Rodeo der Rollenbilder

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Katja Kullmann lebt als freie Autorin in Berlin.

Katja Kullmann lebt als freie Autorin in Berlin.

Der Angriff auf die Emanzipation als Teil einer reaktionären Bewegung.

Mit einem Gedanken ist es wie mit einer Schwangerschaft: Als unschuldige Ahnung nistet er sich ein, wächst sich über Wochen und Monate zur Idee aus und wird, wenn er voll entwickelt ist, in die Welt gesetzt, ob er will oder nicht, ob er hübsch oder hässlich ist, gesund oder krank. Die „Tagesschau“-Sprecherin Eva Herman hat nun offen ausgesprochen, was viele seit langem nur dachten oder verschämt flüsterten: Deutschland stirbt aus - Die Frauen sind schuld - Frauen zurück an den Herd!

„Die Emanzipation - ein Irrtum?“, fragt Herman. Sie antwortet sich selbst mit einem klaren Ja. „Nach fast einem halben Jahrhundert Feminismus und Frauenemanzipation“ zieht sie Bilanz: „Es werden so viele Ehen geschieden wie noch nie zuvor. In immer weniger Haushalten wird regelmäßig oder gar zeitaufwändig gekocht.“ Frauen ohne Familie verstießen „gegen jene Gesetze, die das Überleben unserer menschlichen Spezies einst gesichert haben.“ Was wie eine Satire anmutet, scheint Hermans heiliger Ernst zu sein, ihr Artikel enthält gleich dreimal den Begriff der „Schöpfung“.

Mit ihrem kleinen Manifest setzt die Fernsehfrau sich an die Spitze einer reaktionären Konsensbewegung, die sich quer durch alle Milieus und Niveaus zieht. Unter Rollback versteht die Soziologie, grob gesagt, den Rückfall in längst überwunden geglaubte Zustände. Eine solche gesellschaftliche Werteverschiebung lässt sich dieser Tage live und in Farbe studieren. Zu den Pionieren zählt hierbei der FAZ-Herausgeber und „Werte“-Propagandist Frank Schirrmacher. Erst heizte er mit seinem Buch „Das Methusalem-Komplott“ die Debatte über die Alterspyramide an, nun nimmt er den Folgeband „Minimum - vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft“ zum Anlass, in Talkshows über die natürlichen Talente der Geschlechter zu räsonieren.

In der „Zeit“-Redakteurin Susanne Gaschke hat Schirrmacher eine Sekundantin gefunden. Gaschke hat das Buch „Die Emanzipationsfalle. Erfolgreich, einsam, kinderlos“ geschrieben. Beide Autoren bedienen sich, ähnlich wie Frau Herman, aus einem Potpourri von Biologismen, unklar verorteten „Normen“ und anderen so genannten Natürlichkeiten. Die Visitenkarten FAZ und „Zeit“ adeln das Stammtisch-Ressentiment von der Frau, die an den Herd und zum Kind gehört, mit dem Anhauch des Intellektuellen.

„Keiner bricht das Tabu“, beschwert sich Herman, „keiner verteidigt das Recht auf die traditionelle Rolle als Frau und Mutter.“ Da irrt sie, und das müsste ihr beim Nachrichtenverlesen eigentlich auch aufgefallen sein. So fordert etwa der Familienexperte der CDU, Johannes Singhammer, die Verschärfung des Abtreibungsparagrafen 218. Andere Unions-Politiker drängen auf eine Rentenkürzung für Kinderlose. Wieder andere schrien auf, als Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) verkündete, das Elterngeld nur dann in voller Höhe auszahlen zu wollen, wenn sich auch Väter an der Erziehung beteiligen.

Herman hat nun nichts anderes getan, als die Fruchtblase platzen zu lassen, die in des Volkes Seele still und leise angeschwollen zu sein scheint. Die natürliche Umgebung des Tiers Frau sind die heimischen vier Wände. So war es. So ist es. So soll es auch in Zukunft sein.

RTL präsentiert seit einer Weile in der Kreißsaal-Sendung „Unser Baby“ junge Paare im Gebärprozess, um dann überforderten Erziehungsberechtigten die „Super Nanny“ auf den Hals zu hetzen. In diesem Herbst will sich erstmals auch die ARD am Rollenbilder-Rodeo beteiligen. Die Anstalt kommt ihrem Bildungsauftrag nach, indem sie die Reihe Bräuteschule 1956 vorbereitet: Zwölf junge Frauen im Alter von 17 bis 23 Jahren sollen lernen, wie in der Adenauer-Ära ein ordentlicher deutscher Haushalt geführt wurde. Frau Herman selbst schließt erfolgreich Buchverträge ab mit Titeln wie „Jedes Kind kann schlafen lernen“ und „Mein Kind schläft durch“. Man kann also nicht behaupten, dass die Mutterschaft und das Hauswirtschaftswesen in ihren tradierten Formen nicht ausreichend gewürdigt werden.

Die Geburtenrate in Deutschland sinkt seit zwei Jahrzehnten, auf statistisch nunmehr 1,35 Kinder je Frau. Mindestens 2,2 Kinder müssten es sein, um die Sozialsysteme zu erhalten. Väter beteiligen sich nur zu 1,8 Prozent an der Elternzeit. Deutschland hinkt im europaweiten Vergleich beschämend hinterher, was die staatliche Kleinkinderbetreuung angeht. 40 Prozent der Akademikerinnen entscheiden sich auch aus diesem Grund von vorneherein gegen Kinder. Frauen schreiben bessere Noten, verdienen im Schnitt aber noch immer rund 20 Prozent weniger als Männer. An Skandalen mangelt es nicht.

Doch niemand will die Litanei von der strukturellen Ungleichheit mehr hören. Und so wächst die Sehnsucht nach einfachen Lösungen. Die Frau an sich verfügt nach Herman über „weibliche Fähigkeiten wie Empathie, Verständnis, Vorsicht“. Sie eignet sich damit hervorragend zur duldsamen Sündenziege. Herman schimpft auf die „Anführerinnen“, die „Kämpferinnen von einst“, die „Frauenrechtlerinnen“. Unklar bleibt, wen sie damit meint. Etwa Alice Schwarzer, noch mal Alice Schwarzer und Alice Schwarzer? „Selbstgefälligkeit“ und „Eitelkeit“ wirft Herman den Frauen vor, die sich bewusst gegen die Fortpflanzung entscheiden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich demnach bis zum Höchstmaß selbstverwirklicht - und das auch noch auf Kosten der Steuerzahler.

Einige ernsthafte Fragen wären angebracht, etwa die Frage, ob es sich nicht um lupenreinen Sexismus handelt, wenn Eva Herman vorschlägt: „Betrachten wir einmal den soziologischen und biologischen Kontext. Der Mann steht in der Schöpfung als der aktive, kraftvolle, starke und beschützende Part, die Frau dagegen als der empfindsame, mitfühlende, reinere und mütterliche Teil“. Man ersetze „Mann“ und „Frau“ durch die Begriffe „weißer Mann“ („fleißig, ordentlich, zuverlässig“) und „schwarzer Mann“ („faul, langes Genital, kann gut tanzen“), wahlweise auch durch die Begriffspaare „Deutscher“ / „Ausländer“ oder „Arier“ / „Jude“.

Wegen „fehlender Bemutterung“ habe die Hälfte aller Kinder Defizite wie „kognitive Entwicklungsbarrieren und verhaltensauffälliges Benehmen“ zu erleiden, schreibt Herman. Das weckt Assoziationen an die Pisa-Studie, an Kühltruhen-Babys und die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln. Möchte man da nicht sofort die Super Nanny bestellen?

Die Frage ist nur, ob die Super Nanny sich ohne Bodyguards dorthin trauen würde, wo durchaus Kinder geboren werden, und zwar viele: In die Vorstadt-Ghettos nämlich, wo Klavierunterricht und pädagogisch wertvolles Basteln so selten sind wie anderswo Hausmänner, in Gegenden, wo ganze Dynastien multi-ethnischer Hartz-IV-Wahrscheinlichkeiten heranwachsen, und in die kein Feuilletonredakteur der Welt gern seine Budapester Schuhe trägt.

Mauschelt und munkelt es nicht schon längst, in den Talk-Runden und an den Supermarktkassen, dass die „falschen“ Frauen die „falschen“ Kinder kriegen? Dass der Unterbau der Gesellschaft sich zwar vermehrt, die Elite aber degeneriert? Ist das nicht der eigentliche Schmerz, der unsere „Schöpfungs“-Gemeinschaft dieser Tage erschüttert, der uns den „Seelenfrieden“ raubt? Könnte es sein, dass Eva Herman mit ihrem Aufsatz schon wieder einen neuen Gedanken-Samen gepflanzt hat, unter Zuhilfenahme ihrer weiblichen Intuition?

Zur Debatte steht nicht, ob Emanzipation ein Irrtum ist. Wer die Nachrichten aufmerksam verfolgt, der fragt eher: Ist Emanzipation zur Klassenfrage geworden? Und damit übergeben wir zum Wetter.

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