Seit 1939 stillgelegt„Davidstern“ nimmt jüdischen Friedhof wieder in Betrieb

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  • Nach 77 Jahren hat der Verein Davidstern „seinen“ Friedhof als Teil des neu entstehenden jüdischen Lebens in Leverkusen in Betrieb genommen.
  • Eine einzige Bestattung hat es zwischen 1939 und 2015 gegeben.

Leverkusen – Die Sterbedaten auf den Grabsteinen gehen von 1855 bis 1939. In diesem Jahr, wenige Monate nachdem die Opladener Synagoge angezündet wurde, endete vorerst die Geschichte der jüdischen Gemeinde und damit die ihres Friedhofs. Bis auf eine Ausnahme wurde auf dem historischen jüdischen Friedhof an der Robert-Blum-Straße seither niemand mehr bestattet. Das hat sich vor kurzem geändert.

Drei neue Gräber mit den Sterbedaten 2015 und 2016 sind dort schon von der Straße aus zu sehen. Sie haben noch keine Grabsteine, die kommen erst nach einem Jahr Ruhezeit. Die Namen der drei Verstorbenen stehen auf Holztafeln. Statt des gewohnten Kreuzes ist darauf der Davidstern aufgedruckt. Es sind eine Frau, die im Oktober 2015 beerdigt wurde und ein Ehepaar, beide starben kurz nacheinander in diesem Winter. Nach 77 Jahren hat der Verein Davidstern „seinen“ Friedhof als Teil des neu entstehenden jüdischen Lebens in Leverkusen in Betrieb genommen.

Original von den Nazis zerstört

Lev Ismikhanov und Ilja Golub vom Verein Davidstern schließen das Metalltörchen auf und bewegen sich selbst auch noch vorsichtig auf dem neuen Terrain, teils ist es Wiese, mit Efeu überwachsene Gräber, an manchen Stellen stehen große Eiben und Lebensbäume. Manche der Grabeinfassungen passen nicht zusammen; es gibt Gräber ohne Grabsteine. Niemand weiß genau, wo hier die Toten liegen, denn den originalen Friedhof haben die Nazis zerstört. Nach dem Krieg hat man versucht, ihn wieder herzustellen. Das liest man auf zwei Stelen, die die Stadt Leverkusen 1991 neben einigen Gedenksteinen aufstellen ließ. Dort sind 71 Namen eingraviert. Menschen, die nach dem damaligen Wissensstand auf dem Friedhof bestattet sind. Der Friedhof war für Begräbnisse geschlossen, die Öffnung bedeutete einen größeren Verwaltungsakt bei der Bezirksregierung. „Es waren zwei Jahre Arbeit mit den Behörden“, sagt Lev Ismikhanov. Aber die Aufgabe fängt vielleicht erst an, jetzt müsse man bei den Ämtern recherchieren, wo überall Gräber sind. Die müssten reserviert bleiben.

Nach jüdischem Verständnis ist es ein Unding, was auf christlichen Friedhöfen fast täglich geschieht: irgendwo ein Grab auszuheben und Knochen zutage zu fördern. Die Totenruhe für jüdische Gräber gilt bis in die Ewigkeit, ein Grab dürfe für alle Zeiten niemals wieder angerührt werden, sagt Ismikhanov. Dass sich irgendwann ein Platzproblem ergibt, ist den beiden auch klar. In Opladen sei noch Platz für etwa 30 bis 40 Gräber, schätzen sie. Ihre Recherche endet nicht am Zaun um den Friedhof. War er früher größer? Die Zahl von wenigstens 71 Bestattungen vor 1939 könnte darauf hinweisen. Vermutlich waren es einige mehr. Golub und Ismikhanov wollen das im Stadtarchiv und im Katasteramt herausfinden.

Komplizierte Rituale

An den Friedhof grenzen das VW-Autohaus und McDonald's. Sie wollen herausfinden, ob jüdische Gräber womöglich unter der Autoausstellungsfläche oder unter der Ausfahrt des Schnellrestaurants liegen. Es ist alles noch unklar, aber was, wenn es so ist? Dann müssen wir mit den Verantwortlichen reden, sagt der Vereinsvorsitzende Golub. Sicher ist, dass der Grünbewuchs stark frisiert werden muss. Das jährliche Wachstumsproblem muss der Verein selbst lösen. Das Landrat-Lucas-Gymnasium soll Interesse an einer erweiterten Zusammenarbeit mit dem Verein bekundet haben, beim Holocaust-Gedenktag am Platz der Synagoge sind die Schüler traditionell immer dabei.

Eine einzige Bestattung hat es zwischen 1939 und 2015 gegeben: In einem einmaligen umfangreichen Verwaltungsvorgang wurde der Friedhof für einen Tag im Juli 2002 für ein Begräbnis geöffnet und gleich wieder geschlossen.

So lange die Leverkusener Juden keine eigene Gemeinde mit Rabbiner und einer ausgestatteten Synagoge haben, liegt die Organisation bei der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Sie ist auch Eigentümerin des Friedhofsgrundstücks und hat die spirituelle Leitung: „Die jüdischen Rituale sind für uns auch echt kompliziert“, sagt Ismikhanov; fast alle Mitglieder kämen aus Russland, „Wir wussten zwar, dass wir Juden sind, aber nicht, wie das so alles genau geht.“

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