Christoph KramerWie aus dem Königstransfer ein Überzähliger wurde

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PIC Kramer

Christoph Kramer im Bayer-Dress.

  • Christoph Kramer hatte zu keinem Zeitpunkt prägenden Einfluss auf den Bayer-04-Fußball.
  • Seine besten Leistungen zeigte der Weltmeister immer dann, wenn Personalnot herrschte.

Leverkusen – Ein Jahr ist im Fußball so viel, dass ein Blick zurück manchmal wie Geschichtsunterricht anmutet. Was, das ist damals passiert? Unglaublich, man hatte es schon fast vergessen. So wie die Geschichte von Christoph Kramer.

Es war der Sommer nach dem WM-Sommer, in dessen Verlauf der junge Fußballer aus dem Rheinland zu einem unerwarteten Helden geworden war. Ohne richtig zu wissen, warum, stand er 2014 plötzlich in der Startaufstellung des Endspiels von Rio und wurde nach einem Zusammenstoß zum ersten Spieler der Historie, der schon während des WM-Endspiels die Erinnerung daran verlor. Eine Woge der Sympathie und des Erfolges trug den ungewöhnlichen Weltmeister durch die folgende Saison in Mönchengladbach. Und es war eine große Portion Beharrlichkeit aufseiten der Leverkusener nötig, um am Ende des Leihvertrages im Sommer 2015 die Rückkehr des ehemaligen Jugendspielers Kramer ins Stammhaus einzufordern nach den Zwischenstationen Bochum und Gladbach.

„Christoph Kramer ist unser Königstransfer“

Man feierte das als schlagenden Beweis für das Funktionieren der Strategie, junge Spieler, die mit 19 den Sprung in den eigenen Profi-Kader noch nicht schaffen, anderswo reifen zu lassen wie der Fruchtgroßhändler die Bananen auf der Überfahrt von Mittelamerika nach Europa. "Christoph Kramer ist unser Königstransfer", sagte Sportchef Rudi Völler stolz, denn man musste ja null Euro für ihn bezahlen und konnte sich den Luxus erlauben, Offerten aus Mönchengladbach in mutmaßlich zweistelliger Millionenhöhe abzulehnen.

Ein Jahr später käme ein solches Angebot allen gelegen, denn beide Seiten haben das Versprechen aneinander nicht erfüllt. Bayer 04 hat das in maximaler Klarheit zum Ausdruck gebracht mit der Verpflichtung des defensiven Mittelfeldspieler Julian Baumgartlinger (28) von Mainz 05. Manager Jonas Boldt sagt über den Österreicher: "Wir glauben, er passt auf der Sechserposition hervorragend zu Charles Aranguiz, wenn Kevin Kampl da nicht spielt." Das sagt alles über die Neubewertung des einstigen Königstransfers bei Bayer 04 Leverkusen.

Es ist nicht so, dass Christoph Kramer wenig gespielt hätte. 44 Pflichtpartien, davon 28 in der Bundesliga, klingen nach einer erfüllten Saison. Doch es war anders. Durch die langfristigen Ausfälle von Charles Aranguiz und Lars Bender hat sich der 25-Jährige im defensiven Mittelfeld monatelang eigentlich selbst aufgestellt. In der Rückrunde kam er zweimal sogar als Innenverteidiger zum Einsatz. Und das waren nicht seine schlechtesten Spiele. Es hat sich gezeigt, dass der Stratege mit den langen Beinen nicht zum Grundgedanken des Trainers Roger Schmidt passt, der das aggressive Vorwärtsverteidigen und Umschalten möglichst weit vom eigenen Tor entfernt liebt.

Kramer zeigte seine besten Leistungen immer dann, wenn Personalnot oder Verunsicherung eine passivere Art des Spiels erforderte. Aber er hatte zu keinem Zeitpunkt prägenden Einfluss auf den Bayer-04-Fußball. Es kam der Tag, an dem der in seiner Offenheit stets entwaffnende Profi über sich sagte: " So viele schlechte Spiele, wie ich hier schon gemacht habe, habe ich sonst nirgendwo gemacht." Das war am 25. September 2015. Und er hat die Erklärung gleich mitgeliefert: "Das hier ist ein brutal anderer Fußball."

Bayer auf einem neuen Niveau

Christoph Kramer ist der Typ Spieler, den man aufgrund seiner Opferbereitschaft, seiner Intelligenz und seiner Kollegialität eigentlich im Kader haben will. Aber die Ansprüche des Champions-League-Teilnehmers Bayer 04 sind auf einem neuen Niveau angekommen. Offenbar ist man der Meinung, dass Christoph Kramer dort trotz seines bis 2019 laufenden Vertrages nicht unbedingt gebraucht wird. Natürlich gehen die Spekulationen nun wieder in Richtung Mönchengladbach. Dort wurde der Charakterkopf bis zum letzten Tag geliebt. Und dort wird auf seiner Position ein Platz frei, wenn Granit Xhaka seinen Wechsel nach England endgültig bekanntgibt.

Wäre Christoph Kramer, der zwölf Länderspiele für Deutschland absolviert hat, am Dienstag mit ins EM-Vorbereitungslager nach Ascona gefahren, müsste er sich um seine Attraktivität keine Sorgen machen. Aber Joachim Löw hat ihn nicht eingeladen. Ein Jahr ist im Fußball eben so viel.

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