HalsbandsitticheExotische Überlebenskünstler

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Halsbandsittiche fressen Körner, Samen, Blüten, Früchte sowie die Knospen von Obstbäumen. BILD: RALF KRIEGER

Halsbandsittiche fressen Körner, Samen, Blüten, Früchte sowie die Knospen von Obstbäumen. BILD: RALF KRIEGER

Leverkusen – Der geflügelte Besuch kommt meist nicht allein: Immer wieder rufen Vogelhalter bei Wilfried Knickmeier im Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt Rhein-Berg an. Sie berichten von Scharen grüner Sittiche, die sich an ihren Vogelvolieren niedergelassen haben. „Offensichtlich Halsbandsittiche auf der Suche nach Futter“, erzählt Knickmeier. Bei Meldungen einzelner Tieren sei die Lage oft weniger eindeutig. „Einige Anrufer meinen dann, sie hätten einen entflogenen Sittich entdeckt.“ Anders als ausgebüxte Vögel sind frei lebende Halsbandsittiche jedoch eher scheu und wenig kontaktfreudig. Und sie tragen niemals einen Ring.

Halsbandsittiche, auch Kleine Alexander-Sittiche genannt, leben heute in mehreren deutschen Großstädten, in denen die Winter nicht so hart sind. In Leverkusen würden die Vögel seit knapp 15 Jahren beobachtet, sagt Jürgen Kossler. Die Sittiche seien vor allem nachts im Chempark anzutreffen, weiß der städtische Artenschutzbeauftragte. In Gruppen von bis zu 100 Tieren sammeln sie sich mit Beginn des Sonnenuntergangs auf Bäumen nahe dem Pförtnerhaus von Bayer. Tagsüber verteilen sich die Vögel wieder und ziehen in Gruppen von rund 15 Tieren umher.

Auch auf dem Land werden die Sittiche zunehmend gesichtet. Aus Odenthal und Leichlingen hat Knickmeier bereits Hinweise bekommen. Auch ein Anrufer aus Burscheid habe sich gemeldet, der die Vögel an der Grenze zu Wermelskirchen beobachtete. Am häufigsten seien aber nach wie vor Meldungen aus Köln-nahen Ecken. In der Domstadt wird die Halsbandsittich-Population von der dortigen Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft (OAG) inzwischen auf rund 1800 bis 2000 Tiere geschätzt. „Die Sittiche gehen von dort - teils einzeln, teils in größeren Trupps - auf Nahrungssuche oder kundschaften neue Gebiete aus“, sagt Knickmeier. Dabei scheinen sie weiter in Richtung Osten vorzudringen. Am Wambacher Hof in Rheindorf gibt es nach Angaben von Kossler sogar eine Brutkolonie. Vogelexperten schließen daraus eine Tendenz, dass sich die geselligen Vögel ausbreiten. „Ob sie anhält, ist aber noch ungewiss“, betont Knickmeier. „Bisher ist die Verbreitung hier nicht gefestigt.“ Kossler geht davon aus, dass die Tiere die Rheinschiene „irgendwann durchgehend besiedeln“ werden.

Die Anfänge der Populationen lassen sich nicht sicher klären. Vermutlich sind vor Jahrzehnten Halsbandsittiche, die in Deutschland in Volieren gehalten wurden, entflogen und haben sich vermehrt. Laut Angelica Kahl-Dunkel von der Kölner OAG fielen die ersten Exemplare in der Domstadt in den 60er Jahren auf, verstärkt dann in den 70ern.

Dass Halsbandsittiche in hiesigen Breiten überhaupt überleben können, ist bemerkenswert. Denn eigentlich stammen sie aus Asien und Afrika (in Ghana sind sie artgeschützt). Vor der Winterkälte schützen sich die Sittiche, indem sie sich auf ihren Schlafbäumen aneinanderkuscheln und gegenseitig wärmen. „Sie können Temperaturen bis zu minus 30 Grad überstehen“, erklärt Kossler. Abgesehen davon haben Exoten hier zu Lande ein anderes Problem. „Die meisten Papageien- und Sitticharten finden hier keine Nahrung“, sagt Knickmeier. „Beispielsweise Wellensittiche brauchen ihre spezielle Körnermischung.“ Halsbandsittiche, die - zumindest in Volierenhaltung - 20, 30 Jahre alt werden können, sind nicht ganz so wählerisch. Die kletterfreudigen Krummschnäbel fressen Körner, Samen, Blüten, Früchte sowie die Knospen von Obstbäumen.

Das ist auch der Grund, weshalb die Sittiche nicht nur Freunde haben. Gartenbesitzer und Obstbauern klagen darüber, wenn sich die Vögel über ihre Bäume hermachen. „Die Sittiche picken die Früchte ab, nehmen fünf Schnabelhiebe und lassen das Obst dann liegen“, beschreibt Kossler das Essverhalten der Tiere. Bei der Landwirtschaftskammer heißt es, es seien noch keine durch Halsbandsittiche verursachten, großräumigen Schäden auf Obstanbauflächen bekannt. Das kann sich ändern, falls sich die Vögel tatsächlich weiter ausbreiten. Die lernfähigen Tiere auf Dauer mit Vogelscheuche, Lärm oder Bändern von den Obstbäumen fern zu halten, dürfte schwierig sein. „Auf keinen Fall sollte man versuchen, seine Bäume mit Netzen zu schützen. Denn die werden leicht zur tödlichen Falle für Singvögel. Und das ist in jedem Fall der größere Schaden“, betont Achim Moers von der Unteren Landschaftsbehörde Köln. Die Tiere zu beeinträchtigen, sei außerdem nach dem Bundesnaturschutzgesetz unzulässig, sagt Kossler.

Ein zweiter Punkt, der auf Dauer zum Problem werden könnte, betrifft die heimische Fauna: Halsbandsittiche sind Höhlenbrüter und stehen damit in Konkurrenz zu anderen Vögeln, die ihre Jungen in Baumhöhlen aufziehen - zum Beispiel zu Staren, die wie ihre grünen Kollegen bevorzugt in Siedlungen leben. Bisher sei der Bestand an Staren in Leverkusen jedoch nicht erkennbar zurückgegangen, sagt Kossler. Auch Moers sieht bislang kein Verdrängungsproblem. „Die exotischen Vögel sind optisch sogar eine Bereicherung.“ Das wertet auch Angelica Kahl-Dunkel so. Die promovierte Zoologin sagt, die Sittiche hätten im hiesigen Ökosystem eine Nische gefunden, die bislang nicht besetzt war.

Eine langfristige Entwicklung ist freilich auch für Experten schwer abzuschätzen. Um die Verbreitung der grünen Krummschnäbel mit der schrillen Stimme weiterverfolgen zu können, setzt Wilfried Knickmeier auf Informationen aus der Bevölkerung: „Besonders interessant sind Hinweise aus dem östlichen Kreisgebiet und Meldungen von größeren Ansammlungen, aber auch Hinweise auf Brutplätze.“

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