#regrettingmotherhoodDarf man das Muttersein bereuen?

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Es gibt Mütter, die bereuen es, jemals Kinder bekommen zu haben (Symbolbild).

Es gibt Mütter, die bereuen es, jemals Kinder bekommen zu haben (Symbolbild).

„Wenn Sie in der Zeit zurückgehen könnten, mit dem Wissen und der Erfahrung von heute, würden Sie wieder Mutter werden?“ Diese scheinbar so einfache Frage hat die israelische Forscherin Dr. Orna Donath ihren 23 Interviewpartnerinnen gestellt. Und diese haben ganz klar mit „Nein“ geantwortet.

„Ich würde sofort auf sie verzichten, wirklich. Ohne mit der Wimper zu zucken“, sagt etwa Doreen (38, drei Kinder). Und Tirtza (57, zweifache Mutter und Großmutter) erzählt: „Schon in den ersten Wochen nach der Geburt war es eine Katastrophe. Ich habe sofort gemerkt, das ist nichts für mich. Das Schmerzhafteste ist, dass ich nicht in der Zeit zurückgehen kann, um das zu reparieren.“

Mutterschaft zu bereuen, ist nicht vorgesehen

Darf man so etwas sagen? Geht das überhaupt, dass man Muttersein bereut? Da muss doch was nicht stimmen, oder? Unter dem Stichwort #regrettingmotherhood läuft im Netz seit Tagen eine hitzige Debatte dazu. Die Empörung ist groß, die Verwunderung noch größer und es wird eifrig nach Erklärungen gesucht. Denn so etwas hat sich noch kaum einer getraut, laut zu sagen oder zu schreiben – auch in der Forschung ist das Thema quasi Neuland.

Offen zu bereuen, dass man Kinder bekommen hat, ja, es sogar gerne rückgängig machen zu wollen, das ist ein Tabu in unserer Gesellschaft. Dieser Gedanke kommt schlichtweg nicht vor. Dass man Angst hat vor der Eltern-Verantwortung, das ist vorstellbar. Dass man ungeplant ins Muttersein hineinstolpert, auch. Aber Kinder haben und es dann nicht zu schätzen, das ist nicht vorgesehen. Forscherin Orna Dorath war von dieser gesellschaftlichen Reaktion überrascht: „Dieser tief verwurzelte Unglaube, dass so etwas wie ‘bereute Mutterschaft‘ überhaupt existiert, das war für mich nach sechs Jahren Forschung auf diesem Gebiet am erstaunlichsten.“

Alles nur gebeutelte, lieblose Mütter?

Für ihre Studie hat Orna Donath im Rahmen ihrer Promotion an der Universität Tel Aviv zwischen 2008 und 2011 insgesamt 23 israelische Mütter im Alter zwischen Mitte 20 und Mitte 70 Jahren in langen Gesprächen befragt. Im Augenblick forscht Donath am „Center for Woman's Health Studies and Promotion“ der Ben-Gurion-Universität Isreal.

Im Unverständnis über das Phänomen sucht man vorschnell nach Erklärungen. Sind diese Mütter alle traurige, gebeutelte Existenzen mit widrigen Lebensumständen? Genau das trifft bei den Befragten der Studie nicht zu. Die Frauen verschiedenen Alters kommen aus allen sozialen Schichten, haben verschiedene Bildungs- und Familienstände und führen, wenn man so sagen will, ein ganz normales Leben.

Sind sie dann vom Weg abgekommene „Rabenmütter“, die ihrem Kind keine Liebe geben können? Auch diese Annahme wird von den Erzählungen widerlegt. Denn die Frauen sagen offen: Sie lieben ihre Kinder. Die Mütter, so erklärt es die Studie, unterscheiden also zwischen der Liebe zum Kind (Objekt) und dem Gefühl gegenüber der Mutterschaft (Erfahrung). Charlotte (44, zwei Kinder) sagt dazu: „Ich bereue es, Kinder bekommen zu haben, aber ich liebe die Kinder, die ich habe. Ich würde nicht wollen, dass sie nicht da sind, ich möchte einfach keine Mutter sein.“

Reue macht nicht vor Muttersein Halt

Es geht also nicht um emotionale Unfähigkeit und Bindungsstörungen – die wir leichtfertig annehmen -, oder zwiespältige Gefühle gegenüber den eigenen Kindern, die viele kennen, sondern darum, wie man den eigenen Lebensentwurf rückblickend empfindet und bewertet. Es geht um das Prinzip der Reue. Und diese, so Orna Donath, sei eine menschliche Haltung, die sich an jede Entscheidung anschließen kann und auch Teil jeder Beziehung ist. Warum sollte Reue dann nicht auch bei Mutterschaft vorkommen?

„Natürlich ist das eine rhetorische Frage“, sagt Donath, „ich weiß, dass Muttersein als heilig angesehen wird und so etwas in Bezug auf die Kinder auch zu viel Schmerz führen kann – aber die Frage sollte trotzdem gestellt werden.“ Dass das Muttersein das Leben einer Frau extrem verändern kann, darüber werde ja offen gesprochen. Gerade in den ersten Jahren, so führt sie in der Studie aus, gehe es oft um Verlust: von Freiheit, Kontrolle und Zeit. „Und ich verstehe, warum jene Veränderungen zu der Einsicht führen können, dass das Kinderhaben es letzten Endes nicht wert war.“

Kinder kriegen, weil es sich so gehört?

Die Frauen der israelischen Studie haben aus ganz unterschiedlichen Gründen Kinder bekommen. „Manche wollten keine Kinder, hatten aber keine Wahl in einer pronatalen Gesellschaft wie Israel“, erzählt die Forscherin, „andere haben nicht wirklich darüber nachgedacht, für sie war es ein automatischer Schritt.“

Kinder bekommen, weil es sich eben so gehört – das ist eigentlich kaum erstaunlich. Auch in der deutschen Gesellschaft ist die Annahme weit verbreitet, dass irgendwie jede Frau Kinder bekommen will und sollte. Das zeigt sich deutlich an den hitzig geführten Debatten zum Thema bewusste Kinderlosigkeit, in denen kinderlose Frauen als egoistisch und karrieregeil beschimpft werden. Als ob die Tatsache, keine Kinder zu wollen, sie zu Negativwesen oder „halben Frauen“ mache. Es werde geradezu erwartet, so auch die Studie, dass die Frauen diese Entscheidung gegen Kinder – und damit gegen die Norm - bereuen. „Es wird mit düsteren Bildern einer Zukunft gedroht, in der sie ihre Entscheidung unausweichlich bereuen und sich nach ihren ungeborenen Kindern sehnen.”

„Das Geschlecht definiert nicht unsere Gefühle“

Dass man Muttersein mit Frausein gleichsetzt, sei ein kulturelles und historisches Produkt, schreibt Donath in ihrer Studie. Genau diese Wahrnehmung, dass jede Frau Mutter werden will und die Mutterschaft dann auch positiv bewertet, könne aber auch zu Kummer und Leid führen. „Das Geschlecht definiert nicht unsere Gefühle, Träume, Fähigkeiten, Neigungen und Sehnsüchte. Wir sind nicht gleich, weil wir die gleichen biologischen Reproduktionsorgane haben.“ Auch Muttersein werde keinesfalls von allen Frauen einheitlich oder ähnlich empfunden.

Welche gesellschaftliche „Botschaft“ könnte man nun aus der Studie ableiten? „Man sollte anerkennen, dass es nicht die eine Definition einer ‚guten Frau‘ oder einer ‚guten Mutter‘ gibt“, sagt Orna Donath. Frauen sollten selbst fühlen, denken und entscheiden können, ob sie Kinder wollen. „Das kann aber nur klappen, wenn die Gesellschaft die Entscheidung gegen Kinder als völlig legitim bewertet und auch anerkennt, dass man Mutterschaft bereuen kann.“ Am Ende geht es doch um die Freiheit der Lebensentwürfe und Empfindungen.

Die Studie:

Regretting motherhood: A sociopolitical analysis, von Dr. Orna Donath, Department of Sociology and Anthropology, Tel Aviv University

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