Arbeitsagentur-ChefWieso Corona Köln so hart trifft, Hoffnung aber angebracht ist

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Kölner Messe Lanxess Arena Panorama

Kölns Wirtschaft ist aufgrund ihrer besonderen Struktur anfällig für die harten Folgen der Corona-Pandemie. Eine große Rolle spielen dabei auch die Lanxess-Arena, hier links im Bild, und die Kölner Messe, hier rechts zu sehen.

  • In Köln hat fast jeder dritte Betrieb Kurzarbeit angemeldet.
  • Im Interview erklärt der Chef der hiesigen Agentur für Arbeit, Johannes Klapper, wieso die Pandemie die Stadt so stark getroffen hat – und was er Betrieben jetzt empfiehlt.
  • Außerdem berichtet Klapper von Branchen, in denen die Nachfrage nach Arbeitskräften sogar stark angestiegen ist.

Herr Klapper, die Pandemie hat Köln stärker getroffen als andere Teile des Landes. Woran liegt das?

Köln ist eine Stadt, deren Wirtschaft sehr stark von Messen, Veranstaltungen, Tourismus und in der Folge auch Hotellerie und Gastronomie lebt – also genau den Branchen, die mit am stärksten von den Einschränkungen betroffen sind. Und an ihnen hängen natürlich wieder viele weitere Berufe, vom Veranstaltungstechniker über die Reinigungsfirmen bis hin zum Taxifahrer.

Sie sind nahezu auf null gesetzt, ohne dass es eine wirtschaftliche Ursache gibt. Nahezu jeder dritte Kölner Betrieb hat Kurzarbeit angemeldet, was fast 200.000 potenziell betroffene Personen ergibt. Unsere Hoffnung ist aber, dass es nach der Krise schnell wieder aufwärts gehen könnte.

Haben wir mit dem Zeitpunkt der Pandemie Glück im Unglück gehabt? Vielen Betrieben ging es wirtschaftlich gut.

Es gab zuletzt einen starken Bedarf an Fachkräften. Das ist die Situation, aus der heraus viele Betriebe in Kurzarbeit gegangen sind. Viele von ihnen sagen sich: Wenn die Pandemie vorübergeht, brauche ich meine Leute wieder. Die Kurzarbeit ist also ein sehr gutes Instrument, um mit der Pandemie umzugehen und Entlassungen zu vermeiden. Die Krise ist schließlich nicht wirtschaftlich bedingt.

Und der Bedarf wird tatsächlich zurückkommen?

Ja. Natürlich gibt es Bereiche, in denen die Situation aktuell schwierig ist. Reisebüros und gastronomische Betriebe, die vorher bedarfstragend waren, halten sich aktuell zurück – das ist ja völlig klar. Aber es gibt auch Teilbranchen, in denen der Bedarf selbst in der Krise sehr hoch ist, zum Beispiel bei Gesundheitsberufen, im Lebensmitteleinzelhandel oder bei Kraftfahrern, die im derzeitigen E-Commerce-Boom händeringend gesucht werden.

Wir haben nicht umsonst das fünfte Quartal am Ausbildungsmarkt ausgerufen – auch jetzt sind noch freie Stellen da. Außerdem melden viele Unternehmen bereits Ausbildungsstellen für das kommende Jahr. Es ist wichtig, dass die Jugendlichen das auch mitbekommen. Nichts wäre fataler, als wenn Schüler aus Unsicherheit erst einmal nur abwarten.

Zu Person und Agentur für Arbeit

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Johannes Klapper

Johannes Klapper, 56, geboren in Köln, ist seit 2018 Vorsitzender der Geschäftsführung der Kölner Arbeitsagentur. Die Behörde ist derzeit für Arbeitnehmer telefonisch unter der Nummer 0221 9429 5550 und für Arbeitgeber unter der 0800 4 55 55 20 erreichbar. Termine vor Ort gibt es nur nach Vereinbarung.

Erst kürzlich hat das Bundeskabinett das Kurzarbeitergeld als wichtiges Instrument in der Krise auf bis zu 24 Monate verlängert. Betriebe, die vor dem 31. Dezember in Kurzarbeit gegangen sind, können es nun bis spätestens zum 31. Dezember 2021 beziehen.

Dazu genügt eine formlose Anzeige bei der Agentur für Arbeit, in der Dauer und Gründe für die Verlängerung genannt und eine Betriebsvereinbarung über die Verlängerung bzw. bei kleineren Arbeitgebern Einzelvereinbarungen mit den Arbeitnehmern vorgelegt werden müssen.

Was empfehlen Sie Betrieben, die derzeit in Kurzarbeit sind?

Wir werben dafür, diese Zeit sinnvoll zu nutzen und zum Beispiel zu prüfen, ob die Mitarbeiter gut für die Zukunft gewappnet sind oder ob Weiterqualifizierungen möglich sind. Viele Branchen sind im Wandel. Es macht Sinn, die strukturellen Veränderungen jetzt vorzunehmen. Wenn ein Händler beispielsweise beschließt, einen Onlineshop aufzubauen, braucht er im Netz Mitarbeiter mit anderen Fähigkeiten als beim Kundenkontakt an der Kleiderstange. Wir sehen Handlungsbedarf in der Industrie, aber auch in kleinen und mittleren Unternehmen, die bisher eine starke Präsenzkultur hatten. Auch im Handwerk ist die Digitalisierung teils schon stark fortgeschritten, und Beratungstermine finden bereits online statt. Jetzt ist wirklich die Zeit für Qualifizierung – egal ob für Kurzarbeitende, Arbeitslose oder Schüler. Diejenigen mit geringer Qualifizierung sind immer die, die als erstes ihren Job verlieren.

Wagen Sie eine Prognose, welche Folgen die Pandemie nachhaltig auf den Arbeitsmarkt haben wird?

In einer nicht wirtschaftlich bedingten Krise ist das nahezu unmöglich. Wir haben keinerlei Erfahrung mit einer Krise wie dieser. Wir wissen nicht, welche langfristigen Folgen die Pandemie haben wird. Nehmen wir einmal das Beispiel Flughafen: Werden die Passagierzahlen einfach wieder hochgehen, sobald die Menschen wieder fliegen können? Oder werden sie sich langfristig verringern?

Bislang haben wir noch keine Insolvenzwelle erlebt, aber wir wissen nicht, wie lange die Pandemie anhalten wird. Im Bereich der Kultur leben viele Menschen von sehr kurzfristigen und kurzzeitigen Jobs. Diese Branche braucht aktuell ein extremes Durchhaltevermögen. Und ob die gesamte Gastronomie- und Kneipenszene, in der Dichte, wie wir sie in Köln kennen, die Krise übersteht, ist nicht absehbar.

Dazu kommen natürlich auch noch Berufe des produzierenden Gewerbes, wo die strukturellen Umbrüche derzeit ohnehin groß sind. In der Autobranche wird es schwer sein zu differenzieren, was Strukturwandel und was Coronafolgen sind. In anderen Branchen wie der Chemie oder dem Handel ist die Situation sehr heterogen; Hersteller von Desinfektionsmittel und Lebensmittelhändler boomen, andere wie der Textilhandel sind massiv betroffen.

Welche Entwicklung sehen Sie gerade am Arbeitsmarkt?

Die Arbeitslosenzahlen sind im Frühjahr in Folge der Pandemie zunächst angestiegen. Mit der traditionellen Herbstbelebung sanken sie wieder, wenn auch nicht so deutlich wie in vergangenen Jahren. Der Großteil der Beschäftigten ist aber in den Betrieben gehalten worden, auch durch das Instrument Kurzarbeit.

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Hier sind die Anzeigen im März abrupt in die Höhe geschossen und seitdem auf einem konstant hohen Niveau geblieben, auch wenn die Inanspruchnahme schwankt, also der Prozentsatz der Belegschaft, der dann auch tatsächlich in Kurzarbeit geht. Die tatsächlichen Zahlen sehen wir immer erst mit einigen Monaten Verzögerung. Im neuen Lockdown Light dürften aber viele Unternehmen den Anteil der Kurzarbeit erhöht haben, auch wenn die Zahl der Anzeigen insgesamt keinen neuen Peak erreicht hat.

Wie haben Sie als Organisation auf den Ansturm auf die Kurzarbeit reagiert?

In normalen Zeiten befassen sich bei uns sieben, acht Leute mit dem Thema Kurzarbeit. Aber wenn schlagartig 10.000 Betriebe einen Antrag stellen, sind das natürlich ungekannte Dimensionen. Deshalb haben wir unsere Mitarbeiter entsprechend digital im Thema Kurzarbeit geschult, was eine echte logistische Herausforderung war. Zeitweise waren bis zu 400 Personen für die Bearbeitung der Anträge zuständig. Es ist Wahnsinn, wie die gesamte Mannschaft mitgezogen hat. Unsere Priorität war und ist es, die Geldleistungen so schnell wie möglich auszuzahlen.

Und wie läuft Ihr Tagesgeschäft weiter?

Der Lockdown im März kam für uns als Organisation sehr plötzlich. Wir konnten von einem Tag auf den nächsten nicht mehr für Publikumsverkehr öffnen. Normalerweise kommen täglich bis zu 1000 Menschen zu uns ins Haus.

Uns ist aber wichtig zu betonen, dass wir nie geschlossen waren. Wir waren offen, wir sind offen. Das komplette Geschäft wurde auf Telefonie und mittlerweile auch Videotelefonie umgestellt. In Fällen, in denen ein persönliches Treffen erforderlich ist, werden Termine vereinbart und die Menschen über ein Einbahnstraßensystem in ein pandemiegerechtes Zimmer geführt.

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