„Meinen Weg gefunden“Wie ein Leverkusener Schüler den Islam für sich entdeckte

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Die Zahl jener Jugendlichen, die zum Islam konvertieren, steigt jedes Jahr.

Die Zahl jener Jugendlichen, die zum Islam konvertieren, steigt jedes Jahr.

Leverkusen – Der Islam als bedrohliches Mysterium, wegen dem sich Menschen in die Luft sprengen und Unschuldige in den Tod reißen, wegen dem Frauen in Saudi-Arabien kein Auto fahren dürfen und Kriege entfacht werden. Ein Leverkusener Schüler blickte hinter dieses Mysterium und entdeckte den Islam neu. Schließlich beschloss er sogar, zum Islam zu konvertieren. Im Interview mit Dora Cohnen spricht der 18-Jährige auch über seine Beweggründe und wie die Religion seinen Alltag beeinflusst.

Wann und wie bist du zum Islam konvertiert?

Lars (Name geändert): Das war ungefähr vor einem Jahr. Bei einem Freund zu Hause, im Garten haben wir gegrillt. Ich hatte schon vorher vor, zu konvertieren.

Das geht wie?

Indem man sein Glaubensbekenntnis, die „Schahara“, ausspricht. Auf Deutsch heißt das so viel wie „es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Gesandter“. Natürlich hatte es einen Weg, ich habe mich lange vorher mit dem Islam beschäftigt, eine Koranübersetzung gelesen und Überlieferungen von den Propheten.

Am Anfang . . .

 . . habe ich eine deutsche Übersetzung gelesen, doch ich lerne arabisch zu lesen, um den Koran auch rezitieren zu können. In lateinischen Buchstaben ist es nicht das gleiche. Aufgrund der Kritik in den Medien hat es meine Aufmerksamkeit geweckt und so habe ich ein halbes Jahr vor der Konvertierung begonnen, mich intensiv mit dem Islam zu beschäftigen.

Über seine Zeit als Protestant

Vorher warst du . . .

 . . Protestant und durch meine Recherche habe ich auch erfahren, dass es im Islam Jesus gibt und das er dort ein Prophet ist. Dann habe ich mir die Frage gestellt, wo jetzt der Unterschied liegt. Ich habe viele Parallelen entdeckt und mit der Zeit für mich festgestellt, dass Mohammed und Jesus Propheten sind und Jesus nicht Gottes Sohn. Das war der Anfang.

Und dann . . .

 . . habe ich mich mit den Wundern des Koran beschäftigt und den wissenschaftlichen Wundern, die darin stehen und belegt worden sind. Zum Beispiel stand schon im Koran, dass das Universum unendlich und die Erde eine Kugel ist – und die Planeten eine feste Umlaufbahn haben. Das alles sind Sachen, die man zu der Zeit, als der Koran entstanden ist, schwer hätte wissen können und meinen Glauben bestärkt haben.

Warst du da als Christ schon sehr religiös oder kam das erst mit der Konvertierung zum Islam?

Ich habe nie stark an dem Glauben festgehalten. Ich habe natürlich einiges gelernt, zum Beispiel durch den Konfirmandenunterricht, und habe immer geglaubt, dass es da noch etwas Größeres geben muss, aber ich war nie stark gläubig.

Recherchierst du etwas nach, wenn du etwas Kritisches in den Nachrichten hörst, wie jetzt zum Islam?

Eigentlich schon. Wenn etwas meine Aufmerksamkeit weckt, informiere ich mich schon darüber, genauer und auch aus mehreren Quellen. Ich bin jemand, der nicht grundsätzlich alles glaubt, was er gesagt bekommt oder in den Nachrichten läuft.

Du betrachtest also alles kritisch und aus verschiedenen Perspektiven und bildest Dir Deine Meinung?

Genau. In einem Film über Mohammed sagt ein christlicher Priester, dass das Christentum und der Islam wie zwei Strahlen von der selben Lampe seien, da es sehr viele Gemeinsamkeiten hat, auch mit dem Judentum.

Deiner Meinung . . .

 . . und islamischer Meinung nach ist der Islam die Fortsetzung des Christentums. Jesus war ein Prophet und Mohammed der letzte, jeder Prophet hatte seine Wunder und der Islam „aktualisierte“ viel. Es gibt ja auch verschiedenste Ausgaben der Bibel, es wurde vieles politisch verändert, sie wurde lange Zeit mündlich überliefert und Mohammed sollte sozusagen mit dem Koran nochmals aufklären. Muslime glauben auch an die Tora und die Bibel ist ebenfalls eine Säule des Glaubens. Es gibt ja die fünf Säulen des Islams und die sechs Säulen des Glaubens. Man hält sich aber an das aktuellste, und das ist der Islam.

„Der Glaube ist eine Art des Lebens“

Du bist also aus einer Neugier heraus zum Islam konvertiert?

Ja (lacht). Ich habe mich auch viel mit Freunden darüber unterhalten. Mein Freundeskreis ist eher muslimisch geprägt. Da ich sportlich war, beispielsweise keinen Alkohol getrunken und selten geraucht habe, ist es mir leicht gefallen, das zu unterlassen. Da habe ich erkannt, dass der Glaube eine Art des Lebens, ein Weg ist – und er auch das Beste für seine eigene Gesundheit lehrt.

Inwiefern erkennst du Parallelen zu anderen Religionen?

Der Stammesvater ist Abraham und der ist im Christen- und Judentum und im Islam verankert. Auch Jesus und Maria werden im Koran erwähnt. Die Namen sind im Arabischen etwas anders: Maria zum Beispiel nennt man Meryem. Der Name Jesus taucht gar öfter im Koran auf als der Name Mohammed! Manche muslimische Frauen tragen auch einen Schleier und das nicht nur, weil es die Frauen des Propheten Mohammed taten, sondern auch, weil Maria, die Mutter Jesus, sich bedeckt hat.

Mich interessiert dieser Schritt vom nichtgläubig sein zu sehr gläubig in einer anderen Religion als deiner ursprünglichen.

Die Gründe, die hauptsächlich meinen Glauben bestärkt haben, waren Aspekte wie die Wunder im Koran. Die Sprache, die dort verwendet wird, ist sehr hoch und im Aufbau gibt es viele interessante Einzelheiten zu entdecken. So kommt das Wort „Tag“ genau 365 Mal vor und auch die Expansion des Universums wird darin beschrieben. Die stilistischen Mittel sind einfach krass und man entdeckt immer mehr dieser „Wunder“. Man sagt deswegen, dass der Koran, je älter er ist, jünger wird.

Dieses Buch kann also . . .

 . . niemand einfach so geschrieben haben, die Verse müssen herabgesandt worden sein. Mohammed war nach den Überlieferungen Analphabet und erhielt die Worte vom Engel Gabriel, der auch im Christentum und Judentum existiert und rezitierte sie. Im Laufe der Zeit wurden sie dann aufgeschrieben.

Wie der Islam den Alltag beeinflusst

Wie beeinflusst der Islam deinen Alltag?

Der Islam prägt meinen Alltag, aber er schränkt mich nicht ein. Mit Dingen wie Alkohol- oder Shishakonsum habe ich mich nicht so sehr verbunden gefühlt – und auch vor der Konvertierung habe ich kaum Schweinefleisch gegessen, da die Proteine minderwertig und im Fitnessbereich nicht so wünschenswert sind. Ich versuche fünfmal am Tag zu beten, sofern es passt. Und neben der spirituellen Seite, bei der man versucht, seine innere Ruhe zu finden, muss man die rituelle Reinheit beachten.

Was gehört dazu?

Dass man sich zuerst die Hände wäscht, dann seinen Mund und seine Nase ausspült und so weiter. Das sind Kleinigkeiten, die auch deinem Körper gut tun. Da gibt es zum Beispiel die Bewegungen, die man während des Gebets macht, von denen Elemente im Yoga zu finden sind. Sie haben eine beruhigende Wirkung auf deine Seele.

Gehst du auch in die Moschee? Wenn ja, wie empfangen dich die Leute?

Manchmal kommt man mit Leuten ins Gespräch und dann fragen sie, wo man herkommt und wer man ist. Ich wurde auch schon für einen Albaner gehalten. Wenn man dann erzählt, dass man Deutscher ist, sind die Leute ziemlich begeistert, dass ich sozusagen „den Weg“ gefunden habe und dass ich mich in meinem Alter schon dafür interessiere. Meistens sind es eher 30- bis 40-Jährige, die sich darüber Gedanken machen – Jugendliche haben oft andere Sachen im Kopf.

Stimmt, wer in unserem Alter kann schon von sich behaupten, einen klaren Weg zu gehen?

Es ist irgendwie so, dass ich schon immer etwas gesucht habe, aber es noch nicht wirklich auf Papier gefunden habe – bis vor einem Jahr. Im Koran hat man Klarheit, es gibt zwar Übersetzungen, aber überall auf der Welt wird er nur auf arabisch rezitiert und es wird nichts daran geändert, während die Bibel im Laufe der Zeit schon oft politisch geändert wurde.

Der Gewinn durch die Religion

Du sprichst davon, dass du das gefunden hast, was du schon lange gesucht hast. Was ist denn ein Aspekt, den du „gewonnen“ hast?

Eine Sache, mit der sich Leute ungern beschäftigen, ist der Tod. Wir haben im Leben auf nichts eine Garantie, ob wir später den Beruf ausführen, den wir wollen oder lange noch gesundbleiben, bis darauf, dass jeder Mensch irgendwann stirbt. Die Frage und der Glaube an das Jenseits sind zentral in Religionen. Das einzige, was man in den Tod mitnimmt sind Taten – es ist egal, wie reich oder gar gesund du in deinem Leben warst. Dementsprechend ist es wichtig, ein guter Mensch zu sein und der Glaube stützt einen darin. Ich könnte weniger soziale Taten nicht mit meinem Glauben vereinbaren.

Du sprachst davon, dass der Koran nicht geändert wird. Gibt es einige Punkte, die du am Islam kritisierst und die du ändern wollen würdest?

Das ist eine interessante Frage. Der Koran wird von verschiedenen Personen oft verschieden interpretiert, am Koran selber habe ich nichts zu kritisieren. Ich kritisiere nur die Leute, die ihn falsch interpretieren. Man sollte sich immer den Kontext und den historischen Zeitpunkt klarmachen, denn es gibt auch zeitliche Abstufungen im Koran, der Alkohol wurde in drei Stufen verboten und da kann man sich nicht nur auf eine Stelle beziehen.

Mohammed wie auch Jesus . . .

 . . haben im wesentlichen Grundwerte vermittelt, wie Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit, an welchen man sich orientieren sollte. Ich finde es ziemlich schwer, den Koran falsch zu verstehen, das müsste man absichtlich machen, denn auch sprachlich ist er sehr präzise. In einer Sure heißt es, dass die einen die eine Religion haben – und andere eine andere. Und dass man jeden leben lassen sollte, wie er will, und dass es auch keinen Zwang innerhalb der Religion gibt. Das muss man auf die heutigen Lebensweisen übertragen.

Glaubst du, dass es für jeden Menschen einen individuellen „Weg“ gibt, oder dass der Islam für jeden der „eine Weg“ ist?

Ich sehe den Islam als den richtigen Weg, aber jeder Mensch sollte sein Leben leben wie er möchte und ist sich da selbst überlassen. Der Weg des Islams ist für jeden offen, aber jeder hat einen eigenen Willen und kann selbst entscheiden. Man kann ja niemanden zwingen, etwas zu glauben. Als Muslim sollte man aber den Islam und somit die guten Werte repräsentieren.

Wie haben deine Verwandten auf deine Entscheidung reagiert?

Na ja, die waren am Anfang skeptisch, aber mit der Zeit haben sich die Vorurteile gelöst. Manche haben es sogar sehr positiv gesehen, dass ich mich mit Religionen und Werten beschäftige. Im heiligen Monat Ramadan habe ich gefastet und gespürt, wie wertvoll Essen und Trinken ist. Das wurde positiv aufgenommen. Leute, die misstrauisch sind, informieren sich meistens auch nur sehr einseitig.

Wirst du für deine Entscheidung manchmal kritisiert?

Man sieht es mir jetzt nicht wirklich an, aber ich höre immer wieder von anderen Leuten, dass sie auf der Straße komisch angeguckt werden, wenn sie Bärte tragen, obwohl es viele einfach nur aus modischen Gründen machen.

Manchmal hört es sich so ein bisschen an, als ob der Islam ein neuer Lifestyle ist, von wegen Bart als modisches Accessoire, kein Schweinefleisch für die Fitness, Zitate von Suren auf Instagram . . .

Der Glaube ist ein Lebensstil, für den man sich bewusst entscheidet.

Wieso denkst du, wird der Islam so häufig kritisiert?

Das Problem ist, dass es Terrororganisationen gibt, die rein gar nichts mit dem Islam zu tun haben, aber im Namen des Islams Terror verbreiten. Das sind schwarze Schafe. Außerdem werden in den Medien gerne große Schlagzeilen verbreitet und Leute informieren sich nur einseitig. Es ist auf jeden Fall zu empfehlen, sich mit dem Islam und dem Christentum zu beschäftigen und Parallelen zu entdecken. Dann wird man erkennen, dass der Islam eine friedliche Religion ist.

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