Projekt in ZülpichAlter Bauernhof wird Zuhause für Menschen mit Behinderung

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Im Innenhof des ehemaligen Bauernhofs türmt sich der Schutt. Auf Investor Jörg Schumacher wartet noch viel Arbeit.

Im Innenhof des ehemaligen Bauernhofs türmt sich der Schutt. Auf Investor Jörg Schumacher wartet noch viel Arbeit.

Zülpich-Bessenich – Der alte, tonnenschwere Eisentresor ist verschlossen. „Vielleicht schlummert darin noch ein kleiner Schatz. Dann werden wir mit dem Projekt etwas früher fertig“, sagt Jörg Schumacher. Darauf verlassen will er sich aber nicht. Entsprechend großzügig hat er den Zeitplan für die Renovierung und Sanierung eines 2000 Quadratmeter großen Bauernhofs in Bessenich ausgelegt.

Bis 2022 sollen 400 Quadratmeter Wohnraum für beeinträchtigte Menschen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf entstehen. Ein weiterer Teil der Hofanlage soll künftig ein Fahrradgeschäft beheimaten. Das „Velodome“ soll in drei Jahren fertig sein. „Mindestens 500.000 Euro meines privaten Vermögens und unzählige Arbeitsstunden werden in das Objekt fließen“, sagt der 48-Jährige. Vor zwei Monaten fiel der Startschuss. 70 Stunden pro Woche arbeitet der Fahrradhändler mit seinem Team seitdem an dem ehrgeizigen Projekt.

Tresor bekommt Ehrenplatz

Ein Freund Schumachers, der vor Jahren einen schweren Radunfall hatte und seitdem Schwierigkeiten hatte, in seinem ehemaligen Beruf wieder Fuß zu fassen, arbeitet mittlerweile für den Bessenicher und hilft bei der Renovierung des Hofes. Außerdem kommt zweimal in der Woche ein Ehrenamtler und unterstützt den 48-Jährigen. Seit November wurden bereits 50 Tonnen Eisen und Sperrmüll entsorgt – viele weitere werden hinzukommen. Der in einem Stall gefundene Tresor werde nicht ausrangiert. „Wir werden ihn öffnen lassen, und dann wird er im Velodome einen Ehrenplatz erhalten“, sagt er.

In den alten Stallungen des Bauernhofs wurden zwar die letzten Schweine vor 30 Jahren gefüttert, doch der unverkennbare Geruch ist immer noch allgegenwärtig. „Die Stallungen waren damals auf dem neuesten Stand der Technik. Es gab beispielsweise eine automatische Fütterungsanlage“, so Schumacher. Die Fenster des Stalls seien seitdem aber nicht wirklich geöffnet worden. „Derzeit braucht man viel Fantasie, um sich das, was hier entsteht, vorzustellen“, gibt Schumacher zu.

Im Bereich der Stallungen soll der barrierefreie Wohnraum inklusive Ruheraum, Küche und einzelner Zimmer für vier bis fünf junge Menschen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf entstehen. Dort sollen sie in familiärer Geborgenheit leben können. Doch wieso nimmt sich der Bessenicher dieses Projekts an, das wohl für viele eine Art Lebensaufgabe wäre?

Das, so sagt Schumacher, habe familiäre Gründe. Seine 16-jährige Tochter besuche zwar noch drei Jahre die Hans-Verbeek-Schule in Euskirchen, doch er wisse nicht, wie es danach weitergehe. „Die Situation, die sich für stark beeinträchtigte Personen in unserer Region ergibt, ist nicht so, wie ich sie mir für meine Tochter wünsche“, sagt er. Die Angebote seien zwar in den vergangenen Jahren schon deutlich besser geworden, doch gerade für schwer beeinträchtigte junge Menschen gebe es eine „Lücke im System“.

Diese Lücke möchte er mit seiner Wohngemeinschaft auf dem ehemaligen Bauernhof schließen. Schumacher: „Wir wollen zu den bestehenden Angeboten eine weitere Alternative bieten.“ Das Ziel sei es, eine Wohn- und Lebensumgebung zu schaffen, in der behinderte Menschen mittendrin statt nur dabei sind, sagt er. Teil dieses „Mittendrin“ soll auch ein Fahrradverleih samt Werkstatt für gebrauchte Räder sein. Das „Velodome“ soll behinderten Menschen einen Weg in den Arbeitsmarkt ermöglichen. In der Werkstatt sollen künftig gebrauchte Fahrräder auf Vordermann gebracht werden, die anschließend wieder verliehen werden. Der Verleih von Kinderrädern habe sich in seinem Fahrradgeschäft in Zülpich etabliert.

Kunden kaufen das Kinderrad dabei nicht, sondern leihen es. „Ist das Kind zu groß für sein Fahrrad geworden, wird das Rad vom Kunden zurückgebracht, und er erhält ein neues, passendes. Dafür zahlen die Kunden dann weiter die Leihgebühr. Davon haben alle etwas“, erklärt Schumacher, der im vergangenen Jahr von jedem verkauften Fahrrad 20 Euro in das Wohnprojekt gesteckt hat. Ein guter fünfstelliger Betrag sei so zusammengekommen.

Familiäres Umfeld

Mit seiner Frau Alexandra und fünf weiteren Freunden hat der Geschäftsmann vor einigen Monaten den Verein „miteinander.regional.alle.“ gegründet, um das Wohnprojekt in Bessenich zu realisieren. Die Gründungsmitglieder erhoffen sich so, auch Förderer zu finden. „Es ist nicht auszuschließen, dass weit mehr als 500.000 Euro investiert werden müssen“, sagt Schumacher. Um für diesen Fall gerüstet zu sein, habe er den Verein gegründet, da es als Verein leichter möglich sei, Zuschüsse und Unterstützung von Sponsoren, Förderern und öffentlichen Stellen zu erhalten.

Sämtliche Maßnahmen orientieren sich laut Schumacher am neuen Teilhabegesetz der Bundesregierung, das seit dem 1. Januar die Selbstbestimmung von behinderten Menschen neu geregelt hat. Zweck des Gesetzes ist es, ältere, pflegebedürftige oder behinderte volljährige Menschen in betreuten gemeinschaftlichen Wohnformen vor Beeinträchtigungen zu schützen und sie dabei zu unterstützen, ihre Interessen und Bedürfnisse durchzusetzen.

„Uns ist es unheimlich wichtig, dass die Menschen bei uns in einem familiären Umfeld leben, das sich an ihren individuellen Bedürfnissen orientieren soll“, so Schumacher. Diese Bedürfnisse zu erkennen, sei absolute Feinarbeit. Erkannt werden sollen sie von ausgebildeten Heilpädagogen und Pflegern. Bis das soweit ist, liegt aber noch viel Arbeit vor Schumacher und seinem Team.

www.mra-zuelpich.de

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