Subkultur CosplayEine 19-jährige Zülpicherin erzählt, wie es ist, ein Furry zu sein

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Eine 19-Jährige steht in einer Fußgängerzone und trägt eine plüschige Maske. Im Maul befindet sich ein Fisch aus Stoff.

Selina Klein aus Zülpich steckt in ihrem Manokit-Kostüm. Ein Manokit ist ein Fantasiewesen – eine Mischung aus Hai und Fuchs. Zunächst fiel es der 19-Jährigen schwer, mit ihren selbst hergestellten Anzügen in die Öffentlichkeit zu gehen. Mittlerweile macht es ihr Spaß.

Die 19-jährige Zülpicherin Selina Klein (Name geändert) ist ein Furry. Das ist eine Subkultur, die eng mit dem Cosplay verwandt ist.

Immer wenn Selina Klein aus Zülpich (Name geändert) ihren plüschigen Anzug anzieht, die klobigen Tatzen über ihre Finger streift und in die wuchtigen Schuhe mit den sechs Krallen – drei an jedem Schuh – schlüpft, dann möchte sie nicht mehr als Selina Klein angesprochen werden. Dann heißt sie nur noch Galaxy.

Kleins Kostüm hängt schlaff an einem Kleiderhaken. Der Kopf liegt auf der Couch. Es ist ein Wolf in den Farben der Milchstraße: tiefes schwarz, indigo, violett. Er hat große, eisblaue Augen. Sein Blick ist erstaunt, aber freundlich. Für die 19-Jährige ist er mehr als bloß ein aufwendig gestaltetes Kostüm.

Die Rollen werden nicht nur durch das Kostüm wiedergegeben

„Er ist ein eigener Charakter“, erklärt sie und lässt ihre rechte Hand auf seinem abnehmbaren Kopf ruhen wie auf einem geliebten Haustier. Diesen Charakter nenne man auch „Fursona“. Diese Bezeichnung setzt sich aus dem englischen Wort für Fell („fur“) und dem Theaterbegriff für Figur oder Rolle („persona“) zusammen. Der Wolf Galaxy ist also sozusagen eine fellige Rolle, in die die Zülpicherin manchmal schlüpft.

Ein plüschiger Manokin und ein plüschiger Wolf, der eine LED-Sonnenbrille trägt, halten sich im Arm.

Verliebten sich in Figur und den Menschen darin: Klein und Taylor.

Diese Bezeichnung hat Klein sich aber nicht selbst ausgedacht. Die Vokabel stammt aus einer Subkultur, der sie angehört: „Wir nennen uns Furries.“ Dieser Fankult hat seinen Ursprung in den 1980er Jahren in den USA und ist eine Unterkategorie des Cosplays. Cosplayer sind dafür bekannt, dass sie sich als Figuren aus Lieblingsfilmen, -mangas, - comics, oder -computerspielen verkleiden.

Ihre auserwählte Rolle versuchen sie dabei nicht nur durch das Kostüm, sondern auch durch Gestik, Mimik und Charaktereigenschaften möglichst originalgetreu wiederzugeben. Von anderen Cosplayern unterscheiden sich Furries darin, dass ihre Rolle nicht menschlich ist. „Wir sind anthropomorphe Tiere“, erklärt Klein. Also Tiere und tierähnliche Fantasiewesen, die dem Menschen ähnlich sind, die sprechen können, ihre Gedanken äußern – und (meistens) auf zwei Beinen laufen.

Die Zülpicherin war schon immer kreativ und fasziniert von Tierwesen

Als Selina Klein in der achten Klasse war, habe sie noch nichts von der Subkultur gewusst, erzählt sie. Einzig mit einem enormen Gestaltungswillen, einer Faszination für Tierwesen, einer großen Portion Geduld und zehn geschickten Fingern war die damals 14-Jährige ausgestattet.

„Selina war schon immer kreativ – auf die eine oder andere Art“, sagt auch ihre Mutter Maria Klein (Name geändert). Das äußerte sich mal in der Begeisterung für die japanische Faltkunst Origami -Selina Klein faltete meistens Tiere. Mal in einer Faszination für Perlenkunst – Selina Klein knüpfte meistens Tiere.

Selina Klein sitzt im Wohnzimmer an einer Nähmaschine. Auf einer Couch liegen selbst genähte Tierköpfe.

An der Nähmaschine ihrer Mutter begann Selina Klein mit 14 Jahren, die Kostüme zu entwerfen, die sie „Fursuits“ nennt.

Auch in der Schule kritzelte die Zülpicherin beim Zuhören immerzu auf einen College-Block herum. Dabei entstanden manchmal Pokémon, häufig Hybridwesen aus ihrer Fantasie: nicht mehr ganz Tier, noch nicht ganz Mensch. Eines davon war der Wolf Galaxy in den Universumsfarben. „Damals habe ich aber noch nicht gewusst, dass das, was ich da tat, genau die Dinge sind, die Furries tun“, sagt sie heute.

Im Internet stieß die Schülerin auf ein Lehrvideo, das zeigte, wie man seine selbst entworfenen Hybridwesen mit Nadel, Stoff und Faden zum Leben erwecken könne. Also stöberte sie in den Schränken ihrer Eltern, schleppte die schwere Nähmaschine ihrer Mutter in ihr Kinderzimmer, kaufte günstige, farbige Kunstfelle und erstand ein paar Meter formgebenden Kaninchendraht. Dann stellte sie sich an die Werkbank, vergaß Zeit und Hausaufgaben und erschuf eine menschengroße, blaue Wolfshülle zum Hineinschlüpfen.

Bei Furwalks tragen die Fans ihre Kostüme zur Schau

Klein steht auf, nimmt ihren allerersten selbstgenähten Wolfskopf von der Couch und hält ihn wie ein Neugeborenes im Arm. Im Inneren kann man den verbauten Kaninchendraht sehen. Und all die Stellen, die nicht ganz perfekt vernäht sind. Von außen betrachtet würde aber niemand darauf kommen, dass der Wolfskopf das Erstlingswerk einer 14-jährigen Hobbynäherin ist.

„So richtig gemacht hab’ ich mit meinem Anzug aber erstmal nichts“, sagt Klein. Lange habe der sogenannte Fursuit bloß ungetragen im Schrank ihres Kinderzimmers gehangen. Dabei ging es beim Furry-Fandom – das Klein bis dato allein auf den Sozialen Medien verfolgte – auch darum, die Begeisterung für die flauschigen Tiercharaktere nach außen zu tragen. Das passiert bei den sogenannten Suit- oder Furwalks. Dabei treffen sich Furries aus ganz Deutschland, um gemeinsam durch Innenstädte zu spazieren.

Eine große Pfote wurde aus Stoff modelliert.

Die Details erfordern Geduld, geschickte Finger und Kreativität

Auf Turnschuhen sind plüschige Tatzen mit Krallen daran angebracht.

Unter dem Fell befinden sich bequeme Turnschuhe.

Doch das erfordert Mut. An den ersten Furwalk erinnern Selina Klein und ihre Mutter sich gut. Er fand in einem Kölner Park statt. Maria Klein hatte ihre Tochter hingefahren: „Aber Selina hat sich nicht getraut, mit ihrem Anzug aus dem Auto zu steigen.“ Die 19-Jährige hatte damals ihren selbst entworfenen „Manokit“-Anzug ausgewählt. Ein Manokit, erklärt sie, sei ein Mischwesen aus Fuchs und Hai. Es habe das Fell eines Fuchses und die Schwanzflosse eines Raubfischs. Doch auch wenn Klein die Flosse auf der Rückbank des Autos ihrer Mutter schon angelegt hatte, mangelte es ihr noch an dem zielstrebigen Urtrieb eines Raubtiers.

Als sich die junge Frau durchgerungen hatte auszusteigen, umkreiste sie die unbekannten Furries erst vorsichtig. Als sie sich schließlich ein Herz fasste und einen von ihnen ansprach, waren alle Sorgen verflogen. „Die anderen Fursuiter nahmen mich auf, als gehörte ich längst zur Familie“, sagt Klein. Freunde fände man in dieser LGBTQ-offenen Community ziemlich schnell. Und manchmal sogar die Liebe.

Einige Furries sind in ihren Kostümen bei einem gemeinsamen Furwalk zu sehen.

Furries verkleiden sich als anthropomorphe Tiere und treffen sich mit anderen Furries zu sogenannten „Furwalks“.

Brandon Taylor (Name geändert) setzt sich neben Selina Klein auf die Couch. Der 22-Jährige ist gerade aus Nürnberg angereist, um seine Freundin in Zülpich zu besuchen. Kennengelernt haben die beiden sich im Internet, in Chat-Gruppen für Furries, erzählt er. In einer Telegram-Gruppe für Furry-Künstler habe er ihr vor drei Jahren einfach geschrieben. Es war ein einfaches „Hi, wie geht's?“ – wie bei den meisten Menschen, die sich online kennenlernen.

Furries verlieben sich immer zweimal

So richtig verliebt hätten sie sich dann aber erst im „echten Leben“: auf einem Suitwalk in Mannheim zwischen etwa 40 weiteren Menschen in flauschigen Anzügen. Wenn Furries sich auf einem Suitwalk verlieben, dann verlieben sie sich gleich doppelt. „Einmal in die Person, einmal in die Fursona“, erklärt Taylor. Selina Klein verliebte sich in Taylor aus Nürnberg und den Wolf Nylo. Brandon Taylor verliebte sich in Selina Klein und den Manokit Midas.

Ein plüschiger Manokin und ein plüschiger Wolf stehen am Ufer eines Flusses und schauen auf die vorbeiziehenden Schiffe.

Gemeinsam macht das Furry-Paar Ausflüge – auch in den Anzügen.

„Wenn Selina in dem Anzug steckt, dann ist sie offener und mutiger“, erklärt Taylor. Selina nickt: „Man fühlt sich anonym und frei.“ Dann zeigt sie ein Video von sich. In ihrem felligen Kostüm tanzt sie in einer Turnhalle ausgelassen zu einem Rocksong. „Fursonas helfen einem, für eine Weile aus einem tristen, recht monotonen Leben auszubrechen“, sagt der Lagerist aus Nürnberg: „Ich meine, wir stecken in diesen fröhlichen, bunten Anzügen. Wie kann man dabei ernst bleiben?“

Selina Klein lacht und nickt. Sie ist Papiertechnologin und findet, dass das Hobby eine perfekte Abwechslung zu ihren anstrengenden Wechselschichten ist. Furries, sagt Taylor, finde man in jedem Beruf: Er kenne viele, die im IT-Bereich tätig seien, aber auch Lkw-Fahrer, Berufssoldaten, Polizisten und Rettungskräfte. „Egal, wohin man mit dem Finger auf der Landkarte zeigt, im Umkreis von 20 Kilometern findet man immer eine Handvoll Furries“, sagt er und lacht.

Im Internet schlägt den Furries viel Hass entgegen

Doch nicht jeder findet das Hobby niedlich bis schrullig. „Im Netz schlägt uns eine Menge Hass entgegen“, sagt Taylor: „In den Sozialen Netzwerken wünschen uns die Menschen alles – von schweren Verletzungen bis hin zum Tod. Weil wir süße Tiere sind.“ Und der Hass beschränkt sich nicht  aufs Internet. Auch bei den Furwalks sind immer Spotter, also Aufpasser dabei, die auf die „Suiter“ achtgeben. Sie bewahren die Furries zum einen davor, dass sie mit Anzügen, die in einer Preisklasse von 2500 bis hin zu 6000 Euro rangieren, in eine Pfütze treten, von Kindern mit dreckigen Fingern beschmiert, oder am Schwanz gezogen werden.

Aber zum anderen auch davor, dass sie belästigt oder gar tätlich angegriffen werden.„Ich weiß nicht, was die Hater haben“, sagt Taylor. Vielleicht sei es das Konzept, das ihnen nicht passe. Dass für manche gelte: Tier ist Tier und Mensch ist Mensch. Und dass so eine Zwischenform dann schwer auszuhalten sei.

Klein vermutet, dass es so ist wie mit allen Dingen, bei denen Menschen zusammenkommen, weil sie Freude an einer Sache haben. Es werde immer diejenigen geben, die es verlachen, und leider auch die, die es einem verleiden wollen. Doch die haben bei Selina Klein und Brandon Taylor kein leichtes Spiel. Denn für die beiden ist das Furry-Fandom mehr als eine Phase. „Es ist ein Lifestyle“, sagt Taylor. Und zwar einer, der das Leben bunter und fröhlicher mache. „Wir können nicht mehr ohne. Das Leben wäre langweilig.“

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