Kulturrevolten in LeverkusenEin Jahr zwischen großer Wut und großartigen Werken

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An einem Wochenende im Juni blockierten die Kulturdemonstranten die Dönhoffstraße und die Fußgängerzone.

An einem Wochenende im Juni blockierten die Kulturdemonstranten die Dönhoffstraße und die Fußgängerzone.

Leverkusen – Es ist – gleich nach dem geplanten oder nicht geplanten, möglichen oder unmöglichen und noch lange nicht entschiedenen Bau von Rheinbrücke, Tunnel und Stelze – das beherrschende Thema im Jahr 2016. Und es beschäftigt nicht nur die betroffenen Kulturschaffenden, sondern alle Leverkusener: das Gutachten, das die Wirtschaftsprüfer der KPMG im Februar vorlegen.

Es besagt, dass die Kultureinrichtungen der Stadt – allen voran das Museum Morsbroich und die Musikschule, die zur „Kultur-Stadt-Lev“ gehören – defizitär arbeiten und jährlich eines Millionenzuschusses bedürfen.

Experten empfehlen Schließung des Museum Morsbroich

Die Empfehlung der Experten lautet: Museum schließen. Geld für die Musikschule kürzen. Und am besten auch die jährliche Förderung an die Institutionen der freien Szene – darunter zahlreichen Laientheater und Kunstvereine – zurückfahren. Selbstredend dauert es nicht lange, bis den Leverkusenern, salopp gesagt, der Kamm schwillt und das ganze Land hellhörig wird: Die Mitglieder des Kulturausschusses verweigern dem Gutachten die Anerkennung.

Alles zum Thema Gerhard Richter

Kunstfreunde aus dem ganzen Land äußern sich bestürzt zu der empfohlenen Museums-Schließung, darunter auch Gerhard Richter als derzeit populärster und teuerster lebender Künstler. Die überregionalen Medien rufen plötzlich in Leverkusen an und berichten und kommentieren. Und die Mitglieder der freien Szene beginnen damit, sich regelmäßig zu treffen und Pläne auszuhecken, wie der drohende Kahlschlag der hiesigen Kultur verhindert werden könne.

Ensembles protestieren mit stummen Konzert

Neben eher unrealistischen Vorschlägen, die in Richtung von zivilem Ungehorsam und Hausbesetzungen gehen, kommen am Ende auch viele herrlich kreative und Aufsehen erregende Aktionen heraus.

So präsentieren sich die Mitglieder sämtlicher Musikschulensembles, -Orchester und -Gruppen vor der Rathausgalerie und spielen ein „stummes Konzert“, um zu zeigen, wem da in Zukunft so alles der Geld-Saft abgedreht werden könnte. Sie tragen Hunderte Paar Schuhe zusammen, die symbolisch für all die Kinder und Jugendlichen stehen, die bei einem Eingriff in den Musikschulunterricht quasi „auf der Straße landen“ könnten.

Karneval in den Sommer verlegt

Im KAW, dem Jungen Theater und anderen freien Einrichtungen sammeln die Aktivisten zig Unterschriften für den Erhalt der kulturellen Vielfalt in Leverkusen und legen diese den Kommunalpolitikern in Kulturausschuss und Rat vor. Und nicht zuletzt verlegen die Protestierenden kurzerhand den Karneval in den Sommer und füllen ihn mit Wut anstatt Spaß, in dem sie sich einem Protestmarsch mit Verkleidungen und Plakaten durch Wiesdorf anschließen.

Kultur rein nach Zahlen

Wie es 2017 weitergeht in Sachen Kultur weiß bis heute zwar noch niemand. Zudem muss festgehalten werden, dass das verhasste und so scharf angegangene Gutachten der KPMG erst einmal nichts anderes ist als eine Empfehlung von Ökonomen, die Kultur rein nach Zahlen bewerten.

Dennoch: Die Leverkusener Kulturfreunde haben 2016 bereits gezeigt, dass sie viele sind. Dass sie kreativ sind und sich jederzeit etwas einfallen lassen können, um auf ihre Meinung aufmerksam zu machen. Ihr Credo „Kultur ist lebenswichtig“ leben sie konsequent.

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