Autor und FilmemacherWerner Filmer im Porträt

Lesezeit 6 Minuten

Bergisch Gladbach – Klare Linienführung zeichnet das Haus von Werner Filmer in Schildgen aus. Viel Licht, weite Blicke in den Garten, sparsam platzierte Möbel - Bauhausklassik wie die Corbusier-Sitzgruppe. Das tabakbraune Leder ist schon ein bisschen zerknautscht. Die Gebrauchsspuren nehmen dem Sofa die Strenge. Ganz entspannt, mit weit ausgebreiteten Armen lässt sich Werner Filmer, Autor und Hörfunkproduzent, in die Polster sinken. Der Blick fällt zunächst auf das großformatige Werk von Werner Liebmann über dem Sofa - eine Szenerie mit Menschen, Glühbirnen, die von der Decke herunterhängen. Das Bild entfaltet eine große räumliche Tiefe. Den fragenden Blick der Betrachterin beantwortet Werner Filmer sofort: "Ich habe in früheren Jahren von Liebmann einen Film gedreht. Er war Schüler von Bernhard Heisig, er ist einer der großen aus der Leipziger Schule." Heute wirke er als Professor für Malerei an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee.

Leise, in bildhafter Sprache berichtet Werner Filmer über die vielen Begegnungen mit den berühmten Künstlern aus der damaligen DDR wie Liebmann, aber auch Bernhard Heisig und Neo Rauch: Über jeden von ihnen hat er Dokumentarfilme gedreht, meist in der spannenden Zeit vor, während und nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. "Die Künstler aus der ehemaligen DDR hatten mehr Beweglichkeit in ihren Auffassungen - viele hatten mit dem Aufbruch nicht gerechnet", erinnert er sich. "Im Westen haben viele nicht verstanden, was die Wiedervereinigung für die Menschen aus dem Osten Deutschlands bedeutete: Verlust der Sicherheit, aber auch der Gewinn des freiheitlichen Denkens." Wahrscheinlich seien es die Brüche in den Lebensläufen der ostdeutschen Künstler, die ihre Werke für die westlichen Länder so wertvoll machen - die Erfahrung mit dem Niedergang einer Epoche, eines Systems, die Entwicklung einer neuen Gesellschaft, der schwierige Anschluss an den Westen.

Ehemaliger Pfadfinder

Werner Filmer versteht es, die Zeitläufte einzupacken in menschliche Begegnungen - nicht in Bruchstücken, sondern versehen mit Erfahrungswerten aus seinem Leben. 79 Jahre ist er jetzt alt oder jung, hinter ihm liegt ein Leben mit vielen Tiefen und noch mehr Höhen. "Ich kam aus einer Unterschichtfamilie", erzählt er, der 1934 geboren wurde in Iserlohn, im Jahr nach der totalen Machtergreifung von Adolf Hitler und der NSDAP. Er erlebte diese Zeitenwende als Kind. "Zuwendung gab es kaum, Geld auch nicht, dafür viel Frustration und noch mehr Häme."

Gehänselt wurde er oft, weil er hellhäutig war, Sommersprossen und rote Haare hatte. Die Zähne zusammenbeißen, das hat er als kleiner Junge gelernt. Verletzungen wurden zum Antrieb. Identität fand er in den Jugendgruppen katholischer Pfadfinder, wo Kreativität, Achtsamkeit und Toleranz geweckt wurden, mitten in Nazi-Deutschland. Gebrochen hat ihn das totalitäre System nicht. Er war fast elf Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Da waren die Grundlagen für die Recherche und Auseinandersetzung nach den Fragen des Daseins, der Zukunft schon gelegt. Noch heute ist der ehemalige Pfadfinder stolz darauf, dass er 1960/61 ein Zeltlager für behinderte Jugendliche leitete. "Das war der erste öffnende Schritt einer deutschen Jugendorganisation, um Behinderte zu integrieren", erinnert er sich. Das war ganz neu damals. "Dort habe ich gelernt, Verantwortung zu tragen, Lösungen zu finden", sagt Werner Filmer. "Deshalb werde ich in einem meiner nächsten Bücher dem Jugendverband ein Kapitel widmen."

Aufräumen

Ende der 60er Jahre setzte er sich mit dem Strukturwandel der Bundesrepublik, der Entwicklung der Städte, Umweltthemen und der studentischen Revolte im Jahr 1968 auseinander. Drei Jahrzehnte lang produzierte der Parteilose für den WDR in Köln - Politik, Kunst, Kultur, die ganze Bandbreite von Mensch und Welt, als Leiter der Hauptabteilung Kultur und Wissenschaft und als Vize-Chefredakteur der Abteilung Politik. Er wurde mit nationalen und internationalen Auszeichnungen gewürdigt, man kann die Ehrungen gar nicht alle aufzählen. Dreimal bekam er den Ernst-Schneider-Preis für die beste deutsche Wirtschaftsreportage. Ganz nah war er dran an der großen Politik und den Menschen, die sie machten. Lang ist die Liste der Biografien, die er geschrieben hat über führende Politiker - Helmut Kohl, Oskar Lafontaine, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und viele andere.

Einige seiner Biografien wurden Bestseller. Bücher über Lebenserinnerungen hat er verfasst: Über das Leben in der Provence, zwischen den Höhen des Luberon und dem Plateau de Vaucluse, wo er bis heute mit Frau Iris und den beiden Hunden einen Teil des Jahres verbringt. Über den Vater, der fast vier Jahre lang im Hause bis zu seinem Tod gepflegt wurde - 1000 Tage Lebensende. Es sind ehrliche, oft schmerzliche Reflexionen über die Familiengeschichte. Und er hat schon früh ein Buch geschrieben über das Sterben in einer Zeit, als Palliativmedizin noch ein Fremdwort und über Sterbehilfe noch gar noch diskutiert wurde, ein Tabuthema war. Was bleibt? Im Moment, neun Monate vor dem 80. Geburtstag, räumt er "sein Leben auf". Von einem Drittel seiner Bücher, es sind tausende, hat er sich getrennt, abgebaut. Ein Befreiungsschlag? Ja. Und alles wirkt noch lichter, klarer in diesem großen Wohnraum.

Verbleibende Zeit

Auf dem großen roten Teppich vor dem Corbusier-Ensemble liegt eine goldschimmernde Bronze-Katze, ganz flach, wie hingegossen. "Sie ist von Marg Moll", sagt Filmer beiläufig. Die eigenen Katzen, die jahrelang das Leben der Filmers begleitet haben, leben längst nicht mehr. Doch die Bronze-Plastik von Marg Moll, seiner Schwiegermutter, bleibt. Über sie, die Malerin und Bildhauerin, die Matisse gut gekannt hat, hat Werner Filmer neulich die zweite Auflage ihrer Biografie veröffentlicht. Und das hat seinen Grund: Werke von ihr, die in den Kriegsjahren in Berlin verschollen waren, tauchten wieder auf, werden derzeit in Deutschland in der Ausstellung über die "Entartete Kunst" in der Nazizeit präsentiert. Überall im Haus ist die Kunst der Marg Moll präsent, schafft den Brückenschlag zwischen damals und heute.

Marg Moll, die zwei einst zugelaufenen Katzen in Schildgen, Gedichte über Altenberg, den Dom - das sind die Themen, über die er in der jüngsten Zeit geschrieben hat. Und über die "verbleibende Zeit". "Seit ich 75 bin, setze ich mich mit meinem Altern auseinander", sagt er. "Ich schreibe über meine Ängste, Empfindungen und Hoffnungen, analysiere die Endstufe meines Lebens." 190 Seiten hat er fertiggestellt. "Wer schreibt, bleibt!" zitiert er lakonisch. Traurig macht ihn diese Rückbesinnung nicht, es ist eher eine differenzierte Sicht auf das Leben und eine Hinterlassenschaft für die Kinder. "Man merkt, wie sehr man dem Leben ausgesetzt ist", sagt er, der eigentlich immer heiter und losgelöst wirkt, beim Aufstehen aus den Tiefen des Corbusier-Sofas. Könnte sein, dass es irgendwo schmerzt, im Rücken, in den Knien. "Ja, auch das sind die Erschütterungen, die sich ins Leben schieben", kommentiert er das unsanfte Aufstehen. Flotten Schrittes eilt er ins Arbeitszimmer unterm Dach - dort sortiert er weiter aus, schreibt weiter, was er sagen will und was gesagt werden muss. "Wenn ich mich eines Tages aus dem Staub mache, möchte ich so bewusst wie möglich gelebt haben. Noch bin ich im grünen Bereich."

KStA abonnieren