Anklage in Bonn18-Jähriger stach mit Messer zu – Opfer auf Bahnsteig liegengelassen

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Justitia vor blauem Himmel

Symbolbild

Bonn – Nach Deutschland sei er gekommen, um endlich in Frieden zu leben, erzählte ein 18-jähriger Flüchtling auf der Anklagebank den Bonner Richtern. Er habe Syrien verlassen, nachdem er seinen Vater durch frühen Tod und viele Freunde im Krieg verloren habe.

Dann aber begegnete er in einer Bonner Flüchtlingsunterkunft einem Marokkaner, der ihn nicht aus Streit und Unfrieden entlassen sollte. „Es war wie in einem Teufelskreis, aus dem ich nicht rausgekommen bin. Als wäre der Unfrieden mit mir gereist“.

Am 21. Februar 2017 schließlich begegnen sich die beiden Asylanten zufällig im Tannenbusch, fahren getrennt voneinander in der Stadtbahn: Auf dem Bahnsteig Bonn-West steigen sie beide aus und treffen erneut aufeinander.

Es kommt zum Streit, zur Rangelei, die blutig endet: Der 18-Jährige zieht schließlich ein Messer und sticht dreimal auf den Marokkaner ein. Dann flüchtet er mit einem 21-jährigen Freund, ebenfalls aus Syrien, über die Bahngleise; stellt sich aber am Tattag noch der Polizei. Der stark blutende Marokkaner bleibt auf dem Bahnsteig liegen: Er muss notärztlich versorgt werden.

Beleidigt und bedroht gefühlt

Wegen eines Tötungsversuchs sitzt der 18-Jährige jetzt auf der Anklagebank des Jugendschwurgerichts; wegen Beihilfe muss sich auch sein Freund verantworten, der verhindert haben soll, dass ein Zeuge den blutigen Streit beendet. „Es ist richtig“, gestand der Angeklagte gleich zum Auftakt, „dass ich mit einem Messer, das nicht größer ist als ein Kugelschreiber, zugestochen habe.“

Aber er habe ihn nicht töten wollen, auch nicht schwer verletzen. Er habe dem Marokkaner einen „Denkzettel“ verpassen wollen, weil er sich von ihm seit Wochen verfolgt, beleidigt und bedroht gefühlt habe. Er sollte ihn endlich in Ruhe lassen.

Hintergrund des Streits: Angeblich soll der Marokkaner – so der 18-Jährige im Prozess – immer wieder gedroht haben, die Flüchtlingsunterkunft abzubrennen, wenn er sie verlassen muss. Als es schließlich im Asylantenheim tatsächlich brannte, hatte der 18-Jährige ihn als möglichen Brandstifter benannt. Der Marokkaner wurde festgenommen, kam aber eine Tag später wieder auf freien Fuß. „Du Hurensohn hast mich ins Gefängnis gebracht,“ soll er gesagt haben. Von da an soll er gedroht haben, sich zu rächen.

Der Marokkaner jedoch kann sich zu dem Vorfall nicht äußern. Wochenlang hatte das Gericht den 28-jährigen Opferzeugen gesucht. Erst kurz vor Prozessbeginn erfuhren die Richter, dass sein Asylantrag abgelehnt und er bereits am 12. Juli in seine Heimat abgeschoben worden war. Eine Mitteilung der Ausländerbehörde an das Gericht hatte es nicht gegeben. Bei der Aufklärung kann sich die Kammer vor allem auf die Videoaufzeichnung der Bahnsteigkamera stützen, aber auch auf zahlreichen Zeugen, die den Angriff miterlebt hatten.

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