Warten auf Jungfrau MariaVor 65 Jahren pilgerten tausende Gläubige nach Lindlar

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Mehrere Tausend Menschen pilgerten am 8. September 1952 nach Niederhabbach und erwarteten die Marienerscheinung, die Karl Ziganke für diesen Tag vorhergesagt hatte.

Mehrere Tausend Menschen pilgerten am 8. September 1952 nach Niederhabbach und erwarteten die Marienerscheinung, die Karl Ziganke für diesen Tag vorhergesagt hatte.

Lindlar-Niederhabbach – „Die Sonne beginnt sich zu drehen!“, rufen die Umstehenden und knien nieder. Sie stimmen das Ave Maria an. „Unfug!“, schreien andere von weiter hinten. Trotz großen Aufgebots hat die Polizei Mühe, beide Gruppen auseinanderzuhalten. Mitten im Gewühl betet Karl Ziganke (39), der für den größten Menschenauflauf verantwortlich ist, den der kleine Ort Niederhabbach im Bergischen je erlebt hat. Etwa 8000 Menschen – so die damaligen Schätzungen – pilgern am 8. September 1952, dem katholischen Fest Mariä Geburt, in den Lindlarer Ortsteil. Sie erwarten die Ankunft der Muttergottes an diesem sonnigen Tag. Ein Zeichen am Himmel soll sie ankündigen.

Erscheinung am Waldrand

Ganz Niederhabbach schaut in die Wolken. Und ganz Deutschland schaut auf Niederhabbach. Achtmal, so verrät es Ziganke einige Wochen zuvor einer Nachbarin, sei ihm Maria im Sommer 1952 bereits erschienen. Regelmäßig am Waldrand des Ortes, wo Ziganke seit seiner Flucht aus Ostpreußen lebt. „Das war ein Behelfsheim am Ortsausgang in Richtung Wipperfürth, der Krieg war ja erst sieben Jahre vorbei“, erinnert sich Karl Blumberg (90), der damals in der Nähe ein Haus baute, in dem er noch heute wohnt. Den Trubel um die Marienerscheinung erlebte er täglich mit.

Die Nachricht von den angeblichen Begegnungen verbreitet sich in Windeseile. Zunächst im Bergischen, dann berichtet auch die Deutsche Presse-Agentur. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ widmet Ziganke gleich mehrere Seiten. Kleinste Details im bis dato gewöhnlichen Lebenslauf des „wortkargen Fabrikarbeiters“ und seiner Frau Rosa halten die Reporter für wichtig.

Laut Ziganke hatte die Muttergottes ihre Rückkehr für den 8. September gegen 14 Uhr angekündigt. Allerdings soll nur er die Gestalt mit dem goldenen Kreuz in den Händen sehen können. Der übrigen Menschheit werde ihre Ankunft durch die Sonne angezeigt, die sich plötzlich um sich drehen werde und dann in ihrer Mitte ein blutendes Herz zeige. Der katholischen Kirche ist das Geschehen in Niederhabbach suspekt. Der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings schickt Beobachter in Zigankes kleine Wohnung, um die Frömmigkeit des Mann zu begutachten. Am 7. September, einem Sonntag, werden die Gläubigen rheinlandweit aufgefordert, den „Erscheinungsvorgängen“ fernzubleiben. Doch die Neugier vieler Menschen ist größer.

Kardinal Frings schickt Beobachter

Karl Blumberg radelt am besagten Montag bereits mittags von der Arbeit nach Hause. „Ab Frielingsdorf sperrten Polizisten sämtliche Straßen, überall standen Autos, Busse und Motorräder“, berichtet Blumberg. „Mehrere Tausend Menschen bildeten eine makabre Picknick-Gesellschaft gegenüber der Ziganke-Baracke“, heißt es im „Spiegel“-Bericht. „Es kamen Pilger, Presse und Psychologen, morgens um sechs schon ein Trupp Zigeuner, der mit vierzehn Wagen anrollte.“

Die Zeitungen berichten über Pilger aus Süddeutschland, der Schweiz und Frankreich, über Kirchenvertreter, die das Geschehen heimlich und „mit hochgeschlagenen Mantelkragen“ verfolgen , sowie über den Plan der Einwohner von Niederhabbach, demnächst „heilige Erde“ in kleinen Tüten zu verkaufen.

Um genau 14.02 Uhr, so beschreiben es mehrere Augenzeugen, schiebt sich die Septembersonne durch die Wolken. Heftiger Streit darüber, was zu sehen sei und was eben nicht, entbrennt unter den Zuschauern. Eine halbe Stunde später tritt Karl Ziganke nach draußen, die Chefärzte mehrerer NRW-Psychiatrien um sich geschart. Er kniet nieder, betet und verschwindet wortlos in seinem Haus.

Gegenüber Vertretern des Erzbistums bejaht er, die Muttergottes erneut gesehen zu haben. Die Kirche selbst teilt Ende September 1952 mit, es gebe „keine Anzeichen für einen übernatürlichen Vorgang“. Die Aufregung legt sich. Doch als Karl Blumberg viele Jahre später während eines Urlaubs am Tegernsee seinen Wohnort nennt, horchen die Umstehenden auf. Die angebliche Marienerscheinung in dem winzigen Dorf ist in Erinnerung geblieben.

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