Nach der Flut„Es ist eine Riesenbaustelle – aber wir wollen in Schuld bleiben“

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Pizzeria in Schuld im Juli 2021, Freiflächen im Juni 2022.

Schuld – Egal was kommen mag, eins steht fest. So fest wie der weiße Trafoturm in der Ortsmitte von Schuld, der dem reißenden Strom der Ahr trotzig standgehalten hat. Sebiha Topalca wird am 15. Juli ihren 40. Geburtstag feiern. Ein Jahr nach der Flutnacht, in der sie und ihre Familie auf dem Dach ihrer Pizzeria an der Hauptstraße stundenlang um ihre Leben bangen mussten, wird es ein großes Fest geben.

Die Pizzeria gibt es nicht mehr. Sie musste abgerissen werden. So wie das Dorfgemeinschaftshaus, die Bäckerei, der Frischemarkt und das Traditionsgasthaus „Zum Köbes“, das nach einem Pächterwechsel gerade wieder eröffnen wollte.

Im Grunde gibt es nichts mehr im Dorfkern von Schuld, was an das Leben vor dem 14. Juli 2021 erinnert. Die Trümmer des Denkmals der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs liegen auf einer Platte hinter der neuen Bushaltestelle. Die Hauptstraße ist ausgestorben. Bis auf die Bauarbeiter und Handwerker mit ihren Baggern und Muldenkippern, ohne deren Lärm hier Totenstille herrschte.

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Schuld hat immer noch das Wichtigste: Bewohner

Was es weiterhin gibt in Schuld, sind Menschen. Menschen voller Hoffnung und Entschlossenheit. Menschen wie Sebiha Topalca. Man muss sie nur suchen in der so offensichtlichen Trostlosigkeit zwischen leeren Straßen, halbfertigen Häusern und eingeebneten Flächen, auf den früher mal Gebäude standen.

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Völlig zerstört: Schuld im Juli 2021

Die zierliche, ganz in schwarz gekleidete Frau steht mit ihrem Mann Ali vor dem Gasthaus „Zur Linde“ im Schatten der Dorfkirche St. Gertrud und packt an. Auf dem Boden liegt die Leuchtreklame, die bis vor einem Jahr über dem Eingang der zerstörten Pizzeria hing.

Die „Linde“ wird zur Pizzeria

Die „Linde“ wird ihr neues Lokal. In der ersten Etage, wo früher die Fremdenzimmer Platz fanden, werden sie wohnen und unten die Pizzeria einrichten. Doppelt so groß – ausgestattet mit dem in die Jahre gekommenen Mobiliar der „Linde“.

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Sebiha und Ali Topalca 

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Der Ortskern von Schuld ein Jahr nach der Flut

„Es war ein Glücksfall. Die alten Pächter wollten schon lange aufhören. Wir müssen sehen, ob wir das allein ohne Personal schaffen“, gibt Sebiha. Ali zu bedenken, der seit einem Jahr aus seinem grünen Arbeitsanzug praktisch nicht herausgekommen ist. Aber bei aller Anstrengung: Er freut sich darauf, hoffentlich schon im August wieder am Pizzaofen zu stehen. „Wir haben eine Riesenbaustelle. Aber wir wollten unbedingt in Schuld bleiben.“

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Mit dem Bürgermeister haben sie verabredet, an den Wochenenden mitten auf der Hauptstraße vorübergehend einen mobilen Imbiss einzurichten. Weil die immer noch gesperrt ist und sich inzwischen doch ein paar Radfahrer und Wanderer wieder nach Schuld verirren. „Man muss nur Geduld haben“, sagt Sebiha und holt mit ein paar Tränen in den Augen ihre vergoldete Armbanduhr hervor, die Monate nach dem Hochwasser irgendwo an der Ahr gefunden wurde. „Das ist das Einzige, was wir aus dem alten Haus gerettet haben.“

„Die Menschen brauchen wieder einen Treffpunkt"

Eigentlich hat Helmut Lussi (65) nie Zeit. Seit einem Jahr geht das jetzt so. Reporter stehen ganz unten auf seiner To-Do-Liste. Aber Auskunft geben, das will er dann doch. Immer. So wie jetzt vor dem Grundstück, wo das Gasthaus „Zum Köbes“ stand und wo das neue Dorfgemeinschaftshaus entstehen soll. „Wenn das fertig ist, wird hier alles wieder aufleben“, sagt er. „Die Menschen brauchen endlich wieder einen Treffpunkt.“

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Bürgermeister Helmut Lussi

Die Gemeinde hat das Grundstück kaufen können. Gleiches hat sie mit dem zerstörten Frischemarkt Thiesen nebenan vor, deren Pächter nicht mehr weitermachen will. Äußerst mühselig sei das alles. Erst recht für einen ehrenamtlichen Bürgermeister, der plötzlich mitten im Behördendschungel steckt.

Entschädigungsregeln mussten gelockert werden

Die Thiesen-Immobilie gehört einer Erbengemeinschaft. Die hätte nach den Entschädigungsregeln des Landes das Gebäude erst aufbauen müssen, um es dann an die Gemeinde verkaufen zu können, weil nur Geschädigte Anspruch auf Wiederaufbauhilfe haben. Diese Regel hat man in Rheinland-Pfalz jetzt gelockert, weil das Problem in all den kleinen Orten besteht, die von der Flut betroffen sind.

„Niemand investiert in eine Bäckerei oder einen Frischemarkt. Das Risiko ist viel zu groß. Wir wollen hier aber wieder einen Laden und einen Metzger haben.“ Christina Müller-Lettau, Lussis rechte Hand, widmet sich dem Reporter, während der Bürgermeister zum nächsten Termin hetzt. Seinen Plan, Schuld in fünf Jahren wieder aufgebaut zu haben, hat er aufgegeben. „Das wird deutlich länger dauern.“

„Wir können nicht abwarten bis zur nächsten Flut"

Alle Projekte, die in der Hand der Gemeinde liegen, laufen reibungslos. Lussi hat eine Anlaufstelle eingerichtet, in der sich Flutopfer bei der Bearbeitung der Anträge zur Wiederaufbauhilfe beraten lassen.

Doch sobald die Kompetenzen der Gemeinde überschritten sind, hakt es. Vor allem bei der Infrastruktur. „Wir haben immer noch kein Hochwasserkonzept für die Nebenflüsse, um eine weitere Flut wenigstens abzumildern“, sagt Müller-Lettau. „Wir haben auch nicht das Gefühl, dass da irgendetwas in Arbeit ist. Wir können nicht wieder fünf Jahre warten. Das letzte Hochwasser war 2016. Das hat uns zwar nicht so hart getroffen, Ahrbrück war viel schlimmer dran. Aber es kann jederzeit wieder geschehen.“

Wann die Bundesstraße, die am Ortseingang völlig zerstört wurde, wieder aufgebaut wird, weiß in Schuld niemand. Der Verkehr rollt derzeit über eine provisorische Straße, die mitten durch die Felder führt.

Enttäuscht sei man im oberen Ahrtal auch von der neuen Landrätin. Die parteilose Cornelia Weigand hatte im Januar mit 50,2 Prozent eine jahrzehntelange Dominanz der CDU beendet. „Sie ist in allen Dörfern gewählt worden, die vorher schwarz wie die Nacht waren“, sagt Müller-Lettau. „Man hat sie hier aber noch nie gesehen.“

Dorffest steht unter dem Motto: „We Ahr back!"

Der Saal von St. Gertrud, dem im Moment einzigen Anlaufpunkt von Schuld, ist auch so ein Hoffnungsort. Dort haben die Menschen mit den Vorbereitungen für den Jahrestag am 14. Juli begonnen. Es wird einen ökumenischen Gottesdienst geben, anschließend will man gemeinsam schweigend mit Kerzen zu dem Trafoturm ziehen, um den herum alles in den Fluten versank.

Der Trafoturm hat den Fluten standgehalten

Bald wird der Turm in seiner ursprünglichen Funktion nicht mehr gebraucht. Der Stromversorger hat die Lehren aus dem Hochwasser gezogen und wird alle Leitungen unter die Erde legen. Das habe für viel Aufregung gesorgt, weil die Hauseigentümer die Anschlüsse bis zum Sicherungskasten selbst bezahlen müssen und damit noch mehr Kosten auf sie zukommen. Dafür sei die Stromversorgung dann aber auch hochwassersicher.

Die Gemeinde will den Turm erhalten und für den Artenschutz nutzen. „Der Turm hat überlebt und ist weithin sichtbar. Dort soll man später schön beobachten können, wie die Vögel nisten“, sagt Müller-Lettau. Am 16. Juli wird in Schuld mit einem großen Dorf- und Helferfest zum ersten Mal seit der Katastrophe wieder richtig gefeiert. Unter dem Motto: „We Ahr back!“

Stanislaw Szpala verkörpert dieses Motto ganz besonders. Wir haben uns zuletzt kurz vor Weihnachten getroffen. Im Nieselregen auf dem Platz neben dem Trafoturm bei einem improvisierten Weihnachtsmarkt, genau dort, wo einmal sein Haus stand.

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Stanislaw Szpala

Oben auf der Brücke hat Szpala mit seiner Familie in der Nacht zum 14. Juli hilflos mit ansehen müssen, wie sein ganzes Hab und Gut weggeschwommen ist. 14 Jahre Arbeit in einer Nacht zerstört. „Das Haus war seit vier Jahren abbezahlt. Dann kam die Flut.“

Jetzt sitzt Szpala mit einem fröhlichen Gesicht auf einem Klappstuhl und kramt die Fotos des Infernos hervor. Hinter ihm klafft eine Baugrube, die ein Bagger gerade für den Neubau seines Hauses aushebt. Auf einer vor Hochwasser geschützten Anhöhe, rund 500 Meter vom Ort der Katastrophe entfernt. An der alten Stelle habe er nicht wieder bauen können, das sei jetzt Überschwemmungsgebiet.

Reiner Zufall sei es gewesen, dieses Grundstück bekommen zu haben. „Von all den Familien, die ihre Häuser verloren haben, ist das erst zweien gelungen“, sagt er. „Die Leute hier haben viele Grundstücke, aber keiner will eines abgeben.“

„Ich fange mit 61 nochmal an, das ist schon komisch"

Szpala hofft, dass der Staat für die Schäden aufkommt und einen Großteil des Neubaus finanziert, auch wenn es noch keine Zusage gebe. „Die Flut hat uns doch praktisch enteignet.“ Mit 61 Jahren noch einmal neu anzufangen, sei schon ein komisches Gefühl, „aber ich kann einfach nicht zur Miete wohnen“. 90.000 Euro habe er schon vorfinanziert.

„Die Rechnungen werden immer mehr. Aber ich bleibe optimistisch. Viele Leute sagen, du bist bescheuert, dass du dir das nochmal antust. Und warum in Schuld?“ Szpalas Antwort ist kurz:  „Wir leben seit 33 Jahren hier, das ist unsere Heimat, wir kennen alle Leute hier. Der Bürgermeister ist unser bester Freund. Was wollen wir mehr? Wir sind glücklich, dass wir das Grundstück bekommen haben.“

Das ist die gute Nachricht aus Schuld, ein Jahr nach der Flut. Dass dort Menschen leben, die wieder glücklich sind.

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