Private VersicherungenEine Behinderung wird oft zum Risiko

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In Deutschland darf niemand diskriminiert werden, nicht wegen des Geschlechts, der Herkunft, ebenso wenig wegen einer Behinderung. Trotzdem entsteht gerade aus diesem Prinzip die paradoxe Situation, dass behinderte Menschen in einigen Bereichen tendenziell schlechter gestellt sind, als nichtbehinderte. So zum Beispiel, wenn sich behinderte Menschen versichern wollen – bei körperlichen Behinderungen ist eine Berufsunfähigkeit- oder Unfallversicherung nur schwer zu bekommen.

„Ausdruck der Gleichbehandlung ist es gerade, dass im Versicherungswesen gleiche Risiken gleich und ungleiche Risiken ungleich behandelt werden“, erklärt Hasso Suliak, Sprecher des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) das Prinzip. Und Behinderte stellen für Versicherungen oftmals ein höheres Risiko dar, weil sie tendenziell häufiger Leistungen in Anspruch nehmen müssen, für teure Medikamente beispielsweise. „Ein Verzicht auf risikogerechte Tarife würde jedoch bedeuten, dass das durchschnittliche Prämienniveau insgesamt deutlich steigen würde“, so Suliak. Denn anders als bei der gesetzlichen Versicherung werden bei den Privaten alle Ausgaben auf die Beiträge der Mitglieder umgerechnet.

Behinderte werden zum Teil abgelehnt

Für Behinderte hat dieses Modell konkrete Folgen. „Sie werden in einzelnen Versicherungsbereichen entweder von vornherein abgelehnt, bestimmte Fälle werden aus dem Versicherungsschutz ausgeklammert, oder Betroffene haben hohe Risikozuschläge zu zahlen“, sagt Sebastian Tenbergen, Jurist beim Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (BVKM). Solche Nachteile beziehen sich in erster Linie auf den Bereich der privaten Zusatzversorgungen. Denn bei einer Grundversorgung kann jeder auf die gesetzlichen Kassen zurückgreifen. Komplizierter wird es bei Unfallversicherungen oder Versicherungen für eine Berufsunfähigkeit.

Eine Behinderung als solche sei bei Antragstellung kein Aspekt, nach dem entschieden werde, ob jemand versichert werde oder nicht. „Der Gesundheitszustand ist entscheidend, nicht die Behinderung“, macht Christian Arns, Sprecher des Debeka Krankenversicherungsvereins deutlich. So kann es für Menschen mit Behinderung leichter sein, eine Todesfallversicherung abzuschließen, weil beispielsweise bei Menschen, die körperlich eingeschränkt sind, das Sterberisiko geringer ist als bei Menschen, die Extremsport betreiben, sagt Arns. Aber es wird eben schwieriger, eine Versicherung gegen Berufsunfähigkeit zu bekommen, wenn die Voraussetzungen, einen Beruf zu erlangen, von vornherein durch den Gesundheitszustand eingeschränkt sind.

Peter Sammer ist unabhängiger Versicherungsberater und bezeichnet das Vorgehen der privaten Versicherer als „Rosinenpickerei“. Er rät, unbedingt bei verschiedenen Versicherungen parallel Voranfragen zu stellen. Denn ist erst einmal in der Datenbank vermerkt, dass man in der Vergangenheit einmal abgelehnt wurde, bestehe kaum noch eine Chance, von einer Versicherung aufgenommen zu werden.

Gesundheitsprüfung ist der erste Schritt

Der erste Schritt bei Antragstellung ist in der Regel eine sogenannte Gesundheitsprüfung. Mithilfe eines Fragebogens und seltener einer ärztlichen Untersuchung wird ermittelt, welche Vorerkrankungen bestehen. Diese lassen sich in Risikograde einteilen, nach denen der Versicherer entscheidet, ob und zu welchen Konditionen eine Versicherung angeboten wird. Sammer rät, Diagnosen in keinem Fall zu verschweigen, denn das falle unter „vorvertragliche Pflichtverletzung“, und der Versicherungswillige steht im Zweifel hinterher ganz ohne Schutz da. Auch unwissentliche Falschangaben können noch im Nachhinein zum Versicherungsausschluss führen. „Und das kommt leider häufiger vor“, berichtet Sammer aus seiner täglichen Arbeit.

Nimmt der Versicherer den Antrag an, können im Vertrag immer noch Teile vom Schutz ausgeschlossen werden. „Wer zum Beispiel eine Behinderung am Arm hat, kann zwar eine Unfallversicherung abschließen, Unfallfolgen für den Arm sind vom Versicherungsschutz aber ausgenommen“, sagt Sammer und empfiehlt, unbedingt auf die Formulierungen im Vertrag zu achten und im Zweifel einen unabhängigen Versicherungsberater hinzuzuziehen. Wenn auch die Folgen einer Erkrankung nicht mitversichert sind, stehe der Versicherte in weiten Fällen ohne Schutz da, weil die Grenzen häufig nicht klar formuliert werden. Wenn zum Beispiel Erkrankungen der Wirbelsäule aus dem Versicherungsschutz ausgenommen sind, dann sind in dem Zusammenhang oftmals auch Folgeerkrankungen mit vermerkt. Das bedeutet in diesem Beispiel konkret, eine Querschnittslähmung wäre völlig ausgenommen vom Schutz.

Ein dritter negativer Ausgang – neben Risikoausschlüssen und bereits im Vorfeld abgelehnten Anträgen – sind die Risikozuschläge. Und die sind immens: 30 Prozent zusätzlich zum eigentlichen Beitrag seien keine Seltenheit. Auch 50-prozentige Aufschläge kommen durchaus vor und in Einzelfällen 100-prozentige, sagt Arns von der Debeka. „In solchen Fällen müsse man aber schauen, inwieweit das für den Versicherten dann noch rentabel ist“, so Arns.

Wie hoch die Zuschläge ausfallen, können die Versicherer nicht pauschal sagen. „Es wird immer der individuelle Fall betrachtet“, sagt Suliak von der GDV. Die Höhe der Risikozuschläge richtet sich neben den Vorerkrankungen auch nach Faktoren wie Alter und Versicherungslaufzeit. Den Risikozuschlag oder -ausschluss später wieder zu streichen, sei schwierig. Dazu sind Versicherer nicht verpflichtet, eine Nachfrage kann aber lohnend sein. „Wenn der Versicherte über einen längeren Zeitraum von zwei bis drei Jahren nachweisen kann, dass die Erkrankung ausgeheilt ist, ist das tendenziell möglich“, sagt Arns. Es müsse indes attestiert sein, dass die ausgeheilte Erkrankung auch künftig folgenlos bleibe.

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