Billig-KettenKaufen, anziehen, wegschmeißen

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Schnäppchen: Eine Primark-Filiale in Berlin

Schnäppchen: Eine Primark-Filiale in Berlin

Berlin – Die Szenen erinnern an Konzerte von Teenie-Idol Justin Bieber und ein bisschen an eine Straßenschlacht: Wenn die irische Modekette Primark irgendwo eine neue Filiale eröffnet, stürzen sich kreischende Kundinnen auf Schuhe und Kleider und packen zusammen, was sie in die Hände bekommen. In Großbritannien verletzte die ungeduldige Meute zwei Sicherheitsleute, als sie eine Filiale vor deren Eröffnung stürmte.

Strickcardigans, Lederjacken, Blusen, Jeans und Pumps - kein Teil wird für mehr als 35 Euro verkauft, viele Shirts kosten nur ein paar Euro. Nun will der irische Textildiscounter auf dem europäischen Festland wachsen, vor allem in Deutschland. Auch in die Kölner Neumarkt-Galerie soll er einziehen - auf die Fläche, die derzeit Karstadt Sport belegt. Primark ist hierzulande nicht der erste Billigklamottenanbieter. Kik, Takko, H&M und C&A sowie Discounter wie Aldi und Lidl verkaufen seit Jahren billige Kleidung. Primark will aber modischer und billiger sein als die Konkurrenz und punktet vor allem bei jungen Kunden.

Stoffschläppchen für fünf Euro

Auch Jonas Müller konnte nicht widerstehen: Er hat Stoffschläppchen für fünf Euro gekauft, zwei T-Shirts für je 2,50 Euro und sechs Paar Socken für drei Euro. Die Qualität sei in Ordnung, sagt er. Seine Mutter findet, die Ware sei wie die von H&M. Eine Prognose wagt Jonas trotzdem: "Das Zeug hält nur ein dreiviertel Jahr."

Kaufen, anziehen, wegwerfen: Kleidung ist zuletzt immer billiger geworden und das hat die Art und Weise verändert, wie mit ihr umgegangen wird. Studien aus Großbritannien belegen: "Billige Kleidung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nach kurzer Zeit weggeworfen, denn sie wird als wenig haltbar wahrgenommen", hält eine Studie im Auftrag der britischen Regierung fest.

In Deutschland ist die Zahl der angebotenen Kleidungsstücke zuletzt deutlich gestiegen. Vor acht Jahren wurden in deutschen Läden noch 4,08 Milliarden Kleidungsstücke zum Kauf ausgelegt. 2011 waren es 4,8 Milliarden. 1998 haben deutsche Haushalte 118 Euro pro Monat für Bekleidung ausgegeben, 2003 waren es 112 Euro und 2008 nur noch 106 Euro. Das bedeutet: immer mehr Bekleidung für immer weniger Geld. Die Indizien häufen sich, dass dies nicht ohne Folgen für die Umwelt bleibt.

Rohstoff für die Putzlappenindustrie

Eine vor fünf Jahren veröffentlichte Studie hat binnen 15 Jahren einen Anstieg der aussortierten Klamotten um ein Fünftel auf 750.000 Tonnen gemessen. Das Statistische Bundesamt verzeichnet aktuell einen Anstieg der Textilmenge in den Haushaltsabfällen. Wurden 2004 noch 82.400 Tonnen Textilmüll von öffentlich-rechtlichen Entsorgern verwertet, waren es 2010 rund 100.300 Tonnen. Doch erfasst die Statistik nur ein Siebtel der Textilabfälle. Entsorgt werden Klamotten auch über Kleidersammlungen. Was noch getragen werden kann, wird in Osteuropa und Afrika verkauft, der Rest wird als Rohstoff für die Putzlappenindustrie oder als Brennmaterial verwendet.

Die niedrigen Preise begründet Primark damit, dass er bei den Herstellern günstig einkaufe, große Mengen bestelle, eine günstige Organisation habe und auf Werbung verzichte. Gegen Kritik wehrt sich Primark mit dem Hinweis auf das Engagement für faire Arbeitsbedingungen in Fabriken und für Umweltschutz.

Primark betreibt mit 40 000 Mitarbeitern mehrere Hundert Filialen in Irland, den Niederlanden, Spanien, Portugal, Deutschland (acht Geschäfte), Belgien und Großbritannien.

Laut Fachverband Textilrecycling verschlechtert sich die Qualität der Altkleider seit Jahren. Eine Sprecherin führt das auf Billigware aus Asien zurück, die überwiegend aus Kunstfasern bestünde. Für die Herstellung eines Baumwoll-Shirts werden 7000 Liter Wasser und 1,2 Kilo Chemie verbraucht sowie sieben Kilo CO2 ausgestoßen. Kunstfasern werden aus Öl hergestellt. Ein weiterer Effekt: Wenn neue Jeans und Pullis für ein paar Euro zu haben sind, gibt es keinen Grund mehr, Second-Hand-Kleidung zu kaufen. Primark wird in Großbritannien vorgeworfen, diesen Trend zu verschärfen. Als Parlamentarier eine Müllkippe in London besuchten, sprachen die Arbeiter mit Verweis auf wachsenden Textil-Müll vom Primark-Effekt. Der Begriff steht längst für einen verschwenderischen Umgang mit Kleidung.

Primark versucht diesen Ruf loszuwerden. Die Firma erklärt, dass die Qualität so gut sei wie die der Konkurrenz und dass man Kunden nicht zum Wegwerfverhalten animiere. Primark hat auf der Insel ein Recycling-Programm gestartet und will das auch in Deutschland tun. Man betont den Einsatz für den Umweltschutz. Verhindern wird das kaum, dass die Kunden mehr kaufen, als sie brauchen.

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