Interview Oliver LückWarum Menschen heute noch Flaschenpost verschicken

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Flaschenpost am Strand von Nida, Lettland

Herr Lück, Sie haben ein Buch über Flaschenpost geschrieben. Darin erzählen Sie von Menschen, die Briefe über die Ostsee verschickt und beantwortet haben. Wie kamen Sie auf die Idee zu dem Buch?

Der Autor

Autor Oliver Lück

Oliver Lück, Journalist und Autor

Oliver Lück, Jahrgang 1973, ist Journalist und Fotograf und lebt in Henstedt-Ulzburg in Schleswig-Holstein. Seit 20 Jahren schreibt er für Magazine und Tageszeitungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mit seinen Flaschenpostgeschichten ist Lück seit Mitte April auf Lesereise. Termine und weitere Informationen finden Sie auf seiner Webseite: www.lueckundlocke.de

Lück: 2008 war ich mit meinem Hund im VW-Bus unterwegs quer durch Europa. In Lettland fuhr ich an einem bunt geschmückten Garten vorbei, der mich sofort in seinen Bann gezogen hat. Ich dachte nur ‚Was ist das denn?‘ und bin sofort auf die Bremse getreten. In dem Garten hingen alle möglichen Gegenstände, die das Meer an den Strand spült, Müllfetzen, Hölzer, Flaschen. Ich habe angehalten und angeklopft. Aufgemacht hat mir Biruta, eine alte Frau. Sie zeigte mir schließlich eine Mappe mit Flaschenpost-Briefen. Es waren knapp 40 insgesamt. Zwar hatte sie die Flaschenposten gefunden, aber weil sie weder Deutsch noch Englisch sprach und keinen Computer besaß, hatte sie keinen der Briefe je beantwortet.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe mich daran gemacht, Birutas Briefe zu beantworten. Ungefähr die Hälfte der 40 Absender habe ich erreicht. So habe ich immer mehr Menschen kennengelernt, die Flaschenposten verschicken und aufsammeln. Zweieinhalb Jahre habe ich intensiv zu dem Thema recherchiert.

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Treibgutkunst im bunten Garten von Biruta Kerve, Küstendorf Nida, Lettland. Der Garten ist der Ausgangspunkt für das neue Buch von Oliver Lück.

Wo waren Sie überall unterwegs?

In allen Anrainerstaaten der Ostsee. Natürlich kann man auch in anderen Meeren Flaschenpost finden, aber im Vergleich zum Atlantik oder Pazifik ist die Chance in der Ostsee viel größer, weil sie ein Binnenmeer ist. Alles, was man in die Ostsee hineinwirft, kommt irgendwann wieder raus. Die lange Küstenlinie, viele Inseln und versteckte Buchten sind dabei durchaus nützlich.

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Biruta Kerve aus dem Küstendorf Nida in Lettland. Sie sammelt, was die Ostsee ihr bringt. Über die Jahre auch fast 40 Flaschenpostbriefe. Und noch mehr Zahnbürsten – hinter ihr an der Wand zu Treibgutkunst verarbeitet.

Wer sind die Briefeschreiber, die Sie durch Ihre Nachforschungen kennengelernt haben?

Zum Beispiel bin ich in Kontakt mit Thomas aus Sassnitz auf Rügen gekommen. Flaschenposten zu schreiben ist sein Hobby. Immer, wenn der Wind günstig steht, schickt er ein bis fünf auf die Reise. Als ich ihn besuchte, hatte er schon 30 Antworten aus sieben Ländern erhalten. Oder Mogens aus Bornholm in Dänemark, ein alter Leuchtturmwärter. Er sammelt alles, was irgendwie einen Wert hat. Seit 1971 hatte er mehr als 200 Flaschenposten gefunden und jede mit einer Postkarte beantwortet.

Nächste Seite: Darum schreiben Menschen eine Flaschenpost. Außerdem: So basteln Sie die perfekte Flaschenpost.

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Flaschenpostsammlung. Während seiner Recherche trug Oliver Lück eine Auswahl von fast 300 Briefen zusammen. Nicht beliebig. Alle Schreiber oder Finder sind entweder direkt oder über zwei oder drei Ecken miteinander verbunden.

In unserer heutigen schnelllebigen Zeit, in der Nachrichten per Whatsapp in Echtzeit beantwortet werden, wirkt eine Flaschenpost wie ein Relikt aus früheren Zeiten. Warum schmeißen Menschen heute eine Flaschenpost ins Meer?

Um etwas Verrücktes zu tun, ein Abenteuer zu erleben. Das Ungerichtete einer Flaschenpost bietet einen großen Reiz, gerade weil man nicht weiß, ob, wann und wo sie ankommt.

Was sind das für Momente, in denen eine Flaschenpost auf die Reise geschickt wird?

Momente der Ruhe oder Langeweile. Die erleben viele oft während eines Urlaubs am Meer. Zwar wollen alle immer schneller leben, um Zeit zu sparen, aber wirklich Zeit haben wir nur, wenn wir uns eine Pause gönnen. Insofern stellt eine ziel- und zeitlose Flaschenpost ein großes Mysterium dar.

Seekarte-Driftweg-Flaschenpost

Mit Hilfe des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie in Hamburg (BSH) konnten die ungefähren „Reiserouten“ der Flaschenpostbriefe nachverfolgt werden. Das BSH nutzt dafür Computermodelle, die anhand der Wind- und Wetterdaten der letzten Jahre die Strömungen und Driftwege von Gegenständen im Wasser sehr genau berechnen können.

Sie haben durch Ihre Recherche rund 300 Flaschenpost-Briefe zu Gesicht bekommen. Welche Art von Nachrichten geben Menschen übers Meer an unbekannte Adressaten auf?

Das ist ganz unterschiedlich. Thomas aus Rügen zum Beispiel verfolgt einen wissenschaftlichen Ansatz. Er notiert genau, wann und wo er die Flasche ins Meer geworfen hat und möchte von den Findern den Fundort mit Koordinaten und Adresse sowie den Zeitpunkt wissen. Andere folgen einem therapeutischen Ansatz, indem sie Probleme und Sorgen aufschreiben, symbolisch auf die Reise schicken und damit loslassen.

So basteln Sie die perfekte Flaschenpost

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Funde und Flaschenpost am Strand von Nida in Lettland

Am besten Flaschen aus Glas verwenden, weil Plastik schneller kaputt geht. Aber auch keine Bier- oder Weinflaschen aus Grün- oder Braunglas. Besser Flaschen aus klarem Glas, weil man dann den Brief durchsieht. Für die Nachricht kann man rotes Papier nehmen, das sieht man besonders gut. Oder man malt die Flasche in Signalfarben an. Dann einen Korken mit Vaseline einschmieren und die Flasche verschließen. Das hält besser als ein Schraubverschluss. Bügelflaschen eignen sich nicht, weil der Gummiring irgendwann porös wird. (kkl)

Welche Flaschenpost-Geschichte hat Sie am meisten berührt?

Eigentlich alle. Besonders beeindruckt hat mich zum Beispiel ein schwedischer Fischer, der auf einer einsamen Schäre lebt und mit seinem Netz schon viele Flaschenposten aus dem Wasser gezogen hat. Er war noch nie in Stockholm und aufs Festland begibt er sich nur, wenn er zum Arzt muss. Den Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit kennt er ganz genau. Trotzdem hat er seinen Platz im Leben gefunden und strahlt eine tiefe Zufriedenheit und Gelassenheit aus. Danach sehnen sich doch viele. Ich erinnere mich auch immer wieder an die Flaschenpost eines holländischen Jungen, der einen Wunschzettel an den Weihnachtsmann geschrieben hatte. Er wünschte sich zwei Dinge: Star-Wars-Figuren zum Spielen und Weltfrieden. Das sind wohl die größten Dinge, die sich ein Zehnjähriger wünschen kann.

Informationen zum Buch

Oliver Lück: „Flaschenpostgeschichten – Von Menschen, ihren Briefen und der Ostsee“, erschienen im Rowohlt Verlag, 256 Seiten, 9,99 Euro.

Titel Flaschenpostgeschichten

Buchcover „Flaschenpostgeschichten“ von Oliver Lück

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