Tradition und Tabernakel: Salt Lake City die Mormonen-Metropole

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Salt Lake City - Fanfarenklänge und Marschmusik - das ist der Sound von Salt Lake City. Er kommt aus dem Herzen der Stadt, er schallt aus der Kirche: Ein Choral aus "The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints", der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage". Seit mehr als 150 Jahren marschieren die Mormonen, wie es ihr Bekenntnis befiehlt, mit klingendem Spiel und kraftvollem Gesang weg vom Mainstream Amerikas, ihrem eigenen göttlichen Reich entgegen. Jeden Donnerstag um 20.00 Uhr singt bei einer öffentlichen Probe der weltberühmte Tabernakel Chor. Mit dem Notenbuch unterm Arm pilgern sie zu ihrer heiligen Stätte, der Touristen-Attraktion von Salt Lake City, zu der alle Straßen der Olympia-Stadt führen. Doch nicht nur an der Liederfibel sind die Mormonen unschwer zu erkennen. Kurzer Haarschnitt, weißes Hemd und dunkler Anzug die Jungen; am Hals hoch geschlossen, ungeschminkt und langer Rock bis über die Waden die Mädchen. Die Dienstkleidung der Soldaten Christi im Einsatz, wie man sie sieht, wenn sie von ihrer Hauptstadt aus mit 19 Jahren als Missionare durch die Welt wandern. 18 000 Mormonen in etwa 160 Ländern sind es derzeit. Vor 172 Jahren hatte der damals 25 Jahre alte Farmersohn Joseph Smith in Fayette im US-Bundesstaat New York die Glaubensgemeinschaft nach der Veröffentlichung des "Book of Mormon" gegründet. Der Prophet berief sich der Legende nach auf eine göttliche Erscheinung, bei der ihn der Engel Moroni darauf hingewiesen hatte, dass in der Nähe von Smiths Wohnort zwei goldene Platten mit Mitteilungen vergraben liegen. Angeblich fand er die Aufzeichnungen in "reformiert- ägyptischer" Sprache, die er mit Hilfe von zwei Kristallen, die er ebenfalls vom Engel erhalten hatte, übersetzte. Nachdem Smith, der die 1890 verbotene Vielweiberei proklamiert und für die US-Präsidentschaft kandidiert hatte, von den Gegnern seiner Lehre 1844 getötet wurde, führte Brigham Young die Mormonen durch die Prärie, über die Rocky Mountains bis zum Großen Salzsee. Vom Zion aus, ihrem gelobten Land, entwickelten die frommen Separatisten einen ungewöhnlichen Expansionsdrang, versuchten, global Gleichgesinnte zu rekrutieren und in den Wilden Westen zu holen. Sie gründeten in wenigen Jahren über hundert Städte, deren bekannteste heute Las Vegas ist. Zielstrebig arbeiteten sie an einem Konkurrenz-Staat zu Amerika, der von Südkalifornien bis an die kanadische Grenze - ein Sechstel der heutigen USA - reichen sollte. Erst 1896 schlossen die Mormonen ihren Frieden mit Amerika. Ihr nach einem Indianerstamm ("Ute") benanntes Territorium Utah wurde daraufhin von Washington als letzter Bundesstaat anerkannt und in die Union aufgenommen. Mit über 70 Prozent verkörpern sie die Mehrheit der 2,2 Millionen Einwohner Utahs. In Deutschland, wo Chemnitz zu Beginn des Jahrhunderts die Mormonen-Hochburg war, leben heute etwa 38 000 Anhänger. Der erste Tempel auf deutschem Boden wurde 1985 im sächsischen Freiberg errichtet. Durch bienenhaften Fleiß, mit dessen Hilfe Wohlstand als göttliche Belohnung für Rechtschaffenheit angesehen wird, und ihren hohen Moral-Prinzipien wie dem Verzicht auf sämtliche Genussmittel, erwarben sich die über elf Millionen Mitglieder, deren Anzahl schneller wächst als bei der anderen Religion, weltweite Anerkennung. Sie verfügen über viel Macht und Geld. Spitzenpolitiker und Wirtschaftsbosse gehören ebenso zu ihnen wie Showstars und Sportler oder die meisten Organisatoren der Winterspiele, allen voran Präsident Mitt Romney. Die Smith-Jünger rekrutieren sich aus sämtlichen Gesellschafts-Schichten. "Freiwillig" zahlen sie ein Zehntel ihres Einkommens als Beitrag. Die Kirche besitzt ein Gesamtvermögen von weit über 30 Milliarden Dollar. Nicht nur mit Millionen unterstützte die Sekte die Winterspiele. Sie stellte auch das Filetstück des 17-tägigen Sportfestes in Eis und Schnee zur Verfügung: Auf dem eigenen Parkplatzgelände im Stadtzentrum finden allabendlich die Medaillen-Zeremonien statt. "Die Winterspiele werden ganz sicher keine Mormonen-Spiele", versicherte Sprecher Bruce Olson. Allerdings: Untätig werden sich seine Glaubensbrüder- und Schwestern ihren internationalen Gästen gegenüber nicht verhalten. Denn der "phänomenalste Teil der Spiele" ist laut Olson, "dass wir sonst ja immer nur unsere Mitglieder in die Welt hinaus schicken - diesmal kommt jedoch die Welt zu uns". (dpa)

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