„Ein kleines Flutwunder“Wie zwei Heiligenfiguren Asyl im Dorfbrunnen von Metternich fanden

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Anneliese Jüssen präsentiert ihre nach der Flut wiedergefundene Madonnenfigur.

Sie werde nie vergessen, wie Anneliese Jüssen strahlte, als sie ihre heißgeliebte Madonnenfigur wieder in den Händen hielt, erinnert sich die Metternicherin Luzia Linden. Daran, dass sie die Figur ihrer Mutter einmal zurückbekommen würde, hatte Jüssen schon selbst nicht mehr geglaubt.

Eine Metternicherin konnte mehr als zwei Jahre nach der Flut ihre verschollene Madonnenfigur wieder aufhängen. Der Besitzer einer Jesusfigur wird aber noch gesucht.

In den Tagen nach der Flut haben die angeschwemmten Autos quergestanden auf den Straßen von Metternich. Am Straßenrand stapelten die Anwohner Müll und Erinnerungsstücke und sahen bei ihren Aufräumarbeiten nur selten noch einen Unterschied. Zwischen von Öl durchtränkten Sperrholzplatten und Altmetall steckten Fotos, Stamm- und Tagebücher. „Und am Straßenrand im Gestrüpp lagen die Heiligen“, sagt Hans Guido Schmidt aus Metternich.

Die Metternicher sind sich einig: Heilige entsorgt man nicht

„Die Heiligen“, das sind eine etwa 60 Zentimeter große Herz-Jesu-Figur aus Gips und eine holzgeschnitzte Madonnenfigur. Schmidt machte Fotos von den Figuren und teilte die Bilder auf Whatsapp und Facebook. Obwohl sich die Eigentümer zunächst nicht meldeten, waren sich die Metternicher einig: Heilige entsorgt man nicht.

Daher schnappte sich Schmidt die beiden Figuren und gab ihnen „Asyl beim Johannes“. Mit „Johannes“ meint Schmidt keinen geringeren als Johannes den Täufer, dem als Metternicher Schutzpatron ein Brunnen inklusive Altar auf dem Dorfplatz gewidmet ist. Von einem auf den anderen Tag wachten hinter der Scheibe des Altars nicht mehr nur ein, sondern gleich drei Heilige über die Anwohner. „Dreigestirn hab ich dazu immer gesagt“, sagt Hans Guido Schmidt und lacht: „Aber jetzt sind es nur noch zwei.“

Anneliese und Gerti Jüssen (l.) sitzen an einem Tisch. Ein Hund liegt davor. Anneliese Jüssen hält eine Madonnenfigur im Arm.

Gerti (l.) und Anneliese Jüssen sitzen im Esszimmer. Hinter ihnen befindet sich das Fenster, durch das die Flut ins Erdgeschoss hineingeschossen kam und Anneliese Jüssens Hab und Gut hinausspülte.

Die Flut kam durchs Fenster und spülte alles hinaus

Denn die heilige Madonna hat inzwischen wieder zurück nach Hause gefunden. Heute hängt sie wieder an der Wand des Esszimmers von Anneliese Jüssen aus Metternich. Gleich neben den Fenstern, die der Figur und Anneliese Jüssens Wohn- und Esszimmer in der Flutnacht zum Verhängnis wurden. „Von dort kam die Flut“, sagt Jüssen und zeigt auf das Fenster, durch das man ein großes Stück der Meckenheimer Straße sehen kann.

Vor dem Fenster ist so wenig Bebauung im Weg, dass man sich gut vorstellen kann, wie das Wasser auf dem Stück vor Jüssens Haus beschleunigen konnte. Autos knallten gegen die Scheiben, schlugen beide Fenster ein. In kurzer Zeit war das Erdgeschoss vollgelaufen. Anneliese Jüssen selbst wurde von ihrem Sohn rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Doch ihr ganzes Hab und Gut, der schöne große Tisch und die Holzschnitzerei der Metternicher Burg, die ihr Vater geschenkt bekam, nachdem er 25 Jahre Ortsvorsteher war, alles war hinausgespült worden.

Die Madonnenfigur stammt aus einem österreichischen Holzschnitzerdorf

„Bis auf eine alte Uhr war alles weg“, sagt Jüssen. Auch die Madonnenfigur, die sie in den 1980er-Jahren für 380 D-Mark in einem österreichischen Holzschnitzerdorf erwarb. „Als Geschenk für meine Mutter. Sie hat da immer draufgeschaut“, erinnert sie sich. Dort habe ihre pflegebedürftige Mutter gelegen, sagt sie und deutet auf die eine Ecke des Esszimmers. „Und darüber hat damals die Madonna gehangen.“ Sie zeigt auf die Wand.

Eine holzgeschnitzte Madonnenfigur liegt in einer Schubkarre zwischen Plastikflaschen, Fotografien und einem Tagebuch.

Zwischen Müll und Tagebüchern wurde die Madonna unversehrt gefunden.

Fünf Jahre lang war ihre Mutter auf Hilfe angewiesen. Anneliese Jüssen kümmerte sich um sie, und die Madonna wachte über die beiden Frauen. „Die Figur ist sehr wertvoll für mich“, sagt Jüssen. In ihren Augen sieht man, dass sie einen Wert meint, der nicht in Geld zu messen ist. „Als ich sie wieder in meinen Armen hielt, hätte ich heulen können.“ Dass es dazu kam, verdankt sie nicht nur dem Finder und Hans Guido Schmidt, der sie mehr als zwei Jahre im Dorfbrunnen aufbewahrte, sondern auch ihrer Tochter Gerti Jüssen. Die nämlich hatte durch Zufall den Facebook-Post gesehen und auf den Aufruf reagiert.

Heute hängt die Figur wieder an ihrem angestammten Platz im Esszimmer. Auch wenn Anneliese Jüssens Mutter schon lange nicht mehr da ist, das Erdgeschoss des Fachwerkhauses komplett saniert werden musste und Anneliese Jüssen sich inzwischen vollständig neu eingerichtet hat, war ihr die „Heimkehr“ der Figur sehr wichtig.

Die Jesusfigur und die Johannesfigur stehen nebeneinander im Metternicher Dorfbrunnen.

Im Dunklen wachten Johannes und Jesus gemeinsam über die Metternicher.

„Jetzt hoffe ich, dass auch noch der Jesus seinen Besitzer findet“, sagt die Metternicherin Luzia Linden. Sie befürchtet, dass die Figur bereits eine längere Reise hinter sich hat. 43,6 Kilometer fließe die wist von Kahlenberg bei Altenahr bis in die Erft zwischen Weilerswist und Bliesheim, sagt sie. Von überall dort könne die Figur gekommen sein. Bei den Metternichern jedenfalls habe sie einen Platz gefunden, erzählt Schmidt.

Inzwischen hat die Jesus-Figur einen eigenen Altar im Unterdorf bekommen 

Einmal im Jahr während der Johannes-Prozession werde der heilige Täufer durch den Wald getragen. Und auch der Jesus wird an diesem Tag nicht vernachlässigt. Im Unterdorf habe dieser zu diesem Anlass inzwischen einen eigenen, aufwendig geschmückten Altar erhalten. „Durch das Dorf getragen wird er aber nicht, das ist dem Schutzpatron vorbehalten“, erläutert Schmidt.

Einige Metternicher, so Schmidt, meinten, dass dem Schutzpatron außerdem der Platz im Täufer-Brunnen vorbehalten sein müsste: „Es gibt hier Leute, die würden sich freuen, wenn der Jesus raus ist.“ Schmidt hält das für arg konservativ. „Man kann sich auch anstellen“, stimmt Gerti Jüssen ihm zu.

Für die Christin ist die Tatsache, dass gleich zwei Heiligenfiguren aus nicht besonders robustem Material die Flut überlebt haben, ohne größeren Schaden zu nehmen, dass beide in Metternich angespült wurden und Asyl bei Johannes fanden, nichts anderes als das „kleine Flutwunder von Metternich“.


Wem gehört die Jesusfigur?

Eine Jesusfigur aus Gips mit rotem Umhang steht zwischen Blumen.

Wer vermisst diese Jesus-Statue? Der Eigentümer der Gipsfigur wird gesucht.

Durch die Flut im Sommer 2021 wurde in Metternich eine Herz-Jesu-Figur angespült. Die Figur ist etwa 60 Zentimeter hoch, trägt einen roten Umhang und ist aus Gips.

Seit mehr als zwei Jahren steht sie inzwischen neben der Figur von Johannes dem Täufer im Metternicher Dorfbrunnen. „Aber es wird Zeit, dass die Figur zurück nach Hause findet“, sagt die Metternicherin Luzia Linden. Sicher werde sie schon vermisst. Gerti und Anneliese Jüssen vermuten, dass die Figur ursprünglich aus einer Kirche oder Kapelle stammt. „So eine große Herz-Jesu-Figur hat normalerweise doch keine Privatperson zu Hause“, sagt Gerti Jüssen. (kkr)

Wer Figur oder Besitzer kennt, selbst der Eigentümer ist oder die Kirche kennt, aus der sie stammt, kann sich per E-Mail an die Redaktion dieser Zeitung wenden.

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