KlimaneutralitätMittelständler ächzen unter neuer Berichtspflicht

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Brüssel: Europaflaggen wehen vor dem Sitz der EU-Kommission.

Die EU-Kommission hat eine Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen beschlossen. Die Vorgaben sind komplex.

Ab nächstem Jahr muss der deutsche Mittelstand darüber berichten, wie nachhaltig er wirtschaftet. Das Regelwerk ist komplex und stellt gerade kleinere Firmen vor nie dagewesene Herausforderungen. 

Wo kommt die Schraube her, die in der Maschine verbaut wird? Wie viel Wasser verbraucht die Tochterfirma in Südafrika? Und lässt sich Kinderarbeit in der kompletten Lieferkette ausschließen? Bislang müssen nur kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sowie die Finanz- und Versicherungsbranche berichten, inwieweit sich ihre Geschäftstätigkeit auf Mensch und Umwelt auswirken. Ab kommendem Jahr erweitert sich dieser Kreis - und stellt die betroffenen Unternehmen vor enorme Herausforderungen.

Enormer bürokratischer Aufwand

Grundlage hierfür ist die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, genannt „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD). Für das Geschäftsjahr 2025 müssen all jene Firmen ihre Nachhaltigkeitsdaten offenlegen, die mehr als 250 Menschen beschäftigten, mindestens 50 Millionen Euro erlösen oder deren Bilanzsumme mehr als 25 Millionen Euro beträgt. Schätzungsweise 15.000 Unternehmen in Deutschland sind hiervon betroffen. Ab 2026 trifft die Regelung auch kleine und mittelgroße Firmen.

Doch vorbereitet sind die wenigsten, zeigt eine Befragung der Beratungsgesellschaft PwC: Dreiviertel der 160 befragten Mittelständler sind überfordert angesichts des enormen bürokratischen und organisatorischen Aufwands, den die neue Berichtspflicht mit sich bringt. Knapp zwei Drittel sind besorgt, dass die Transformation zum nachhaltigen Unternehmen und die damit verbundenen personellen Ressourcen Kapazitäten binden, die an anderer Stelle fehlen.

Daten müssen unternehmensweit zusammengetragen werden

Wie genau das in der Praxis aussieht, erklärt Nickolas Weismann, der bei Bauwens den Bereich Unternehmensentwicklung und -strategie leitet. Der Bauspezialist beschäftigt zwar eine eigene Nachhaltigkeitsabteilung, doch die Daten für den CSR-Bericht stammen nur teilweise aus diesem Bereich. Auch die Kollegen im Einkauf beispielsweise, der Personalabteilung und der Logistik müssen genau hinschauen. Weismann illustriert das am Beispiel des Wasserverbrauchs seiner Organisation: „In der Erklärung ist das nur eine einzelne Angabe, die bei uns im Haus aber aus ganz vielen verschiedenen Datenpunkten besteht, die wir identifizieren und zusammenführen müssen. Diese Detektivarbeit ist sehr zeitintensiv.“

Netzwerktreffen im CSI Hub Hürth

Beim Netzwerktreffen des CSI Hub Hürth diskutieren rund 40 Teilnehmer über die neue Richtlinie.

Doch sie ist alternativlos, denn gerade in der Baubranche schauen potenzielle Investoren in Sachen Nachhaltigkeit genau hin. Bauwens muss also beispielsweise erheben, welche Emissionen aus der Konstruktion der Immobilienprojekte kommen oder wie viel CO2 durch die Fahrten von Mitarbeitern zur Baustelle entstehen. Ein weiteres Problem: die Lieferkette. „Die Lieferkette in der Baubranche ist gerade in Bezug auf die Herkunft der Baustoffe wichtig, aber eben auch sehr komplex, sodass es sehr herausfordernd sein wird, hier zu allen vorgelagerten Wirtschaftsaktivitäten detaillierte Aussagen treffen zu können.“

Dieser Aufwand produziert Kosten und frisst Zeit. „Wir gehen derzeit davon aus, dass wir über die nächsten Jahre bei unserer Größe und unseren vielschichtigen Wirtschaftstätigkeiten Aufwendungen im niedrigen sechsstelligen Bereich haben könnten“, sagt Weismann.

Fast 300 Seiten Regulatorik

Die allgemeinen Berichtsstandards erstrecken sich auf 282 Seiten, hinzu kommen branchenspezifische Vorgaben. Unternehmen müssen allerdings längst nicht jeden der genannten Datenpunkte erheben, sondern nur die, die für ihre Geschäftstätigkeit relevant sind. Hier liegt eine weitere Herausforderung: Welche Daten sind überhaupt für die eigene Organisation wichtig und welche nicht? Für diese sogenannte Wesentlichkeitsanalyse, die am Ende vor dem Wirtschaftsprüfer bestehen muss, suchen sich viele Firmen externe Unterstützung.

Der Markt ist prall gefüllt mit Beratern, die ihre Software anpreisen, die Unternehmen bei der Transformation begleiten und beim Datensammeln helfen. Hier denjenigen zu finden, der genau zu den Bedürfnissen der Firma passt, ist gar nicht so leicht. In Hürth gibt es beispielsweise den CSI Hub, der Menschen zusammenbringt, die sich mit der CSR-Berichtspflicht beschäftigen. Das sind einerseits Unternehmen, die die regulatorischen Herausforderungen meistern müssen, andererseits Forschungseinrichtungen und Technologieanbieter - und eben jene Berater.

„Unternehmen stehen vor der Herausforderung, einerseits ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Agathe Ziegler, Initiatorin des CSI Hub Hürth. „Wir sind überzeugt, dass das CSI-Netzwerk eine wertvolle Gelegenheit für Zukunftsmacher bietet, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen, wertvolle Einblicke zu gewinnen und innovative Lösungen für die nachhaltige Transformation zu entdecken und gemeinsam zu entwickeln.“ Denn ohne Unterstützung ist diese komplexe Herausforderung kaum zu bewältigen.

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