Bore-out bei SeniorenWenn Langeweile depressiv macht

Lesezeit 3 Minuten
Wenn Unterforderung antriebslos oder schlaflos macht, sprechen Psychologen vom Bore-out.

Wenn Unterforderung antriebslos oder schlaflos macht, sprechen Psychologen vom Bore-out.

Langeweile, die krank macht. Psychologen haben diesem Phänomen den Namen Bore-out gegeben (abgeleitet vom englischen Wort für Langeweile: Boredom). Die andauernde Unterforderung führt bei den Betroffenen zu Mattigkeit, Antriebslosigkeit, Schlaflosigkeit und kann im schlimmsten Fall sogar in einer Depression enden.

Senioren besonders häufig betroffen

Bore-out wird zwar vor allem in der Arbeitswelt beobachtet, betrifft aber auch viele Senioren. Lebensqualität im hohen Alter hängt nämlich maßgeblich von dem Gefühl ab, gebraucht zu werden. „Die Symptome sind die gleichen wie bei einem Burn-out“, erklärt Ursula Lehr, Professorin für Psychologie in Heidelberg.

Unterforderung kann Senioren treffen, wenn etwa plötzlich der Partner stirbt, der zuvor Lebensmittelpunkt war. „Das betrifft besonders häufig Frauen über 80 Jahre, die mit der Heirat ihren Job aufgegeben haben und danach vor allem für ihren Mann gelebt haben.“ Mit dessen Tod verlieren die Tage auf einmal ihre gewohnte Struktur, ein Gefühl der Leere entsteht.

Wenn mit der Rente die Langeweile kommt

Ein Bore-out muss aber nicht erst im hohen Alter auftreten: Bereits die Zeit kurz nach Rentenbeginn ist häufig schwierig. „Hier sind (noch) vor allem Männer betroffen, weil die ihr Leben oft sehr stark über ihre Arbeit definieren“, sagt Psychologin Julia Scharnhorst. Gerade bei Workaholics, denen die Zeit für Hobbys und Freunde fehlte, bricht mit der Rente einiges zusammen.

Um das zu vermeiden, kann man jedoch einige Vorbereitungen treffen. Wichtig hierfür sind Fragen wie: Wie sollen die Tage als Rentner aussehen? Welchen Aktivitäten will man nachgehen? Gibt es Bekannte, die man sehr gerne mal wieder treffen will? „Keinesfalls sollte die Rente als Nichtstun begriffen werden“, mahnt Scharnhorst. Besser ist, die positiven Seiten der gewonnenen freien Zeit zu entdecken und zu nutzen.

Senioren sollten sich nicht davor scheuen, intensiv ihre Hobbys zu betreiben. „Viele haben diese Erwartungen im Kopf, wie ältere Menschen angeblich sein müssen“, weiß Scharnhorst. Dieses Rollenbild sollte aber jeder für sich hinterfragen: „Es geht darum, wie man selbst leben möchte und nicht wie man denkt, dass es die Gesellschaft für richtig hält.“

Neue Herausforderungen suchen

Eine neue Sprache lernen, noch einmal studieren, ein Ehrenamt übernehmen: Wichtig sei nur, dass eine Aufgabe sinnvoll und herausfordernd ist, rät die Psychologin. Senioren müssen einen Sinn in ihren Tätigkeiten sehen, findet auch Lehr. Deshalb empfiehlt sie, vorher genau zu überlegen, was einem liegt und wie viel Zeit man in die neue Aufgabe investieren kann.

Viele Organisationen helfen bei der Vermittlung von ehrenamtlichen Tätigkeiten: Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros und Begegnungsstätten sind dafür geeignete Anlaufstellen.

Häufig hilft aber schon ein bisschen Struktur, um aus dem mentalen Loch zu finden. „Täglich Zeitung lesen“, nennt Lehr ein einfaches Beispiel. Wer es sich zutraut, könne auch das Internet erkunden. „Dafür gibt es viele ehrenamtliche Paten, die einem die Nutzung beibringen“, sagt Lehr, die auch Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (Bagso) ist. Das Internet hilft auch, Kontakt mit der Familie zu halten: Der Enkel findet es sicher cool, einmal mit der Ur-Oma zu skypen.

In ernsten Fällen hilft nur der Gang zum Psychologen

In manchen Fällen helfen Beschäftigung und eine neue Tagesstruktur jedoch nicht weiter. „Weil es zu Depressionen führen kann, ist häufig psychologische Hilfe nötig“, weiß die Expertin. Gerade alte Menschen haben jedoch oft Angst vor dem Gang zum Psychologen. Ihnen stecke noch das Stigma aus der Zeit des Dritten Reichs im Kopf. „Bei den Nazis galten psychisch Kranke als unwertes Leben, weshalb viele ältere Menschen noch heute vor einem Besuch in der Praxis zurückschrecken.“

Das Bore-out-Syndrom wird von Ärzten manchmal falsch beurteilt. „Sie nehmen mitunter an, dass die Symptome auf eine Demenz hindeuten“, sagt Lehr. Dabei sei etwa ein Fünftel aller Demenz-Fälle eigentlich auf Depressionen zurückzuführen. Und die haben ihren Ursprung nicht selten in einem Bore-out.

(dpa, jto)

KStA abonnieren