Kleine AnleitungSo wird man Karriere-Verweigerer

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Stinkt Ihnen Ihr Job auch so sehr? - Dann ist es vielleicht höchste Zeit für eine Veränderung. Die „Anleitung zur Karriereverweigerung“ liefert passende Argumente dazu.

Stinkt Ihnen Ihr Job auch so sehr? - Dann ist es vielleicht höchste Zeit für eine Veränderung. Die „Anleitung zur Karriereverweigerung“ liefert passende Argumente dazu.

„Ich kann meine Rechnungen und den Konsum von meinem Gehalt bezahlen - aber ist es all das wert? Gehört das so? Ist das richtig und sinnvoll, dass ich Arbeit habe und mich trotzdem immer wieder beschwere?“ Mit diesen Fragen spricht die Journalistin Alix Faßmann vermutlich vielen Berufstätigen aus dem Herzen.

Sie fühlte sich oft lahmarschig, kennt „dieses diffuse Gefühl, nie fertig zu werden“ und hat Stunden mit Tiervideos auf Youtube verplempert, anstatt mit dem Job weiterzumachen. Aber sie hat den Kreislauf von Arbeit, Konsum und noch mehr Arbeit durchbrochen. Mit ihrem Buch „Arbeit ist nicht unser Leben“ (Bastei Lübbe) will Faßmann anderen Beschäftigten eine „Anleitung zur Karriereverweigerung“ geben.

Dabei habe sie selbst gar nichts gegen Arbeit, erklärt Faßmann (Jahrgang 1983) in einem Interview mit ihrem Verlag: „Ich bin nicht gegen die Arbeit, sondern dagegen, wie sie verteilt wird. Einige arbeiten zu viel und zu lange, andere gar nicht. Eigentümer und Führungspositionen werden in der Regel von Leuten aus besserem Haus besetzt.“ Eine demokratische Ordnung sei in Unternehmen bis heute nicht vorgesehen - und genau das halte den Fortschritt auf. „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auf lange Sicht unsere Chefs wählen müssen. Vom Eigentumsproblem ganz zu schweigen.“, so Faßmann, die selbst aus einer Arbeiterfamilie kommt.

Mit dieser Ansicht ist sie eine typische Vertreterin der Generation Y (ausgesprochen wie das englische Wort why = warum), den Menschen zwischen 15 und 35. „Geld bedeutet vielen in der jüngeren Generation heute schon weniger“, berichtet die Autorin im Vorwort. „Maßloser Konsum ist ihnen nicht so wichtig. Stattdessen streben sie nach Sinn, Selbstverwirklichung und Glück.“

Die Generation Y tritt in der Regel selbstbewusst auf, der demografische Wandel spielt den jungen Leuten immer mehr in die Hände. „Sie wünschen sich Perspektiven, daher die durchaus berechtigte Frage an den potenziellen Arbeitgeber: ‚Was haben Sie mir zu bieten?‘“, sagt die Recruiting-Spezialistin Regina Bergdolt.

Was ist aber mit der „ur“-deutschen Tugend des „Pflichtbewusstseins“? Bergdolt: „Das wird häufig verwechselt. Das Vorurteil lautet: Wer sich um Freiräume sorgt, zeigt kein echtes Engagement. Diese Aussage stimmt nicht, was sich schon in der Generation X beobachten lässt.“ Auch die Generation Y zeige großes Engagement im Job – und im Privatleben.

Wie groß das sein kann, hat 2013 die Elbeflut bewiesen: „Menschen nutzten soziale Netzwerke, um zu Hilfe und Spenden aufzurufen und ihre Aktionen zu koordinieren“, erinnert sich Bergdolt. Das galt besonders für die „Generation Y“: Sie bevölkerten zu Tausenden Sandgruben, brachten fremde Möbel in Sicherheit – und orientierten sich über Facebook, wo ihre helfenden Hände gebraucht wurden. Bergdolt ist sich sicher: „Da wächst keineswegs eine Gruppe von Egoisten heran.“ Vielmehr genieße die „Generation Y“ die Informationsvielfalt und Freude an der Arbeit. „Sie erlauben es sich, andere Wege zu gehen.“

Faßmann weiß, wovon sie spricht: Während ihres Jobs beim Berliner Kurier bekam sie ein Angebot vom SPD-Parteivorstand, als parteilose Redakteurin. Der Auftrag schien verlockend: Unabhängig über die Partei und deren Arbeit zu berichten - und sie von innen heraus verändern. Doch nach einem Jahr hatte Faßmann die Nase voll, denn keine ihrer Vorstellungen und Ziele hatten sich erfüllt. Eine gute Idee scheiterte an den starren Parteistrukturen - über die sich ihr Chef nicht hinwegsetzen wollte und konnte.

Gefrustet kündigte die Journalistin und machte sich in einem klapprigen Wohnmobil für mehrere Monate auf nach Italien, ohne viel Geld in der Tasche. Ihre Erlebnisse und Begegnungen mit anderen Aussteigern und Ausgebeuteten hält sie in der „Anleitung zur Karriereverweigerung“ fest. Was sind ihre wichtigsten Erfahrungen - und was rät sie anderen Vertretern der Generation Y, die im Hamsterrad gefangen sind?

Punkt 1: Karriere macht dumm

„Nicht Intelligenz, sondern Gehorsam ist der Karriere förderlich. Was im Umkehrschluss bedeutet: Wer die Karriereleiter ungehindert hinaufgeklettert ist, hat entweder ein gewisses Maß an Dummheit mitgebracht oder - viel wahrscheinlicher - ein gewisses Maß Intelligenz bewusst beim Pförtner eingelagert.“

Punkt 2: Arbeit macht arm

„Dass Freelancer und Selbstständige ihre komplette soziale Absicherung finanzieren müssen, ist nicht neu. Dass sie dabei (besonders in der Kreativwirtschaft) oft so wenig verdienen, dass sich viele keine Krankenversicherung mehr leisten können - das ist neu.“

2013 hatten 7,8 Millionen Menschen in Deutschland befristete Arbeitsverträge, einen Mini- oder Teilzeitjob mit weniger als 20 Wochenstunden oder eine Anstellung als Leiharbeiter, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Dazu schreibt Faßmann: „Viele Leiharbeiter zählen zu den sogenannten 'working poor' - denen, die arbeiten und trotzdem arm sind. Im Juni 2012 musste etwa jeder zehnte Leiharbeiter sein Gehalt mit Hartz IV aufstocken.“

Punkt 3: Ehrgeiz macht krank

„In Japan hat der plötzliche Tod am Arbeitsplatz sogar einen Namen: Karoshi. Wörtlich übersetzt heißt das, was es ist: Tod durch Überarbeitung.“

„Durch harte Arbeit solle Wohlstand erreichbar sein, sagte man uns als Kindern. Doch etliche, die es versuchen, enden in Kündigung, Bankrott oder im Burn-out, und jene, die im Beruf aufgehen, haben keine Zeit, den bescheidenen Wohlstand auszubauen, und man nutzt das bisschen 'Freizeit', um Wellness-Oasen zu besuchen. Man repariert sich.“

Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum die Renten zu sicher sind und Wachstum unglücklich macht.

Punkt 4: Moral hält uns klein

„Die meiste Zeit funktioniert eine 'gute Arbeitsmoral' mit Unterdrückung und Schuld. Es spielt keine Rolle, was, warum oder wie jemand etwas tut. So lange man etwas und am besten viel davon tut. Die Arbeitsmoral, die uns gepredigt wird, ist von Natur aus tumb und erstickt jede Fantasie im Keim. Denn wer mit Fantasie denkt, dem fällt etwas Besseres ein, als in erster Linie produktiv zu sein.“

Punkt 5: Der freie Markt macht unfrei

„Der freie Markt macht unfrei, weil er uns in ein Konzept presst. Es funktioniert nach dem Motto: Arbeite, verdiene Geld, dann steigst du auf. Aber dieses Versprechen geht an der heutigen Lebenswirklichkeit vorbei. Im Kampf um den Aufstieg gehören immer mehr Menschen zu den Verlierern, und die wenigen Gewinner sehen meist so verkniffen und traurig aus. Weil sie so viel arbeiten oder weil niemand sie mag, diese 'Abstauber'.“

Punkt 6: Die Renten (der jetzigen Rentner) sind viel zu sicher

„Auch wenn die Zahl der Rentner steigt, die nur mit der staatlichen Grundsicherung im Alter auskommen müssen, liegt ihr Anteil unter allen Rentnern bei gerade einmal 2,7 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland sind aktuell 18,9 Prozent (etwa 2,4 Millionen) Kinder und Jugendliche von Armut bedroht.“

„Wir, die jüngere Generation, werden mehr und länger arbeiten müssen. Für weniger Geld, keine Sicherheiten, für eine Rente, die - wenn überhaupt - nicht mehr als eine Grundsicherung sein wird. Was mich betrifft: So lange den Jungen seitens der Politik und der Wirtschaft kein Angebot gemacht wird, mache ich für die Renten der Baby-Boomer keinen Finger mehr krumm.“

Punkt 7: Wachstum macht unglücklich

„Unsere Wirtschaft verfügt nicht über unbegrenzte Ressourcen. Werte sind nicht unendlich durch Spekulation produzierbar. Und das Zurücklassen der Schwachen darf für keinen Menschen eine Option sein, der sich weiterhin so nennen will. ... Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren - in einer Welt, die einen irrwitzigen Überfluss produziert. “

„Wer sich unter Menschen bewegt, die 'es geschafft haben', der bemerkt, dass diese oft besonders unsicher und abhängig sind ... Auf Partys, Vernissagen und Umtrünken stehen sie zwischen ihrem schicken Krempel herum und wissen nichts mit sich anzufangen.“

Auf der nächsten Seite lesen Sie, was Autorin Alix Faßmann ihren „Leidensgenossen“ rät.

Faßmann will nicht jedem Arbeitnehmer gleich die Kündigung empfehlen - ein Anfang könne es sein, sich einfach mal ein paar Tage krank zu melden: „Lassen Sie sich erst wieder gesundschreiben, wenn Sie wieder hingehen möchten. Der Zeitpunkt wird kommen, an dem Sie der Gemeinschaft wieder nützlich sind, aber vielleicht auf neue und schöne Art“, rät die Journalistin.

Mehr Mut zum Müßiggang könnte das neue Lebens-Motto lauten, aber bitte ohne Smartphone oder Wellness-Tempel. Zum Beispiel, indem man einfach nur auf der Couch liegt und seinen Gedanken nachhängt, oder einen langsamen Spaziergang macht - ein Schritt pro Sekunde.

Ein prima Weg, um ein bisschen an der ernsten Arbeitsmoral in deutschen Büros zu rütteln sei es, den Kollegen inkognito kleine Streiche zu spielen: „Legen Sie rote Rosen in die Postfächer. Wickeln Sie Computermäuse, Tastauren oder Monitore mit Geschenkpapier ein.“

Das ist lustig, hilft aber natürlich nur kurzfristig gegen den Frust. Langfristig findet Faßmann wichtig, dass sich Gleichgesinnte zusammenschließen und aufrichtig eine Haltung vertreten - ohne Angst vor Verlust der knapper werdenden Karrierechancen. Schließlich „waren die sogenannten Chancen immer die Chancen des Unternehmens, nicht die eigenen.“ Sie rät, den Job zu wechseln, wenn „es auf Dauer nicht mehr akzeptabel ist“, weniger zu arbeiten und sich mit Kollegen zu verbünden, um mehr Gehalt bei Arbeitgebern zu fordern.

Gute Nachbarschaft und mehr Solidarität, Tauschbörsen und Leihgaben statt ständiger Konsum, ein aktives Privatleben mit verwandten Seelen - es sind keinen neuen Vorschläge, die Alix Faßmann ihren Lesern unterbreitet, um glücklicher zu werden. Auch Kinder zu bekommen könne durchaus eine Perspektive sein, „denn eine Familie eröffnet uns einen neuen Blick auf unser Verhältnis zur Arbeit, indem sie die Prioritäten geradezieht.“ Allerdings räumt sie ein, dass Eltern nun mal Geld verdienen müssen, um die Familie zu versorgen.

Auch wenn die Ideen nicht revolutionär sind: Den ein oder anderen Leser bringt die Lektüre des Buches vielleicht zum Nachdenken und bewirkt so eine Veränderung. Zumal auch Lesen ein Müßiggang ist, für den im stressigen Alltag oft zu wenig Zeit bleibt.

Mittlerweile arbeitet Faßmann wieder bei der Boulevard-Zeitung - allerdings freiwillig, auf Zeit und ohne das Gefühl „ihre Seele verkaufen zu müssen“. Zusammen mit dem Dramaturgen Anselm Lenz, den sie auf ihrer Italienreise traf, gründete sie das Haus Bartleby - ein „Zentrum für Karriereverweigerung“. Es sei „eine Lobby, ein Gegengewicht, eine Zentrale, ein Ort für Menschen, die Wege suchen, sich dem Anpassungsdruck in der Verwertungsmaschine Arbeit zu entziehen. Und nicht weiter im Beschwerde-Modus zu verharren“, beschreibt die Autorin das Ziel. Zunächst sollen auf der Plattform im Internet inspirierende Geschichten erzählt werden - später seien auch Veranstaltungen geplant.

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