Bundespräsident Joachim Gauck in Bergisch GladbachGauck nahm sich viel Zeit für die Sorgen der Bürger

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Bergisch Gladbach – Haxhi Nuraj hat alle Hände voll zu tun. Der Hausmeister der Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Lübbe-Verlagshaus muss dirigieren – das Empfangskomitee der Hausbewohner. Erst soll es sich rechts der Treppe aufstellen, dann disponiert das Protokoll des Bundespräsidialamtes um: Alle links neben den Eingang. Die 20-jährige Anka Ibraimovic ist mit dabei. „Sie haben uns gestern Bescheid gesagt, dass der Bundespräsident kommt und viel Polizei dabei ist“, sagt sie. Joachim Gauck erscheint früher als geplant: Zwei Minuten vor zehn biegt die gepanzerte Limousine in die Scheidtbachstraße ein. Das Empfangskomitee klatscht. Bürgermeister Lutz Urbach und Staatssekretär Bernhard Nebe begrüßen ihn. Gauck schüttelt Hände, bekommt Blumen überreicht. Kameras klacken, Fotografen rufen.

Elmar Schneiders verfolgt den Medienrummel aus einiger Entfernung. Zusammen mit Kollegen von der Feuerwehr und der Stadt hat der Feuerwehrpressesprecher am Morgen die Akkreditierung der mehr als 70 Journalisten unterstützt. Während Urbach, Gauck und Rainer Koppe vom Gladbacher Jugend- und Sozialamt in der mit mehr als 140 Flüchtlingen belegten Notunterkunft verschwinden, fotografiert Luan Cufa seinen Sohn Alduel (2) vor der Präsidentenlimousine. Das Foto will er seiner Familie in Albanien schicken.

„Ich hoffe, dass der Präsident sich da drinnen den richtigen Eindruck macht“, sagt ein Bewohner der nahen Gartensiedlung Gronauer Wald. Ihm bereite die immer weiter zunehmende Zahl von Flüchtlingen Sorge, sagt der Mann, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. „Danke Deutschland“ steht auf dem T-Shirt, mit dem der Bundespräsident wieder aus der Flüchtlingsunterkunft herauskommt. Eine Gruppe von Syrern hat es ihm überreicht. Am Zaun stehen Alex Perlowskiy und Maio Dante. Die beiden arbeiten beim Wasserwerk, haben eine Baustelle eine Straße weiter. „Eigentlich dachten wir, hier wäre alles abgesperrt, und wir müssten warten“, sagt Dante. Als sie ungehindert durchkamen, hielten sie am Lübbe-Gebäude an.

An der Flüchtlingsunterkunft in Katterbach ähnliche Bilder wie am Lübbe-Haus: Flüchtling, Helfer, städtische Mitarbeiter und Polizisten, die auf die Ankunft des Präsidenten warten. Als sich der Tross, mittendrin Gauck, der Zeltstadt pünktlich um 10.30 Uhr nähert, gibt es auch in Katterbach Applaus. Gauck ist willkommen, die Menschen freuen sich, fühlen sich geehrt. Im Zelt die Erklärung der Einrichtung: Gauck hört zu. Die Mehrzahl der 150 Flüchtlinge in der Unterkunft in Katterbach kommt aus Syrien. Das Deutsche Rote Kreuz betreut die Einrichtung und Ingeborg Schmidt, die Kreisvorsitzende, führt Gauck von Zelt zu Zelt.

Gauck ist auf dem Gelände eine Art wandernder Hintergrund für unendlich viele Selfies. Die Bodyguards haben deshalb alle Hände voll zu tun, den Tross in Bewegung zu halten. Auf dem Weg zum Dienstwagen stehen am Straßenrand Anwohner. Wieder Applaus und der Wunsch nach Autogrammen. „Wer Autogramme will, soll sich an den Herrn hinter mir wenden“, ruft Gauck und zeigt auf den Mann, der schon mit der Verteilung begonnen hat. Ein Junge will sich mit der gedruckten Unterschrift nicht abfinden. „Bitte selbst unterschreiben“ ruft er dem Präsidenten zu. Chuzpe siegt: Gauck unterschreibt. Weiter geht die Fahrt zum Rathaus.

Dort haben Senta Mainos, Anne Linden, Elke Schilde und Tanja Franken vom Büro des Bürgermeisters im Kleinen Ratssaal bereits alles hergerichtet für ein Gespräch des Bundespräsidenten mit elf Vertretern von Helferorganisationen, Verwaltung, Anwohnern und Vereinen, die von der Unterbringung von Flüchtlingen in Bergisch Gladbach betroffen sind. Tanja Hilgers sichert mit Security-Mitarbeitern des Bundespräsidenten den Rathauseingang. Büroleiter Stephan Dekker hält den Kontakt zum Protokoll. Senta Mainos bekommt einen Hinweis von einem Mann mit Knopf im Ohr: Der Bundespräsident kommt früher, sie soll den Teebeutel schon jetzt in die Tasse geben. Der Präsident trinkt Earl Grey. Die Häppchen auf dem Tisch hat Yvonne Stangier vom Theater-Café gegenüber gebracht. Bürgermeister und Präsident kommen durch den Seiteneingang, Urbach stellt Gauck die Gesprächsteilnehmer vor, erwähnt, dass gut zwölf Stunden zuvor nebenan im Großen Ratssaal das Dreigestirn vorgestellt wurde. Dort drängen sich jetzt die Fotografen, versuchen das beste Bild zu erhaschen, bevor sich die Schiebetüren zum kleinen Saal schließen. Das Gespräch soll ohne Kameras und Mikrofone stattfinden.

Vor der Tür steht der Mann, der sonst für die Sicherheit in der Stadtmitte verantwortlich ist: Polizeihauptkommissar Kurt Strelow. „Aufregend, wann hat man so etwas schon mal“, sagt der Bezirksbeamte. Auch von der Pause des Präsidenten danach bekommen die Journalisten draußen nichts mit. Die verbringen Gauck und Urbach im Bürgermeisterzimmer. Dort liegt auch das Goldene Buch der Stadt. Ein Blitzlichtgewitter beim Eintrag des Staatsoberhaupts, wird’s an diesem Tag nicht geben. Das Flüchtlingsthema soll komplett im Mittelpunkt stehen.

Gladbachs evangelischer Pfarrer Thomas Werner wartet in einem Straßencafé auf den Bürgerempfang im Bergischen Löwen. Ob er aufgeregt ist? Werner lächelt: „Herr Gauck ist für mich vor allem ein lieber wertgeschätzter Kollege, auf den die evangelische Pfarrerschaft stolz sein kann. Er macht seine Sache gut.“

Gut machen will’s auch der Geschäftsführer des Bergischen Löwen, Norbert Pfennings. Er darf Gauck später im Bürgerhaus ansagen. Aber nur mit genau sechs Worten: „Meine Damen und Herren, der Bundespräsident.“ Danach wird der Bürgermeister über die große Hilfsbereitschaft in der Stadt sprechen, aber auch offen über die Grenzen der Belastbarkeit. Und zum Bundespräsidenten: „Bitte nehmen Sie unseren Hilferuf mit nach Berlin.“

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