Basketball-Bundestrainer HerbertDie Kraft, die aus der Ruhe kommt

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Gordon Herbert

Gordon Herbert

Köln – Es wäre leicht gewesen, sich davontragen zu lassen und in Superlativen zu schwärmen. Rund um Gordon Herbert konnten sich die Menschen kaum beruhigen, das 109:107 der deutschen Basketball-Nationalmannschaft nach zweimaliger Verlängerung gegen Litauen im dritten Vorrundenmatch der Europameisterschaft versetzte jeden nachhaltig in Ekstase. Nur der Bundestrainer stand mitten im tosenden Lärm der Lanxess-Arena und sagte: „Es war wirklich ein gutes Basketballspiel.“

Aus dem 63-Jährigen sprach die Nüchternheit des Analytikers, vermutlich hätte er kaum anders geklungen, wenn er einem mittelmäßig ambitionierten Bezirksligisten höflich zum Sieg in einem Meisterschaftsspiel gratuliert hätte. Etwas Euphorie darf sich der Kanadier schon leisten, immerhin ist es maßgeblich sein Verdienst, dass die DBB-Auswahl in der Vorrunde in Köln glänzte und sich als Gruppenzweiter hinter Titelverteidiger Slowenien für das Achtelfinale in Berlin qualifizierte.

Basketball: Coach Gordon Herbert will eine Medaille

In der Arena am Ostbahnhof steht am Samstag das Duell mit Montenegro bevor (Samstag, 18 Uhr, live und kostenlos bei MagentaSport). Doch Herbert drängt nicht ins Rampenlicht, wenn andere glänzen können.

Der Coach betont lieber, wie stolz er auf seine Spieler ist. Doch er hat sie mit der Kraft seiner Ruhe durch eine komplizierte Vorrunde geführt, die er selbst aus Ehrfurcht vor den sportlichen Qualitäten der Gegner als „Todesgruppe“ bezeichnete.

Es mag seit seinem Amtsantritt beim DBB im September 2021 immer wieder stille Momente gegeben haben, in denen der 1,97 Meter große Ex-Profi selbst an einer erfolgreichen Mission beim Heim-Turnier zweifelte. Sollte dies der Fall gewesen sein, hat er seine Bedenken erfolgreich kaschiert und stets tapfer an seinem ambitionierten Plan festgehalten: „Das Ziel ist eine Medaille.“

Gordon Herbert steht zu seinem Wort

Den meisten seiner Kollegen wäre dieser mutige Satz nach einer turbulenten Vorbereitung, wie sie Deutschland erlebte, wohl nicht mehr über de Lippen gekommen. Doch Herbert stand zu seinem Wort.

Er ließ sich weder von den Ausfällen der NBA-Profis Maxi Kleber, Isaiah Hartenstein, Isaac Bonga und Moritz Wagner noch von der bis zum Schluss ungewissen EM-Teilnahme des an Knieproblemen laborierenden Daniel Theis irritieren. Herbert nahm ohne Murren zur Kenntnis, dass der kurz zuvor eingebürgerte Nick Weiler-Babb, der gegen Montenegro wegen Problemen mit der Schulter auszufallen droht, erst spät zum Team stieß, weil er familiäre Angelegenheiten in den USA zu regeln hatte. „Wir müssen mit den Spielern arbeiten, die da sind und gesund sind“, betonte der Coach.

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Einzig die Entscheidung, Robin Benzing aus dem EM-Aufgebot zu streichen, habe ihn „einige Tage Schlaf gekostet“, wie der Bundestrainer zugab. Der studierte Sportpsychologe ahnte, dass der Schritt weniger aufgrund der sportlichen Bedeutung des langjährigen Kapitäns, sondern eher wegen desen in 165 Länderspielen erworbenen Meriten für Kontroversen sorgen würde. Das nahm er in Kauf.

In der knappen Zeit bis zum Eröffnungsspiel gegen Frankreich schwor der Chef seine Profis auf seine Philosophie ein, die vorwiegend darauf beruht, über starken Zusammenhalt zum Erfolg zu gelangen und eine aggressive Verteidigung zu etablieren. „Der Schlüssel ist es, dass wir ein gut funktionierendes Team stellen“, betonte Herbert. „Und dann kann unsere individuelle Klasse den Unterschied ausmachen. Wenn wir aber nur Einzelspieler sind, dann wird es nicht funktionieren.“

Angeeignet hat sich der Weitgereiste seine Kompetenzen bei langjährigen Aufenthalten in Finnland, während der er seine Frau Sari kennenlernte und die finnische Staatsbürgerschaft erhielt, in Frankreich oder verschiedenen Stationen in der Bundesliga. Seine erfolgreichste Zeit erlebte Herbert in Frankfurt, wo er 2004 die Deutsche Meisterschaft gewann. Ihren Triumph hatten die Hessen auch damals schon ihrer kompromisslosen Defensive zu verdanken: Auf dem Weg zum Titel gestatteten sie ihren Kontrahenten in 21 Partien weniger als 70 Punkte.

Triumphe von Gordon Herbert in Frankfurt

Nach seinem Abschied kehrte Herbert 2010 und 2013 noch zweimal an den Main zurück. 2016 gewann er mit den Skyliners den Fiba Europe Cup und wurde zum BBL-Trainer des Jahres gewählt. Seine profunden Kenntnisse über den deutschen Basketball sowie seine Auslandserfahrungen qualifizierten Herbert ebenso für den Job des Bundestrainers wie seine Zeit als Assistenzcoach bei den Toronto Raptors, in der er lernte, die Befindlichkeiten von mitunter kapriziösen NBA-Profis zu moderieren. „Gordie ist autoritär und in seinen Ansagen sehr klar“, sagt Aufbauspieler Maodo Lô. „Aber er hat gleichzeitig auch sehr viel Verständnis für die Spieler.“ Niemand sollte also die ruhige Art des Routiniers mit fehlendem Durchsetzungsvermögen verwechseln.

In seltenen Fällen kann Herbert aus sich herausgehen. Beim Thriller gegen Litauen leistete er sich ein Technisches Foul, weil er sich über einen seiner Meinung nach falschen Foulpfiff echauffierte. Den daraus resultierenden Freiwurf vergaßen die Schiedsrichter ausführen zu lassen, was einen vergeblichen Protest des Verlierers gegen die Wertung nach sich zog. Wenn die Introvertierten explodieren, kann das nicht ohne Folgen bleiben.

Der weitere Verlauf der Basketball-EM

Mit Abschluss der Vorrunde steht der Turnierbaum für die K.o.-Phase der Basketball-Europameisterschaft. Nicht nur die acht für Samstag und Sonntag angesetzten Achtelfinal-Partien sind fix, sondern auch der weitere Weg bis zu einem möglichen Finale am 18. September in Berlin.

Deutschland trifft im Achtelfinale am Samstag (18 Uhr/MagentaSport) zunächst auf Außenseiter Montenegro. In einem möglichen Viertelfinale am kommenden Dienstag sind die Tschechen oder die Griechen mit Superstar Giannis Antetokounmpo der Gegner. Antetokounmpo spielt bei den Titelkämpfen bislang überragend, er präsentiert sich in sensationeller Form, verstauchte sich aber zum Abschluss der Vorrunde den Knöchel. (dpa)    

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