Chempark LeverkusenBayer produziert jetzt gar nichts mehr in Leverkusen

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Parken – hier an der Kaiser-Wilhelm-Allee, Produzieren: Im Chempark ist beides wichtig. Die Bilanz zeigte gute Zahlen.

Parken – hier an der Kaiser-Wilhelm-Allee, Produzieren: Im Chempark ist beides wichtig. Die Bilanz zeigte gute Zahlen.

Leverkusen – Bayerwerk. Der Begriff ist gerade 125 Jahre alt geworden. Da ist es kein Wunder, wenn er sich hält. Hartnäckig.

Ernst Grigat sieht das gelassen. Oder versucht es: „Das braucht eben Zeit“, sagt der Mann, dessen Titel Chempark-Leiter ist. Diese Berufsbezeichnung trifft es mehr denn je. Mit der Kunststoff-Firma Covestro hat Bayer die nächste ganz große Einheit ausgegliedert.

Das hat symbolischen Charakter: Bayer produziert jetzt gar nichts mehr in Leverkusen. Was bleibt, ist der Tablettenbetrieb. Er wird zwar gerade grundlegend modernisiert und ausgebaut. Bayer gibt dafür 150 Millionen Euro aus. Aber der Betrieb liegt in Flittard, also Köln.

Früher galt die Devise: Produziert wird in Leverkusen.

Nach Köln kommt, was nicht viel bringt. Für Pharma-Produkte gilt das schon lange nicht mehr. Heute steht Lanxess an den Anlagen im Leverkusener Teil des Werks. Oder Covestro, Saltigo, vielleicht Momentive. Das alles war irgendwann mal Bayer – als sich der Riese noch nicht das Etikett „Life-Science-Unternehmen“ angeheftet hatte.

Reichlich Platz unterm Bayerkreuz

Ansonsten ist reichlich Platz unterm Bayerkreuz. Viele der Karrees, in denen Carl Duisberg vor 125 Jahren das Werk anlegte, heißen im Moment „Investitionsflächen“. Ein Begriff, der so bemüht positiv ist wie Chempark.

Dabei wäre das gar nicht nötig. Das legen jedenfalls die Zahlen nahe, die Ernst Grigat am Donnerstagabend zeigt. Die Bilanz für das Jahr 2016 weist 280 Millionen Euro Investitionen in neue Anlagen aus.

Das ist gegenüber dem Vorjahr zwar ein Rückgang um 27 Millionen, liegt aber im Korridor dessen, was der Chempark-Chef sich wünscht. „Wenn ein Unternehmen in neue Anlagen investiert, zeigt das: Es vertraut darauf, hier erfolgreich zu sein“, folgert Grigat und nennt einige Beispiele.

Ausbauprogramm von Saltigo

Neben dem großen Bayer-Projekt wäre da das Ausbauprogramm von Saltigo. Die frühere Feinchemie von Bayer gibt bis nächstes Jahr rund 60 Millionen Euro aus, um seine Synthese-Kapazitäten um ein Drittel zu erweitern.

Gut halb so viel investiert der Silikon-Spezialist Momentive in eine neue Anlage für Silane. Damit wird Ersatz geschaffen für ältere Produkte – Arbeitsplätze bleiben erhalten. Auf die Investitionsentscheidung bei Momentive ist Grigat besonders stolz: „Die Anlage sollte ursprünglich woanders hin.“ Schön, wenn sich sein Chempark im Wettbewerb der Standorte durchsetzt.

Ersatz schafft auch der Hausherr selbst. Der neue Rhein-Düker wird am Ende 12 Millionen Euro kosten. Im Frühjahr sollen die Rohre ans Netz angeschlossen werden. Die kritisch beäugte, fünfeinhalb Jahrzehnte alte Fluss-Unterquerung, durch die unter anderem das hoch giftige Kohlenmonoxid von Dormagen nach Leverkusen geleitet wird, braucht man nicht mehr.

Doch nicht nur Technik gehört zu einem funktionierenden Industriegelände. Ein zweites Parkhaus hat Currenta kürzlich in Betrieb genommen. 406 Plätze, 56 davon für Besucher. Die müssen jetzt nicht mehr durch den Besucherempfang geschleust werden, wenn sie ohnehin außerhalb des Werkszauns bleiben.

„Carl Duisberg hätte sich sicher sehr gewundert“, sagt Grigat mit Blick auf die vielen Abstellmöglichkeiten für Autos. Zu Zeiten des Bayer-Createurs „kamen die Arbeiter zu Fuß“. Was für viele in Ordnung war: Duisberg hatte ja die Kolonien bauen lassen.

Heute wäre mancher froh, so nah am Arbeitsplatz zu wohnen. Der Dauerstau ums Werk nervt die Belegschaft. Auch Grigat selbst, der als Chef aller drei Chemparks regelmäßig über den Rhein muss. „Was nicht in den Kostenkalkulationen steht, ist die verlorene Lebenszeit jedes einzelnen.“

Betriebswirtschaftlich lassen sich die Effekte der Brückensperrung eher fassen – bei 500 Lastwagen, die täglich durch den Chempark geschleust werden. 200 davon sind übrigens Gefahrgut-Transporte. Andere Wege als die Straße sind bei Currenta seit jeher selbstverständlich – soweit es geht. „Wir versuchen, so viel wie möglich auf Schiene, Schiff oder in Pipelines zu bringen“, sagt Grigat. „Aber das hat Grenzen.“

Jetzt, da der Brückenbau greifbar, aber eben auch absehbar ist, dass der Verkehr dadurch noch mehr ins Stocken gerät, geraten noch ein paar Stellschräubchen ins Blickfeld.

Dazu gehört, die An- und Ablieferung mit Lastwagen zeitlich auszudehnen. Das heißt: mehr Platz zu schaffen für Lkw, die dann eben etwas länger stehen. Auch über mehr Lagerkapazität denke man nach, sagt Grigat. „Für eine Übergangszeit würden wir das machen.“

Logistik anpassen, das verbucht man im Chempark im Zweifelsfall unter dem Posten Instandhaltung. Dafür geben die 50 Firmen nach Schätzung von Currenta in diesem Jahr rund 294 Millionen Euro aus. „Diese Zahl muss man mit Vorsicht genießen“, erläutert Grigat. Sie fuße auf Umfragen. Detailliert sei das aber nicht. Dennoch ist der Unterschied zum Vorjahr deutlich. Für 2015 berichtet Currenta von 225 Millionen Euro Ausgaben dafür, dass die Anlagen weiterlaufen. Insofern steht der Chempark in diesem Jahr noch etwas besser da. Aber selbst, wenn die Beträge für Instandhaltung in Wahrheit niedriger sein sollten, steht die Aussage des Chempark-Chefs: „Das ist der Pulsschlag eines kerngesunden Standorts.“

Dabei ist dem Mann, der in seiner Karriere schon Visitenkarten mit den Logos von Bayer, Lanxess und jetzt eben Currenta hatte, recht egal, wer auf den Chempark setzt. Dass die alte „Mutter Bayer“ wohl nicht mehr als 20 Prozent der Belegschaft und vielleicht 30 Prozent des Lands unter dem Kreuz repräsentiert – das ist eben der Lauf der Zeit.

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Belegschaft stabil

Kaum verändert hat sich in den vergangenen Jahren die Zahl der festen Arbeitsplätze unter dem Bayerkreuz. Für dieses Jahr zeigt die Bilanz 21 727 Beschäftigte. Das sind 55 weniger als 2015.

Deutlich höher ist die Gesamtzahl der Arbeitsplätze im Chempark: Denn mit 8889 sind im Vergleich zum vorigen Jahr 2561 Monteure mehr im Werk unterwegs. Das liege an den vielen laufenden Bauprojekten, heißt es bei Currenta. Mit 30 616 Jobs liegt die Beschäftigung im Chempark insofern im Vergleich des vergangenen Jahrzehnts auf Rekordniveau. (tk)

Mehr Ausbildung

Die Pensionswelle veranlasst die Unternehmen zu mehr Ausbildung. Derzeit lernen dort 1167 junge Leute einen Beruf. 953 werden bei Bayer, Covestro, Lanxess oder Currenta ausgebildet. Dazu kommen 151 aus der Ausbildungsinitiative Rheinland. Dort engagieren sich verschiedene Firmen. Im Starthilfe-Programm, das junge Leute fit für die Ausbildung macht, sind 63 Personen.

Flüchtlinge werden im Chempark ebenfalls auf eine Ausbildung vorbereitet. Wenn auch in sehr geringer Zahl. 13 Zuwanderer nehmen an einem speziellen Starthilfe-Programm teil. (tk)

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