Euskirchener HistorieAufstieg und Fall einer Konservenfabrik

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Bevor die Bohnen verarbeitet werden konnten, mussten sie in der Konservenfabrik zurecht geschnitten werden.

  • Der Kaufmann Anton Inhoffen gründete die Fabrik im August 1923.
  • Nur 34 Jahre später kam überraschend das Aus für den Betrieb.

Euskirchen – Er war das 16. Kind einer Großfamilie und er schrieb mit der „Rheinische Obst- und Gemüse-Konservenfabrik“  Euskirchener Unternehmensgeschichte: Der Euskirchener Kaufmann Anton Inhoffen gründete im August 1923 – gemeinsam mit dem Stadtverordneten und Hotelier Aloys Eugen Steffens – den „Maschinenbetrieb“, wie es in der damaligen Gewerbeanmeldung heißt. Drei Millionen Reichsmark betrug das Kapital damals, die Belegschaft umfasste zehn Mitarbeiter. Mit den Saisonarbeitern waren es sogar 70.

Eine Werbeanzeige aus dem Jahr 1924 belegt die breite Palette an Produkten, die die Konservenfabrik verließ. Obst- und Gemüsekonserven, Marmeladen und Fruchtsäfte,   Apfelmark und Apfelstücke wurden hergestellt. „Die Etiketten der Verpackungen waren für die damalige Zeit hochmodern. Es gab sogar eine eigene Grafikabteilung“, sagt die Leiterin des Euskirchener Stadtarchivs, Gabriele Rünger.

Produktionsstätte im Brauereikeller

Zu Beginn der Produktion waren die Räumlichkeiten allerdings noch recht beengt. Die Produktionsstätte befand sich in den Anfangsjahren im Hof und im Keller der ehemaligen Brauerei Steffens in der Bahnhofsstraße, die dem „Hotel zur Post“ angegliedert war.

Zu diesem Zeitpunkt war der Brauereibetrieb bereits in den Winkelpfad verlagert worden. Auch die Produktionsstätte in der Bahnhofsstraße 18-24 wurde bald zu klein. „Außerdem gab es Probleme mit der Deckung des Wasserbedarfs – rund 20 Kubikmeter pro Stunde. Dann bot sich die Gelegenheit, die 1919 stillgelegte Tuchfabrik Clemens und Heinrich Weber vor den Toren der Stadt zu erwerben“, weiß Rünger.

40.000 Quadratmeter

In den Räumlichkeiten hatte bis 1927 die Firma Weissweiler & Kalff, die ihren Hauptsitz in Rheder hat, Verbandsstoffe produziert. Ohne Umbauten ging es aber nicht. Nach aufwendigen Arbeiten wurden am 1. Mai 1930 die Gebäude in den Herrenbenden 6 in Betrieb genommen. Mehr als 40.000 Quadratmetern standen Inhoffen nun zur Verfügung.

Ausruhen wollte sich der Kaufmann darauf aber nicht und holte sich mit Carl Austmeyer weitere Expertise ins Haus. Austmeyer war technischer Leiter und Miteigentümer einer Konservenfabrik in Elberfeld und stieg nun als technischer Direktor und geschäftsführender Gesellschafter in Euskirchen ein.

Zwei Millionen Dosen pro Jahr

Der Zweite Weltkrieg hatte zunächst keine Auswirkung auf die Arbeit und Produktion in der Fabrik. Während der Saison wurden 1939 täglich zwischen 15.000 und 20.000 Dosen hergestellt – das entsprach gut zweieinhalb Waggonladungen. Die Jahresproduktion von „Rheinobst“ betrug sogar zwei Millionen Dosen.

Ein Jahr später wurden auch Trocken- und Gefrierkonserven hergestellt. Die Mitarbeiterzahl betrug je nach Saison bis zu 350. Außerhalb der Saison waren es deutlich weniger, aber immer zwischen 30 und 40 Angestellten. Auch die Umsatzzahlen stimmten. 1940 bezifferten die Unterlagen der Buchführung einen Umsatz von 2,5 Millionen Reichsmark.

Produktion nur für die Wehrmacht

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Die Etiketten des Unternehmens waren damals modern und bunt. Auch das Stadtwappen fand sich auf den Konserven wieder.

Doch plötzlich hatten Inhoffen und Austmeyer nicht mehr viel zu sagen. Auf Anordnung der Nationalsozialisten wurde eine „Tiefgefrierapparatur“ – eine Tiefkühlanlage für Obst und Gemüse in den Betriebshallen errichtet. Diese Anlage könnte sogar die erste im Deutschen Reich gewesen sein.

Die Tiefkühlware wurde ausschließlich für die deutsche Wehrmacht hergestellt und an unbekannte Zielorte transportiert. Sowohl Errichtung als auch Betrieb erfolgten unter großer Geheimhaltung durch Fremdfirmen. Einen Einfluss hatte der damalige Chef Inhoffen nicht. Die Produktion lief weiter. Erst durch einen Bombenangriff am 2. November 1944 fand die Produktion ein jähes Ende. Auch viele Zwangsarbeiterinnen verloren dabei ihr Leben. Die Gebäude der Konservenfabrik waren fast völlig zerstört – darunter auch die erst vier Jahre zuvor fertiggestellte Akkord-, Gefrier- und Trockenhalle.

Konkurs kam überraschend

Der Wiederaufbau gestaltete sich schwierig. Zwar wurden Baugenehmigungen gestellt und auch erteilt, doch Baumaterial und Handwerker waren nach Kriegsende knapp. „Baumaterial war genauso rationiert wie Lebensmittel. Das gab es nur gegen entsprechende Bescheinigungen“, erzählt Geschichtsexpertin Rünger. Trotz all der Schwierigkeiten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ging es im Laufe der Zeit  dann doch wieder bergauf mit der Produktion. Anfang der 1950er Jahre deutete nicht allzu viel darauf hin, dass 1957 Konkurs angemeldet werden musste. Aus dem Bericht des Konkursverwalters werden die Ursachen deutlich: zu geringe Betriebsmittel, Fehldispositionen und organisatorische Einrichtungen entsprachen nicht den Erfordernissen eines Unternehmens dieser Größenordnung. Noch vor Abschluss des Konkursverfahrens verstarben Anton Inhoffen und Carl Austmeyer.

Das Grundstück In den Herrenbenden wurde von der Firma Hubert Krementz Wwe. erworben und mit dem Zentrallager bebaut. Fast ein halbes Jahreshundert später (2001) wurde das Grundstück unweit des Keltenrings parzelliert. Heute stehen dort Wohnhäuser und ein Gebäude der Telekom – an die erste Tuchfabrik aus der später die Konservenfabrik wurde, erinnert nichts mehr.

Die Zwangsarbeiterinnen

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Die Arbeiterinnen verpackten in Euskirchen auch unzählige kleine Gewürzgurken in silberne Konservendosen.

In Euskirchen wurden während des Zweiten Weltkriegs in verschiedenen Industriebetrieben Kriegsgefangene beschäftigt, sagt Stadtarchiv-Chefin Gabriele Rünger. So nutzte unter anderem die Reichsbahn Zwangsarbeiter aus Holland, Italien und Russland für die Instandsetzung der Bahnanlagen – zum Beispiel nach Bombenangriffen.

Ein Großteil der Kriegsgefangenen – etwa 200 – seien während der Kampagne in der Zuckerfabrik eingesetzt worden. Untergebracht waren sie unter anderem im Kolpinghaus, in dem rund 60 französische Zwangsarbeiter wohnten.

Kriegswichtiger Betrieb

Einen Sonderfall bildete die Rheinische Obst- und Gemüse-Konservenfabrik. Seit der Produktion der Tiefkühlkost war sie ein sogenannter kriegswichtiger Betrieb. In der Fabrik in den Herrenbenden 35 wurden während der Hochsaison in Kriegszeiten von Frühsommer bis Frühherbst bis zu 200 ausländische Zivilarbeiterinnen aus Frankreich, später auch aus der Ukraine beschäftigt. Bei der Arbeit handelte es sich um das Putzen von Gemüse und Obst und um weitere Vorbereitung für die Konservierungen. Untergebracht waren sie in mehreren umzäunten Holzbaracken, die etwas abgesondert vom Fabrikgelände standen – ein Umstand, der wohl einige Arbeiterinnen und deren Kinder das Leben kostete.

Bei einem Luftangriff am 2. November 1944 wurde die Konservenfabrik zu 90 Prozent zerstört. Wie viele ukrainische Arbeiterinnen wirklich ums Leben kamen, ist nicht bekannt. In den Sterbeurkunden, die im Euskirchener Stadtarchiv lagern, sind aus der Bombennacht Anfang November 1944 13 Namen vermerkt. Das jüngste Opfer des Bombenhagels war gerade erst vier Jahr alt. Als Todesursache steht in der Sterbeurkunde „Tod durch Feindeinwirkung“.

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