Frau freiwillig dazu entschließen, im Beruf zugunsten der Familie kürzerzutreten.

Sie sprechen von Müttern, denen man das Muttersein austreibt…

... und zwar auf vielerlei Weise: Schon während der Schwangerschaft und Geburt werden Frauen kontrolliert und entmündigt. Ist das Kind da, redet ein vielstimmiger Chor der Besserwisser auf die Mutter ein. Und spätestens mit einem Jahr ist ein Kind angeblich in der Krippe besser aufgehoben als zu Hause.

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Bestseller-Autorin und Vierfach-Mutter:: Alina Bronsky.

Wo bleiben die Väter in dieser Diskussion?

Unser Buch dreht sich um die Mütter, insofern haben wir eine konsequent weibliche Perspektive. Das kann man uns vorwerfen, aber wir haben uns gezielt darauf beschränkt. Es gibt ja auch lesenswerte Bücher darüber, wie Männer mit der Vaterrolle im Wandel zurechtkommen. Wogegen wir uns wehren, ist, dass manchmal gezielt ein Keil zwischen Mütter und Väter getrieben wird. Man könnte angesichts mancher Veröffentlichungen den Eindruck bekommen, an jedem Vaterproblem ist eine böse Mutter schuld. Das ist natürlich absurd.

Was meinen Sie: Führt die große Wahl-Freiheit zu Verunsicherung bei den Müttern? Wenn alle Wege offen stehen, muss man eben „nur“ den richtigen wählen, damit alles gut wird?

Wir sind eindeutig für die Wahlfreiheit, auch wenn es eine Utopie ist. Im Moment sind wir in Deutschland besonders weit davon entfernt, denn die Freiheit existiert nur in der Theorie. Auch von der viel beschworenen Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensmodellen ist wenig zu spüren. Es ist nicht nur schwer, einen von der Norm abweichenden Lebensentwurf zu leben, sondern auch darüber zu sprechen.

Die Bevormundung der Mütter muss aufhören, der Umgang mit Kindern wieder selbstverständlicher werden. Sind das Ihre Lösungsansätze?

Ja, sicher. Wir legen zwar den Finger in die Wunde, haben aber keine Patentrezepte. Manches könnte man zwar von einem Tag auf den anderen lösen (zum Beispiel Veränderungen im Gesundheitssystem, die Frauen selbstbestimmte Schwangerschaften und Geburten ermöglichen), in anderen Bereichen muss jede ihren persönlichen Weg finden – zum Beispiel bei der Berufstätigkeit. Wir sind alle unterschiedlich und passen nicht in eine Schublade.

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