Aus der Ukraine nach Köln-EhrenfeldWas Geflüchtete aus Drittstaaten durchmachen

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Enoch Okedere und Zoey Jatamunua sind aus der Ukraine geflüchtet und leben zurzeit in Köln Ehrenfeld. Sie haben nur einen befristeten Aufenthaltstitel. 

  • Schwarze Menschen, die aus der Ukraine fliehen mussten, werden häufig diskriminiert.
  • Enoch Okedere, angehender Arzt aus Nigeria, und Zoey Jatamunua hatten eine glückliche Zukunft in der Ukraine vor Augen. Dann kam der Krieg.
  • In Köln-Ehrenfeld haben sie nach einer anstrengenden Flucht nur eine Chance: „Das Kapitel Trauma schließen und Deutsch lernen.“

Köln – In der Unterkunft hinter der Grenze schloss Enoch Okedere sich für eine Weile in seinem Zimmer ein und tat, was er sonst nie tut: Er weinte.

Bis hierhin war der angehende Arzt aus Nigeria stark gewesen. Tagelang hatte er einer Gruppe Afrikaner bei der Flucht aus der Ukraine Mut gemacht. Er hatte Ausgrenzung und Herabwürdigung ausgehalten, hatte diskutiert, organisiert, bezahlt, ein Baby über Schienen getragen und die Mutter getröstet, die beinahe von einem anfahrenden Zug überrollt worden wäre.

Er hatte alle zusammengehalten, um Plätze in Zügen gekämpft, in denen Schwarze Menschen nicht erwünscht waren, zwölf Stunden am Grenzübergang gestanden, weil Schwarze Menschen immer wieder zurückgeschickt wurden, und es schließlich nach Ungarn geschafft. Doch nun übermannte ihn die Erschöpfung. Und die Trauer darüber, ein Leben verloren zu haben, für das er so hart gekämpft hatte.

Mitten im Masterstudiengang

Okedere war als 17-Jähriger in die Ukraine gekommen, weil er Arzt werden wollte. Die Universitäten in seiner Heimat böten keine zuverlässige Ausbildung, erzählt er, es werde zu oft gestreikt. In Charkiw im Osten der Ukraine machte Okedere nach sechs Jahren seinen Bachelor, zuletzt steckte der 25-Jährige mitten im Master-Studiengang Krankenhausmanagement. Er hatte Russisch gelernt, verdiente sich sein Geld als Englischlehrer in einem Kindergarten, lebte mit seiner Freundin und der gemeinsamen Katze in einer Wohnung.

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Enoch Okedere (25) studierte in Charkiw Krankenhausmanagement, bevor er nach Deutschland floh.

Enoch Okedere hatte eine berufliche Karriere, eine Zukunft vor Augen, er war glücklich – bis zum 24. Februar 2022. Dann fielen die ersten russischen Bomben.

Auf schwierige Situation aufmerksam machen

Ein halbes Jahr später treffen wir ihn zusammen mit Kaningirirue Jatamunua, genannt Zoey, in einem Kölner Café. Sie ist 26 Jahre alt, stammt aus Namibia und studierte seit sieben Jahren im ukrainischen Dnipro Medizin. Okedere und Jatamunua sind zwei von 101 jungen afrikanischen Menschen, die vor dem Krieg aus der Ukraine fliehen mussten und nun in einer Campact-Petition unter dem Hashtag #SchutzFürAlle auf ihre prekäre Situation aufmerksam machen.

Denn anders als ukrainische Kriegsflüchtlinge erhalten Afrikaner und andere Geflüchtete aus so genannten Drittstaaten in Europa keine Aufenthaltsgewährung zum vorübergehenden Schutz nach Paragraf 24. Wenn ihnen in ihren Heimatländern kein Krieg und keine Verfolgung drohen, sollen sie dorthin zurückkehren.

Keine Sicherheit, keine Karriere, keine Zukunft

„Dann wäre alles umsonst gewesen“, sagt Okedere: „Wenn wir darüber reden, dass ich nach Hause gehen soll, reden wir über ein Land, in dem es vielleicht sicher ist zu leben, das aber keine Sicherheit für deine Berufskarriere, für deine Zukunft bietet. Ginge ich zurück, wäre ich wieder da, wo ich vor acht Jahren angefangen habe. Ich würde kein Arzt werden.“ Die Zugangsbedingungen an den Universitäten in der Ukraine sind einfacher zu erfüllen als jene an den europäischen Unis. Außerdem sind die Kosten für den Lebensunterhalt in der Ukraine niedriger. Das lockt viele afrikanische Studenten ins Land. Das System mag ausbeuterisch sein, die afrikanischen Studenten bleiben unter sich und können nur über teure Agenturen mit ihrer Universität in Kontakt treten. „Aber es hat funktioniert“, sagt Okedere, „ich habe meinen Bachelor gemacht.“

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Kaningirirue Jatamunua, lässt sich Zoey nennen. Sie ist 26 Jahre alt, stammt aus Namibia und studierte im ukrainischen Dnipro Medizin. 

Zoey Jatamunua sagt: „Ich war glücklich in der Ukraine. Dort bin ich erwachsen geworden, dort habe ich so viele Dinge über mich selbst gelernt, die Ukraine hat mich zu der Frau geformt, die ich heute bin. Vorher war ich so eingeschränkt durch meine Kultur und die dort vorherrschenden Normen.“

Helene Batemona-Abeke ist die Gründerin und Geschäftsführerin des gemeinnützigen Vereins Pamoja Afrika Köln, der sich der Antirassismus- und Antidiskriminierungs-Arbeit verschrieben hat und sich aktuell intensiv um aus der Ukraine geflüchtete Afrikanerinnen und Afrikaner kümmert. Batemona-Abeke sagt: „Diese Menschen haben sich in der Ukraine ein Leben aufgebaut, häufig als Studierende. Viele von ihnen und ihre Familien haben alles dafür aufgegeben. Sie würden aus Verzweiflung eher wieder in die Ukraine gehen und im russischen Bombenhagel sterben, als in ihre Heimatländer zurückzukehren.“

Wenigsten denen helfen, die es hierher schaffen

Die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine, den Krieg „in der Mitte Europas“, habe sie von Beginn an als „sehr rassistisch“ empfunden. Als gäbe es schlimme und weniger schlimme Kriege, als litten weiße Menschen in der unmittelbaren Nachbarschaft mehr als alle anderen überall auf der Welt. Als dann noch immer neue Details zur Flucht Schwarzer Menschen aus der Ukraine publik wurden, wie sie aus Zügen geworfen, rassistisch beschimpft, teilweise misshandelt oder missbraucht und an der Grenze stunden- und tagelang nicht durchgelassen wurden, beschloss Pamoja Afrika Köln, wenigstens jenen zu helfen, die es nach Deutschland schafften. „Wir haben einen traumasensiblen Ansatz entwickelt“, sagt Batemona-Abeke: „Auffangen, versorgen, beraten, begleiten, das ist, was wir tun.“ Das sprach sich rum. Über Chat-Gruppen der Black- und PoC-Communities hörten auch Okedere und Jatamunua davon, deshalb kamen sie nach Köln. Zunächst galt für Ukraine-Flüchtlinge aus Drittstaaten, dass sie nur bis zum 31. Mai bleiben durften. Im April wurde diese Frist bis zum 31. August verlängert.

Fiktionsbescheinigungen für ein halbes Jahr

Nach intensiver Öffentlichkeitsarbeit der Kölner Träger für die Beratung von geflüchteten Menschen hat die Ausländerbehörde nun lediglich so genannte Fiktionsbescheinigungen für ein halbes Jahr ausgestellt. Enoch Okedere und Zoey Jatamunua haben jetzt noch bis Februar Zeit, alle Bedingungen zu erfüllen, um in Deutschland zu studieren oder zu arbeiten und so eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. „Das eröffnet einen Weg für manche“, sagt Batemona-Abeke, „aber für viele bleibt es unmöglich“.

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Das NRW-Ministerium für Flucht und Integration verweist auf Nachfrage darauf, dass ein EU-Beschluss hinter dem Schutzmechanismus nach Paragraf 24 steht und dieser nun mal eine „Differenzierung zwischen ukrainischen Staatsangehörigen und der Personengruppe der Drittstaatsangehörigen“ vorsehe. Letztere hätten aber die Möglichkeit, „bei Erfüllung der jeweiligen Voraussetzungen andere Aufenthaltstitel auf der Basis des Aufenthaltsgesetzes zu erhalten“. Der unbürokratischste Satz in der Stellungnahme des von Josefine Paul (Grüne) geführten Ministeriums lautet: „Es gilt damit, innerhalb des gesetzlichen Rahmens gute Lösungen zu finden.“

Hohe Hürden 

Für Okedere und Jatamunua bedeutet das die Quadratur des Kreises: Sie brauchen bis Februar einen Arbeitsvertrag in ihrem Fachbereich oder eine Immatrikulationsbescheinigung, beides erfordert Deutschkenntnisse auf dem Level C1. Sie müssen einen festen Wohnsitz haben, für ihren Unterhalt und die Krankenversicherung aufkommen können und bei einem Studium ein Sperrkonto mit 11.000 Euro vorweisen.

Beide haben nach ihrer Ankunft sofort mit dem Deutschunterricht begonnen, sie stehen kurz vor dem Abschluss des Levels A2. In einem halben Jahr bis zum Level C2 zu kommen, ist allein eine immense Herausforderung. Woher sie die Kraft dafür nehmen nach der ungewollten, anstrengenden, schockierenden Flucht? Okedere sagt: „Das ist unsere einzige Chance. Wir mussten das Kapitel Trauma schließen und Deutsch lernen. In Bewegung bleiben, immer weiter und weiter gehen. Wenn ich Pause mache, sehe ich mich wieder in Nigeria.“

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