LindlarPferdeherden von gefährlicher Krankheit bedroht

Lesezeit 5 Minuten
IMG_5161

  • Am Hofeingang der „Bergischen Laufstallanlage“ weisen Warnschilder auf eine Infektionsgefahr hin.
  • Seit Wochen leben die Besitzer in Angst um ihre Pferde und auch in umliegenden Ställen herrscht Sorge.

Rhein-Berg/Lindlar – Hier ist die Welt noch in Ordnung, muss denken, wer von Hohkeppel über die Höhe ins Aggertal an den friedlich grasenden Pferdeherden der „Bergischen Laufstallanlage“ vorbeikommt.

Doch am Hofeingang endet die bergische Idylle abrupt. Warnschilder weisen auf eine Infektionsgefahr hin, untersagen den Zutritt.

Konzept mit artgerechter Haltung ging auf

15 Jahre lang hat die Familie Höller ihren Milchviehbetrieb verändert und von 120 Milchkühen auf inzwischen ebenso viele Pensionspferde umgestellt. Das Konzept mit besonders artgerechter Haltung ging auf.

Die Nachfrage war hoch. Die Einsteller sprachen vom „Paradies für Pferde“. Doch das Paradies hat Risse bekommen, seit vor zwei Monaten das Equine Herpes Virus (EHV) ausgebrochen ist. Elf Pferde mussten seitdem eingeschläfert werden, der Hof steht unter Quarantäne.

Angst um die Pferde

Seit Wochen leben die Besitzer in Angst um ihre Pferde und auch in umliegenden Ställen herrscht Sorge.

Beinahe die Hälfte der Pferde, die sich in neun Gruppen auf zwei Hektar Fläche verteilen, erkrankte bislang. Einen „stillen Teufel“ nennt Heidi Höller das Virus, das hohes Fieber, Aborte und in manchen Fällen Lähmungen auslöst. Kann das Pferd nicht mehr aufstehen, bleibt nur das Einschläfern übrig.

Ein Alptraum für die Besitzer. „Es ist keinerlei Schema zu erkennen. Der Verlauf ist völlig unterschiedlich und nicht kalkulierbar. Es kann jeden treffen“, berichtet Michael Höller.

Quarantäne eingeleitet

Eine Meldepflicht besteht nicht. Höller leitete in Eigenregie die sofortige Quarantäne ein. Er sperrte Zufahrten, verteilte Desinfektionsmatten und -spender, baute Schutzwände aus Siloballen, stellte die Betriebsabläufe um.

Er trennte Pferde, sperrte Halle und Reitplätze. Er nahm Kontakt zu betroffenen Höfen in Norddeutschland und zu Universitäten auf und er informierte konsequent. Zu einer Veranstaltung am 3. März kamen neben Tierärzten und Kreisvertretern 150 Einsteller aus seinem und benachbarten Ställen. Doch das Virus war erbarmungslos: Es fraß sich trotz des unermüdlichen Einsatzes durch die gesamte Anlage.

Tierärzte im Dauereinsatz

Die Tierärzte aus dem Umkreis sind im Dauereinsatz. „So wie der Höllerhof das macht, kann man das kaum besser machen“, sagt Arzt Klaus Schieren. „Die Virus-ausbreitung komplett zu stoppen, ist aber schlicht nicht möglich.“ Offenstallhaltung und viel Publikumsverkehr erschweren die Arbeit. „Da bräuchten Sie die Boxenhaltung wie vor 40 Jahren“, sagt er. Die will dort aber niemand mehr.

„Genau wegen der artgerechten Haltung sind wir doch alle hierhergekommen“, sagt Julia Hofmann. Die meisten Einsteller stärken der Familie Höller den Rücken. Sie helfen, wo sie können und trotzen emotionalen Reaktionen, die in dieser Situation so vielfältig wie verständlich sind.

„Ich kenne definitiv keinen Stall, der einen solchen Aufwand betrieben hätte“, sagt auch Nina Gilberg, obwohl sie allen Grund zur Angst hatte und hat, denn eins ihrer Pferde war trächtig und damit auch das Fohlen gefährdet. Doch die kleine „Schnecke“ kam Ende März gesund zur Welt.

„Es geht an die Grenzen“

„Es geht an die Grenzen“, sagt Heidi Höller – auch wirtschaftlich. Die Familie hat viel investiert, in Hallen, Reitplätze, Solarium und Technik. Nun fallen Mieten aus, neue Interessenten müssen vertröstet werden. Als Landwirt sei er Kummer wie Missernten oder Milchpreiskrisen gewöhnt. „Aber ich hänge an jedem einzelnen Pferd“, sagt Michael Höller, „und hier sind Menschen, für die ist das Pferd wie ein Familienmitglied.“

Bis in die Nächte hinein behandeln die Tierärzte. „Wir hätten uns allerdings mehr Unterstützung der Behörden gewünscht“, sagt Höller. Er plädiert für eine allgemeine Impfpflicht und dafür, dass EHV meldepflichtig wird. Derzeit gibt es keine rechtliche Handhabe gegen Regelverstöße, selbst dann nicht, wenn jemand den Hof trotz Verbots mit seinem Pferd verlässt und gegebenenfalls andere Bestände gefährdet.

Das Wetter wird wärmer und das Virus ist auf seiner Runde fast am Ende. Daher ist die Hoffnung groß, dass der Alptraum bald vorbei ist – und das „Paradies“ wieder das werden kann, was es vor Herpes war.

Aufwendige Quarantäne

Eine Impfung ist möglich. „Die Impfdisziplin ist in den letzten zehn Jahren aber massiv zurückgegangen“, sagt Schieren. „Gleichzeitig registrieren wir ein deutlich vermehrtes Auftreten.“ Gründe für die Impfskepsis sind mögliche Nebenwirkungen und das Fehlen eines 100-prozentigen Schutzes. Geimpfte Pferde erkranken in der Regel seltener und leichter. Aktuell ist der Impfstoff seit Monaten wegen Produktionsschwierigkeiten kaum erhältlich. Viele Pferde konnten deshalb gar nicht geimpft werden.

Die Ausbreitung lässt sich am ehesten mit einer Quarantäne für den gesamten Stall verhindern. Besitzer sollten täglich Fiebermessen. Pferde mit ungewohnt deutlichem Temperaturanstieg oder einer Temperatur höher als 38,5 Grad gelten als verdächtig und sollten vom Tierarzt behandelt werden. Wenn möglich, sollten erkrankte Pferde isoliert werden. Stalleinheiten sind abzugrenzen und sämtliche Kreuzungswege und Aktivitäten auf ein Minimum zu beschränken. Unnötiger Personenverkehr zwischen den Einheiten ist zu vermeiden. Stallpersonal sollte in getrennten Teams, in Schutzkitteln, und von „sauber“ nach „schmutzig“ arbeiten. Genügend Desinfektionsmatten und –mittel müssen strategisch platziert werden.

Für den Menschen ungefährlich

Das Equine Herpes Virus (EHV) ist eine ansteckende Krankheit, die seit Jahrhunderten verbreitet ist. Bei bis zu 90 Prozent der Pferde schlummert es im Körper und kann in Stresssituationen aktiviert werden. Pferde, die das Virus freisetzen, müssen keine Symptome haben. „Das Problem sind die unerkannten Trägertiere, die wie eine Gießkanne die Viren ausscheiden“, erklärt Tierarzt Klaus Schieren. „Diese Tiere haben Sie in jedem Stall. Dass es jetzt diesen Stall trifft, ist purer Zufall.“

2015 war ein Stall in Wermelskirchen vom Virus betroffen. Tierärzte berichten auch von infizierten Pferden in kleineren Ställen.

Symptome sind hohes Fieber, teils verbunden mit Nasenausfluss oder Husten. Verbreitet sich das Virus im Rückenmark, können neurologische Aussetzer auftreten. Die Pferde schwanken und können sich „festlegen“. In diesen Fällen ist die Prognose schlecht. EHV tritt in mehreren Typen auf. In Hohkeppel sind es mit EHV I und IV die beiden aggressivsten. Behandelt werden können nur die Symptome. „Herpes tritt vorwiegend im Winter und Frühjahr auf“, sagt Tierarzt Rafal Nowakowski. „Wenn wir Sonne, Wärme und Trockenheit bekommen, wird es deutlich schneller verschwinden.“ Für den Menschen ist EHV ungefährlich.

KStA abonnieren