Kölner Autorin über das Sterben„Beileidskarten an enge Freundinnen zu senden, finde ich komisch“

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Julia Felicitas Allmann und Laura Letschert, Autorinnen des neuen Buches „Bye“.

Die Autorinnen Julia Felicitas Allmann und Laura Letschert.

In dem Buch „Bye“ erzählen Menschen ganz offen von Trauer und Tod. Co-Autorin Julia Felicitas Allmann erklärt, warum es an der Zeit ist, solchen Geschichten besser zuzuhören. 

Warum ein Buch über Tod und Abschied?

Julia Felicitas Allmann: Die Idee kam von Laura Letschert, sie wollte schon lange ein Buch über unsere Endlichkeit und über das Sterben schreiben. Damit hat sie sich schon früh als Kind und später auch während ihres Psychologie-Studiums beschäftigt. Als Coach begleitet sie immer wieder Menschen in herausfordernden Situationen. Ich fand die Idee so großartig, dass ich als Autorin sofort eingestiegen bin.

Wie würden Sie Ihr eigenes Verhältnis zum Tod beschreiben?

Ich hatte nie eine riesige Angst vor dem Tod, habe aber trotzdem nicht so gerne darüber nachgedacht. Vor allem war ich sehr unsicher, wie ich mit Menschen umgehen soll, die jemanden verloren haben. Manchmal habe ich einfach gar nicht reagiert, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Durch das Buch hat sich das sehr verändert, ich bin jetzt offener im Umgang mit dem Thema.

Inwiefern?

Als kürzlich zum Beispiel der Vater einer Freundin gestorben ist, habe ich ihr einfach vorgeschlagen: Lass uns doch einen langen Spaziergang machen. Ich habe ihr regelmäßig auf WhatsApp geschrieben. Beileidskarten an enge Freundinnen zu senden, finde ich komisch. Wir kommunizieren sonst ja auch auf anderem Weg. Ich denke, dass mir erst das Buchprojekt den Mut gegeben hat, so ausführlich mit jemandem über den Tod zu sprechen. Oder einfach mal zuzuhören.

Können Sie sich erklären, warum Ihnen das vorher so großes Unbehagen bereitet hat?

Ich glaube, mir hat die Erfahrung gefehlt. Ich habe selbst noch nie jemanden verloren, der mir besonders nahestand. Sterben ist auch immer noch ein Tabu-Thema in unserer Gesellschaft. So bin ich aufgewachsen: Man spricht nicht über den Tod, man schreibt eine Karte und lässt die Menschen in Ruhe trauern.

Was hat Sie besonders berührt während der Arbeit an „Bye“?

Na ja, eigentlich alles. Aber nehmen wir zum Beispiel die Geschichte von Thomas Krauß. Er lebt mit einem Kunstherz und wartet auf ein Spenderherz. Er hat sich schon mehrfach vom Leben verabschiedet und hat es trotzdem immer wieder geschafft. Natürlich wollte er nie sterben – aber immerhin war er immer mit sich im Reinen. Er sagt: Wenn er schon gehen muss, dann wenigstens mit einem guten Gefühl.

Sie haben für das Buch auch mit einer Frau gesprochen, die während der Flut im Ahrtal fast ums Leben gekommen wäre, Finchen.

Ja, Josefine Weber. Das Gespräch mit ihr fand ich auch sehr beeindruckend. Sie war in Ihrem Leben immer wieder mit dem Tod konfrontiert. Als Kind hat sie den Zweiten Weltkrieg erlebt, schon früh ihre Eltern verloren. Dann hat sie später ihren Ehemann bis zum Tod gepflegt. Mit 90 Jahren ist sie dann nachts davon aufgewacht, dass während der schweren Flut ihr Schlafzimmer mit Wasser vollgelaufen ist. Sie hat sich die ganze Nacht an eine Fensterbank geklammert, das Wasser stand ihr bis zum Hals. Es ist ein Wunder, dass sie überlebt hat.

In Ihrem Buch kommen vor allem Menschen zu Wort, die nicht aufgeben, die weiterkämpfen, obwohl ihnen fürchterliche Dinge widerfahren.

Ja, wie Silke aus Köln. Sie hat ihren Sohn Jolle verloren. Er ist mit sechs Jahren an einem Gehirntumor gestorben. Als ich das Interview mit ihr aufgeschrieben habe, habe ich selbst viel geweint. Aber sie ist gleichzeitig eine so starke Frau, die noch immer lustig sein kann, obwohl sie einen solchen Albtraum erlebt hat. Zu sehen, wie so jemand es schafft, weiterzumachen, hat mich selbst ermutigt.

Wie machen Menschen denn weiter nach einem solchen Erlebnis?

In den Gesprächen kam heraus, dass das ganz individuell ist: Manche machen Therapie oder meditieren. Anderen hilft es, Routine durch ihre Arbeit zu finden. Wieder andere suchen sehr engen Kontakt zu Freunden und Familie, haben ein oder zwei nahestehende Menschen, die sie stark unterstützen. Die Strategien sind unterschiedlich.

Wie spricht man mit Kindern über den Tod?

Auf diese Frage habe ich für mich selbst noch keine eindeutige Antwort gefunden. Was ich aus den Gesprächen mit Silke und auch mit Mara, einer Trauerbegleiterin für Kinder, mitgenommen habe: Bei Kindern gibt es oft eine viel größere Offenheit, als Erwachsene es ihnen zutrauen würden. Man muss das also von Fall zu Fall abwägen – manchen hilft es, wenn man kindgerecht mit ihnen darüber spricht, dass jemand gestorben ist. Kinder spüren, dass etwa nicht stimmt. Und so wird der Tod nicht zu etwas Unaussprechlichem. Es gibt auch schöne Kinderbücher oder Kinderserien, die das Sterben behandeln. Ich habe kürzlich mit meinem Vierjährigen eine Folge von Pettersson und Findus gesehen, in der die beiden eine tote Elster finden und dann beerdigen. Mit einer richtig großen Zeremonie. Das war sehr rührend gemacht.

Haben Sie beim Schreiben manchmal gedacht: Es ist alles so traurig, ich schaffe das nicht?

Eigentlich nicht. Mir hat es geholfen, dass Laura und ich eine so gute Arbeitsteilung hatten: Sie hat die Gespräche geführt, ich habe sie aufgeschrieben. Das hat mir manchmal auch etwas Abstand ermöglicht. Doch ich habe Freundinnen, die mir zwar zur Veröffentlichung gratuliert haben – aber unser Buch lieber nicht lesen möchten. Was ich völlig okay finde.

Haben Sie das Gefühl, dass die Trauer in unserer Gesellschaft präsenter ist als früher?

Ja, den Eindruck habe ich schon. Es gibt inzwischen sogar Influencerinnen und Influencer, die von ihrer eigenen Trauer erzählen. Mit einer haben wir für das Buch gesprochen, Johanna Klug heißt sie. Sie arbeitet als Trauerbegleiterin. Auch im Bereich der Bestattung findet gerade ein Generationenwechsel statt.

Das heißt, das Thema Tod wird auch ein stückweit enttabuisiert?

Ja, ich glaube schon. Das ist wie ein Dominoeffekt, das merken wir immer wieder, seit wir das Buch veröffentlicht haben. Viele kommen auf uns zu und wollen mit uns über ihre eigenen Erfahrungen mit dem Tod sprechen. Es gibt also Redebedarf.

Zur Person: Julia Felicitas Allmann arbeitet als freie Journalistin und Buchautorin in Köln. Zusammen mit Laura Letschert, Coach für Veränderungsprozesse, hat sie das Buch „Bye: Wir sprechen von Tod, Abschied und dem, was bleibt“ veröffentlicht (Paloma Publishing, 29 Euro).

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