„Bürokratie erdrückt die Anbieter“Nicole Westig im Interview zum Seniorenzentrum Michaelsberg

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Seniorenzentrum Am Michaelsberg in Siegburg

Die Existenz des Seniorenzentrums Michaelsberg steht auf dem Spiel, nachdem ein neuer Eigentümer Konten sperrte.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Nicole Westig über das Seniorenzentrum Michaelsberg und die gesperrten Konten.

In Siegburg steht die Existenz des Seniorenzentrums Michaelsberg auf dem Spiel, 50 Senioren könnten im schlimmsten Fall ihre Unterbringung verlieren, nachdem ein neuer Eigner Konten gesperrt und den Kontakt zur Leitung des Heims abgebrochen hat.

Über den Fall sprach Redakteur Andreas Helfer mit Nicole Westig, der pflegepolitischen Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Die 55-Jährige ist Vorsitzende des FDP-Kreisverbands Rhein-Sieg und Mitglied des Landesvorstands, sie lebt in Bad Honnef.

Ist das Pflegesystem zu anfällig für Machenschaften wie am Seniorenzentrum am Michaelsberg?

Nicole Westig: So tragisch und erschreckend dieser Fall auch ist – in meinen Augen handelt es sich hierbei um die mutmaßliche Straftat eines einzelnen Akteurs und nicht um ein strukturelles Problem.

Die Situation im Seniorenzentrum am Michaelsberg geht vor allem zu Lasten der Beschäftigten und der Bewohnerinnen und Bewohner. Ich bin sehr froh, dass jetzt Lösungen gesucht werden, um eine Verlegung der Bewohner um jeden Preis zu vermeiden.

Wer steht jetzt in der Verantwortung, den Betroffenen zu helfen?

Die Verantwortlichkeit für die Situation in diesem Pflegeheim nicht auf der Bundesebene, sondern bei der Heimaufsicht des Rhein-Sieg-Kreises. Für die Bewertung, ob eine Straftat vorliegt, vertraue ich auf die zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Ich kann nur begrüßen, dass entsprechende rechtliche Schritte bereits veranlasst wurden.

Das Seniorenzentrum war früher in evangelischer Trägerschaft und hat in den vergangenen Jahren mehrfach den Besitzer gewechselt. Sind die Privatisierungen der Pflegeeinrichtungen das Problem?

Dieser Ausnahmefall darf nicht das Bild der privaten, meist familiengeführten Pflegeunternehmen verzerren. Private Anbieter sind eine tragende Säule der Versorgungslandschaft und aus ihr nicht wegzudenken. Diese Unternehmen – auch hier im Rhein-Sieg-Kreis – leisten hervorragende Arbeit, gerade auch mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Gleichzeitig werden sie von überbordender Bürokratie fast erdrückt und müssen schwierigen Verhandlungen mit Pflegekassen führen. Das macht ihre Situation zusätzlich zum bedrohlichen Fachkräftemangel noch herausfordernder.

In der Branche häufen sich Insolvenzen, Heimbetreiber klagen über die unnachgiebige Haltung der Pflege- und Krankenkassen bei der Festlegung der Pflegesätze. Zu Recht?

Die Insolvenzen sehe ich mit großer Sorge. Das hat verschiedene Gründe. Da ist zuallererst der akute Fachkräftemangel in der Pflege. Er führt dazu, dass immer mehr Pflegeheime nicht komplett ausgelastet sind, denn wenn nicht ausreichend Pflegekräfte vorhanden sind, müssen Betten gesperrt werden.

Um für angemessene Löhne zu sorgen, wurde die von der Vorgängerregierung beschlossene Tariftreueregelung umgesetzt. Doch hier ist nicht überall die Refinanzierung gesichert, deshalb die andauernden schwierigen Verhandlungen mit den Pflegekassen.

Wer ist in der Pflicht, die Situation der Heime zu verbessern?

Die Politik muss die Rahmenbedingungen für eine gute Pflegeinfrastruktur schaffen. Mit Blick auf die demografische Entwicklung müssen wir aber so ehrlich sein zu sagen, dass wir angesichts der begrenzten personellen Ressourcen nicht alle Menschen mit Pflegebedarf professionell betreuen werden können.

Deshalb müssen wir alles tun, damit Menschen – auch mit Unterstützungsbedarf – länger in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können, zum Beispiel auch durch neue Wohnformen. Unsere Quartiere entsprechend zu entwickeln, dafür liegt der Schlüssel vor Ort in den Kommunen.

Was unternimmt der Bund?

Wir als Regierungskoalition haben innerhalb des kürzlich verabschiedeten Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes ein Förderprogramm für Kommunen für innovative Versorgungskonzepte beschlossen.

Hierzu stellt der Bund 30 Millionen Euro aus dem Ausgleichsfonds zur Verfügung, die andere Hälfte tragen Kommunen und Länder. Das ist ein erster Aufschlag, dem gewiss noch weitere folgen müssen.


Heimaufsicht ist eingeschaltet

Alles laufe weiter, sagt Horst Thuro, der Leiter des Seniorenzentrums am Michaelsberg, auf Anfrage. Derzeit sehe er keine Gefahr von Räumungen.

Die Heimaufsicht beim Rhein-Sieg-Kreis habe in Absprache mit Sozialämtern und Pflegekassen dafür gesorgt, dass Eigenanteile der Pflegekosten nicht mehr auf das Konto der überwiesen werden, sondern auf Girokonten, so dass sie von dort aus bar an die Einrichtung ausbezahlt werden können. Der neue Inhaber, der angeblich Robert Schulz heißt, habe sich nicht mehr im Seniorenzentrum gemeldet. Thuro hatte bei der Staatsanwaltschaft Bonn Anzeige erstattet.

Die Lage des Seniorenzentrums war öffentlich geworden, nachdem sich der Sohn eines 87 Jahre alten Bewohners an die Redaktion gewandt hatte. 

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