Mordfall Stefan RaaffEin Leben für Ego und Ehre

Lesezeit 3 Minuten
Profiboxer Stefan Raaff ist mit sechs Schüssen erschossen worden. Das Bild zeigt ihn bei der Vorbereitung auf den WM-Kampf in Köln, der am 15.Dezember 2007 stattfand.

Profiboxer Stefan Raaff ist mit sechs Schüssen erschossen worden. Das Bild zeigt ihn bei der Vorbereitung auf den WM-Kampf in Köln, der am 15.Dezember 2007 stattfand.

Frechen/Köln – Nasser A. hat eine starke narzisstische Persönlichkeitsstörung, kreist um sein Ego und ist unfähig, Kritik anzunehmen. Zu diesem Ergebnis kommt der Sachverständige Dr. Wolf Gerlich, der von der fünften Großen Strafkammer des Landgerichts Köln beauftragt wurde, ein psychiatrisches Gutachten über den Mann zu erstellen, dem vorgeworfen wird, den früheren Boxweltmeister Stefan Raaff erschossen zu haben. Raaff war am 10. Dezember 2012 auf offener Straße in Frechen-Königsdorf getötet worden. Der 47-jährige Angeklagte bestreitet jegliche Tatbeteiligung und schweigt.

Vorwürfen, Unterstellungen und Selbstmitleid

Insofern kann sich auch der Sachverständige in seinen Ausführungen ausschließlich auf Akten, Zeugenaussagen und Video- sowie Audioaufzeichnungen berufen. Einen Eindruck seiner starken Ichbezogenheit konnte die Öffentlichkeit am Mittwoch bei der Wiedergabe einer fast zweistündigen Audioaufzeichnung bekommen, die ein Treffen Nasser A.’s mit dessen früherer Ehefrau dokumentiert.

Die Aufnahme muss entstanden sein, als das einstige Paar bereits einige Monate getrennt war. Zwar formuliert Nasser A. dort zu Beginn der Aufzeichnungen den Wunsch, mit seiner Frau ins Gespräch zu kommen. Tatsächlich aber überhäuft er sie in einem Endlos-Monolog mit Vorwürfen, Unterstellungen und Selbstmitleid. Versucht sie, ihm zu widersprechen, unterbricht er sie nachdrücklich. Kritik scheint für ihn unerträglich.

Pathetische und weinerliche Stimmungsschwankungen

Selbst während dieser Audiowiedergaben zeigte Nasser A. nun im Gerichtssaal keine Regung. Wiederholt beteuert seine inzwischen geschiedene Frau auf der Audiodatei, keinen sexuellen Kontakt zu anderen Männern gehabt zu haben, im Hintergrund hört man die Stimme des gemeinsamen kleinen Sohnes. An einer Stelle erwähnt die einstige Ehefrau ein Messer und eine Pistole. Der Zusammenhang wird allerdings in dieser nur schwer verständlichen Aufzeichnung nicht klar. In all diesen Beobachtungen erkennt der psychiatrische Gutachter keinen Krankheitswert.

Vielmehr, so der Psychiater, würde hier seine soziokulturelle Prägung deutlich. Immer wieder spielten Begriffe wie Kultur, Tradition und Ehre im Leben des Nasser A. eine große Rolle. Besitzdenken, sexuelle Zwangsvorstellungen mit voyeuristischen Anteilen sowie ein Kontrollzwang seien in seiner Gedankenwelt vorherrschend. Gerlich sprach in dem Zusammenhang von pathetischen und weinerlichen Stimmungsschwankungen. „Früher sprach man von hysterischen Zuständen“.

Schuldfähigkeit nicht eingeschränkt

Doch gebe es keine Anzeichen für eine körperliche oder seelische Störung, die seine Schuldfähigkeit – sofern er die Tat überhaupt begangen habe – einschränken würde. Auch die Vermutung, dass Nasser A. über einen längeren Zeitraum regelmäßig Opiate zu sich genommen haben soll, führte laut Gerlichs Erkenntnissen nicht dazu, dass seine Kontroll- und Steuerungsfähigkeit im Dezember 2012 eingeschränkt gewesen sein könnte.

Wie Nasser A. seinem behandelnden Hausarzt im Oktober 2012 erzählt hatte, habe er längere Zeit Opiate zu sich genommen, damit aber im September 2012 aufgehört. „Von etwaigen Entzugsproblemen ist nichts bekannt“, so Gerlich in seinen Ausführungen.

Auch die Medikamente, die der Angeklagte wegen seines erhöhten Bluthochdrucks habe einnehmen müssen, führten zu keiner Einschränkung seiner Kontroll- und Steuerungsfähigkeit, so der Sachverständige. Der Prozess wird am Donnerstag, 21. November, mit den Plädoyers fortgesetzt. Das Urteil wird für Freitag, 29. November, erwartet.

KStA abonnieren