KatastrophengebietEinsatz für die Opfer des Taifuns

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Die Stadt Tacloban war nach dem Sturm völlig zerstört.

Die Stadt Tacloban war nach dem Sturm völlig zerstört.

Niederkassel – „Als wir auf dem Flughafen in Tacloban ankamen, dachten wir: Hier hat keiner überlebt.“ Kein Haus stand mehr, die Straßen, Wasser- und Gasleitungen zerstört: Zu gewaltig war der Eindruck, den die Verwüstungen des Taifuns Haiyan auf das achtköpfige deutsche Ärzteteam machten. Unter ihnen Dr. Michael Brinkmann, Allgemeinmediziner mit Praxis im Niederkasseler Stadtteil Mondorf.

„Zuerst war die Rede von 10 000 Toten“, erinnert sich Brinkmann, „zum Glück wurde diese Zahl bald nach unten korrigiert.“ Inzwischen, einen Monat nach der Katastrophe, ist klar: Sie liegt bei auf etwas über 5200 Todesopfern. Eine Zahl, die – verglichen mit anderen Katastrophen – fast noch moderat wirkt. „Aber zur gleichen Zeit waren 4,2 Millionen Menschen obdachlos, es gab so gut wie keine Gebäude, die den Sturm überstanden hatten.“ Und das mitten in der Monsunzeit. Heißes und feuchtes Klima, jeden Tag tropische Regengüsse – sehr schlecht für die Atemwege. Lungenentzündungen grassierten. Das erste Team der Hilfsorganisation war bereits direkt nach dem Sturm am 8. November auf den Philippinen gelandet; Brinkmann und seine Kollegen setzten mit dem Hubschrauber am 14. November auf einem Flugzeugträger des US-Militärs im Hafen auf.

Viele kleine Patienten

Mit den Kollegen machte sich Brinkmann daran, die zerstörte Klinik „Mother of Mercy“ mitten in der Stadt Tacloban zumindest teilweise herzurichten. Das heimische Hauspersonal war in alle Winde zerstreut. „Es ist jedes Mal eine neue Herausforderung“, berichtet der Arzt, der schon oft geholfen hat, die medizinische Notversorgung in Krisengebieten aufzubauen (siehe „Die Organisation“). In dem Gebäude war nur noch die Ambulanz nutzbar, die anderen Stockwerke standen unter Wasser. „Wir wühlten in den Schränken, suchten nach funktionierendem medizinischem Gerät.“

Humedica, eine internationale Hilfsorganisation, organisiert den Einsatz von medizinischem Personal in Katastrophen- und Krisengebieten, sowohl für Akuthilfe als auch beim Wiederaufbau medizinischer Infrastruktur.

Schon zwölfmal war Michael Brinkmann seit 1991 bei Einsätzen, darunter in Ruanda während des Völkermordes an den Tutsi (1994, knapp eine Million Tote) und auf Haiti nach dem Erdbeben (2010, fast 230 000 Tote). (bäu)

Viele Medikamente hatten die Ärzte mitgebracht, ein immer leicht variierendes Katastrophenhilfe-Set, bestehend vor allem aus Impfmitteln gegen Gelbfieber, Malaria, Kinderlähmung und Hirnhautentzündung sowie ein Inhalierspray, um Atemnot zu lindern. „Aber wir hatten nicht mit so vielen Kindern gerechnet.“ Auf den Philippinen, einem stark katholisch geprägten Land, sind Familien mit sechs, acht oder gar zehn Kindern keine Seltenheit. „Das Inhalierspray drohte uns auszugehen.“ Die Holzhütten und vor allem die Wellblechdächer, die beim Sturm ungehindert durch die Gegend geflogen waren, hatten vielen Menschen tiefe Schnittwunden zugefügt. Diese entzündeten sich, weil alles frei zugängliche Wasser mit Öl und Fäkalkeimen verseucht war. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zum eigenen Schutz infizierten sich auch zwei Ärztekollegen, bekamen Durchfall.

Während ein Teil der Mediziner in Tacloban die Stellung hielt, schwärmte ein mobiles Team in die Vororte und Dörfer aus. Jedes Haus, das zumindest noch den Teil eines Daches besaß, wurde zur Notambulanz umfunktioniert. „Das waren nur Schulen oder Kirchen“, erinnert sich Brinkmann. „Komisches Gefühl, einen Patienten auf dem Altar zu verarzten.“ Die Arbeit selbst empfindet er als sehr erfüllend. Natürlich gebe es Sprachbarrieren, gerade in den Außenbezirken und bei den älteren Menschen. „Es saß immer eine Übersetzerin dabei, die war sehr hilfreich.“ Ein paar Worte Tagalog eignete sich Brinkmann aber schnell an: Hallo, Fieber, Untersuchung. Und vor allem für die Kinder ein beruhigendes „huwak ma takot“ (hab keine Angst). Die Dolmetscherin ist selbst ein Opfer des Sturmes: Zwei ihrer Kinder konnte sie retten, das dritte wurde vom Wasser weggespült. „Es muss sie innerlich zerrissen haben. Trotzdem war sie jeden Tag bei uns, leistete hoch professionelle Arbeit.“

Die wirklich gute Nachricht ist für Brinkmann, dass das philippinische Gesundheitssystem schon drei Wochen nach dem Sturm wieder begann, auf die Beine zu kommen. „Es waren dann auch so viele Helferorganisationen vor Ort, dass es nach kurzer Zeit sehr gut lief.“

Noch etwa eine Woche lang ist Humedica mit Kollegen vor Ort, um Anschub beim Wiederaufbau zu leisten. Brinkmann indes hat sich, wie er es nennt, „Arbeit mit nach Hause gebracht“: Bei den Untersuchungen hatte er bei drei Kindern schwere Herzfehler diagnostiziert. „Wenn denen nicht bald geholfen wird, sterben sie.“ Nun will er versuchen, den Kindern eine Operation in Deutschland zu ermöglichen. „Sie brauchen hoch spezialisierte Operationen, wie sie zum Beispiel die Kinderherzklinik in Sankt Augustin leisten kann. Doch die meisten Kosten – sicherlich 10 000 Euro pro Person – wird allein schon der Transport verursachen.“

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