KindesmissbrauchLehrer enttarnen Sextäter in Leverkusen

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Die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität glänzt mit Fahndungserfolgen.

Die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität glänzt mit Fahndungserfolgen.

  • Wegen Missbrauchsvorfällen ist der Vater einer neunjährigen Tochter aus Leverkusen festgenommen worden.
  • Er soll das Mädchen jahrelang missbraucht, dabei gefilmt und die Aufnahmen im Internet verbreitet haben.
  • Den entscheidenden Hinweis zur Ergreifung des Verdächtigen brachte eine bundesweite Schulfahndung: An alle 15.578 Grundschulen in Deutschland wurden Aufnahmen geschickt.
  • Schließlich meldete sich ein Lehrer aus Leverkusen. Dem Vater drohen jetzt bis zu 15 Jahre Haft.
  • Auch in Bayern konnte auf diese Art schon ein Täter gestellt werden.

Köln – Es war der Morgen des 3. März, als der Durchbruch gelang. Ein Grundschullehrer aus Leverkusen meldete sich beim Landeskriminalamt und sagte, er kenne das Mädchen auf dem Bild, sie sei seine Schülerin. Die Ermittler fuhren zur Adresse des Kindes und nahmen den Vater fest.

Der Vorwurf wiegt schwer: Der 40-Jährige soll seine neunjährige Tochter seit September 2012 missbraucht, fotografiert und die Bilder im Internet verbreitet haben. Jetzt sitzt er wegen Flucht- und Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft. Die Kölner Staatsanwaltschaft arbeitet bereits an der Anklage. Dem Familienvater drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Monatelang hatten die Ermittler an dem Fall gearbeitet. Im Sommer 2015 wurde das Bundeskriminalamt in Wiesbaden von Kollegen aus dem Ausland auf das kinderpornografische Material aufmerksam gemacht. Doch selbst Analysen der Spezialisten gaben keinen Hinweis darauf, wo genau die Bilder entstanden sein könnten.

Schulfahndung an allen 15 578 Grundschulen

Also griffen die Beamten zum letzten Mittel: Sie leiteten Mitte Februar eine Schulfahndung ein und schickten ausgewählte Aufnahmen an alle 15 578 Grundschulen im Bundesgebiet. Bereits zwei Wochen später kam der Hinweis aus Leverkusen.

Die Beamten der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) waren erleichtert, denn die Fahndung mit Opferbildern an Schulen gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. „Der Aufwand ist groß, aber er lohnt sich“, sagt der Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander Badle, Sprecher der ZIT. „Jedes Opfer, das wir identifizieren und von seinem Leid befreien können, ist ein Erfolg, der den Aufwand absolut rechtfertigt.“

Die ZIT wurde 2010 ins Leben gerufen und von der Politik als „Leuchtturm-Projekt“ in der Bekämpfung der Internetkriminalität gefeiert. Die Büros der Zentralen Ermittlungseinheit im hessischen Gießen sind dagegen alles andere als ein Hightech-Zentrum. In einem lichtdurchfluteten Raum unter dem Dach des Amtsgerichts sitzen fünf Staatsanwälte an ihren Schreibtischen, jeder hat einen Computer, drum herum türmen sich Aktenberge. „Die ZIT leitet die Ermittlungen und beschafft die dafür erforderlichen richterlichen Beschlüsse“, sagt Badle. Die Recherche im Internet übernehmen je nach Fall das BKA oder die Landeskriminalämter.

Jede Kleinigkeit kann ein Hinweis sein

Zunächst versuchen die Ermittler über den Zugang zu kinderpornografischen Netzwerken an die Bilder von Opfern zu gelangen. Dann beginnt die „detektivische Puzzlearbeit“, wie Badle sagt. Tapetenmuster, Möbel, Marke und Baujahr des TV-Geräts, ein markantes Haus im Hintergrund – jede Kleinigkeit kann einen Hinweis geben, wo und wann das Foto entstanden sein könnte. „Unser Vorteil ist, dass wir es oft mit triebgesteuerten Tätern zu tun haben. Sie sind eher unvorsichtig und machen sich weniger Gedanken um ihre Sicherheit.“

Erst wenn die Ermittler mit technischen Mitteln nicht weiterkommen, leiten sie die Schulfahndung ein. Die Bilder werden verschlüsselt über sichere Datenleitungen zur Verfügung gestellt, oder ganz altmodisch von Polizisten per Auto gebracht. Dann heißt es Warten auf einen Treffer. „Im Schnitt erreichen uns pro Fahndung zehn Hinweise. Statistisch dauert es 40 Tage, bis der Täter ermittelt ist“, so Badle. Die Erfolgsquote liegt bei nahezu 100 Prozent.

„Die Schulen einzubinden, ist für uns das letzte Mittel“, sagt Badle. „Auch wenn wir selbstverständlich keine Bilder von sexuellen Handlungen, also von Straftaten zeigen, ist das natürlich belastend.“ Tatsächlich erntete die ZIT anfangs vor allem von den Lehrern Kritik. „Einige Lehrer fragten uns, wie wir ihnen so etwas nur zumuten könnten“, erinnert sich der Oberstaatsanwalt. „Dafür hatte ich wenig Verständnis. Immerhin geht es um die Aufklärung schwerer Straftaten.“

Inzwischen scheint die Zusammenarbeit mit den Schulen sehr gut zu funktionieren. Nur einen Tag nach der Festnahme in Leverkusen fassten die ZIT-Fahnder im bayrischen Landkreis Günzburg einen 45-jährigen Mann. Er soll seine heute 13-jährige Cousine seit Oktober 2013 schwer missbraucht haben. Den entscheidenden Hinweis lieferte nach der Schulfahndung ein Lehrer des Mädchens.

Missbrauch an Kindern ist alltäglich

In Deutschland ist der Missbrauch an Kindern alltäglich. Jedes Jahr gehen rund 12 500 Anzeigen ein, Experten gehen von einem gewaltigen Dunkelfeld aus. Studien zufolge sind rund eine Millionen Kinder und Jugendliche aktuell von Missbrauch betroffen, also jeder Zehnte.

Mädchen werden häufiger Opfer als Jungen. In den meisten Fällen ist der Täter männlich und kommt aus dem familiären Umfeld. Eine aktuelle Expertise des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung spricht von einer „Volkskrankheit“, vergleichbar mit „Typ-2-Diabetes“.

Seit der Einführung der ZIT-Methode 2012 hat das ZIT zwölf Schulfahndungen eingeleitet, zehn Mal war sie erfolgreich, eine Fahndung läuft derzeit. Nur einmal verlief die Suche ergebnislos.

Die ZIT konnte seit der Gründung vor sechs Jahren knapp 3500 Fälle von Kinderpornografie und mehr als 120 Fälle von Kindesmissbrauch aufklären. (cp)

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