Bundeswehrstandort MarienheideDer Kalte Krieg vor der eigenen Haustür

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Marienheide – Wäre der Kalte Krieg entbrannt, der Warschauer Pakt hätte Marienheide womöglich als einen der ersten Orte ins Visier genommen. Wenngleich das der Zeitungsautor im Mai 1963 ganz anders sah – er schrieb: „Die Anlage bei Marienheide bedeutet einen weitgehenden Schutz im Falle eines Angriffskrieges und trägt zur Sicherheit der Zivilbevölkerung bei.“ Dabei war es auf der Hei schon damals ein mehr oder weniger offenes Geheimnis, dass die US-Armee mindestens einen Atomsprengkopf auf der Raketenbasis bereithielt.

Im Juni des Jahres 1963 bezog das 4. Flugabwehrraketenbataillon 22 der Bundeswehr Quartier in der neu erbauten Hermannsberg-Kaserne und in der Raketenstellung Griemeringhausen. Etwa 400 Soldaten und Zivilangestellte waren dort tätig, schreibt Wolfgang Schellberg in der Festschrift zum 600-jährigen Geburtstag des Ortes. Neben den deutschen Armeeangehörigen gab es rund 30 amerikanische Soldaten: Das sogenannte C-Team des 52nd US-Army Artillery Detachment bewachte den amerikanischen Atomsprengkopf, der im Kriegsfall auf eine deutsche Rakete montiert worden wäre.

In den ersten Jahren waren in Marienheide neben den großen Raketen des Typs Nike-Hercules auch die kleineren Modelle Nike-Ajax stationiert. Ab 1965 wurde ganz auf die nuklearfähigen Hercules-Rakten umgestellt. Sie wären auch ohne atomare Sprengköpfe eingesetzt worden, in erster Linie gegen Bomberverbände, aber auch gegen Ziele am Boden – in einem Radius von 180 Kilometern.

Unsere Zeitung berichtete 1963, wie schwierig es war, die langen Geschosse durch die engen Marienheider Straßen zu manövrieren: „Exakte Fahrweise gehört dazu, die Flugabwehrrakete vom Typ ,Herkules’ mit ihrer Länge von mehr als 13 Metern durch die enge Einfahrt der Klosterstraße zu bringen.“ Überhaupt war Marienheide damals kaum ausgelegt für einen großen militärischen Verband. Zwischen der Hermannsberg-Kaserne und dem Abschussbereich in Griemeringhausen wurden die Soldaten mit Bussen hin und her transportiert. Schellberg schreibt: „Die ersten Jahre war es ein ziemliches Abenteuer, mit einem normalen Pkw die Klosterstraße zu befahren. Mit ziemlicher Sicherheit kam einem irgendwo eines dieser breiten Lkw-Monster entgegen und man musste ausweichen, notfalls eine Grasböschung hinauf.“ Deswegen wurde die Klosterstraße Ende der 1960er Jahre ausgebaut.

Marienheide wuchs mit dem Bundeswehr-Standort. Höherrangige Militärs bezogen eigens für sie gebaute Häuser an der Ringstraße und an der Robert-Koch-Straße. Die US-Soldaten waren in einem separaten Abschnitt der Kaserne untergebracht, aber auch oft im Dorf unterwegs. Häufig traf man sie in den Gaststätten, vor allem im Hotel Trommershausen. So waren die Soldaten auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Hei – im wahrsten Sinne des Wortes: Manche Kneipe verdankte den Amerikanern das Überleben.

Schellberg schreibt: „Einige US-Soldaten hatten ihre Autos mitgebracht, die typischen ,Ami-Schlitten’.“ Viele dieser Straßenkreuzer seien in einem schlechten Zustand gewesen, erinnert sich Schellberg, hatte der deutsche Tüv doch auf sie kein Zugriffsrecht. „Viele werden sich erinnern an das merkwürdige Vehikel, dessen Beifahrertür nur mit einem Gummiband zugehalten wurde.“ In jeder Linkskurve schwang die Tür auf, „so dass sich mancher Fußgänger mit einem Satz in Sicherheit bringen musste“.

Im Jahr 1988 wurde das Flugabwehrraketenbataillon nach Süddeutschland verlegt, drei Jahre später die Kaserne geschlossen.

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