Über SchulranzenEin Feuerwerk von ergonomisch geformten Luxustornistern

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ILLUSTRATION: Kinder mit Tornistern

Wer in Klasse Fünf noch mit einem Ranzen erscheint, kann sich auch gleich einen „Paw Patrol“-Aufkleber auf die Stirn pappen.

Ameisen können ihr hundertfaches Eigengewicht tragen. Grundschüler lachen da nur: Unser Kolumnist wundert sich, was aus der Tornisterbranche geworden ist.

Jüngst habe ich einen Schulranzen erworben. Nicht für mich natürlich, dafür zeigen sich doch schon zu viele Jahreskerben auf der Flinte meines Lebens (auch wenn ich im Kopf nach wie vor zwölf bin). Beim Kauf eines Schulranzens war in meiner Schulzeit nur eine Frage zu klären: Scout oder Amigo. Ich hatte natürlich einen Scout. Die Amigo-Träger waren alle Heulsusen und Sandesser.

Beide Modelle waren viereckige Nylonmonster, mit denen wir aussahen wie Astronauten im Erdurlaub. Als schleppten wir mit letzter Kraft Feldtelefone an die Front. Autofahrer mussten schon deshalb vorsichtig sein, weil die Fliehkräfte des Ranzenquaders uns beim Richtungswechsel zu unkalkulierbaren Bewegungen zwangen. Ameisen können ihr hundertfaches Eigengewicht tragen. Grundschüler lachen da nur.

Heutzutage erwartet dich im Ranzenfachgeschäft ein Feuerwerk von ergonomisch geformten Luxustornistern im Farbschema Pink, Lila, Altrosa, Türkis, Anthrazit, Petrol und Schlamm. Der Kapitalismus in seinem Hang zur massiven Übertreibung bietet mehr als zwei Dutzend Schulranzenmarken von Coocazoo bis Ergobag und Satch. Im deutschen Schulgesetz steht: Bis Klasse Vier wird Schulranzen getragen, danach Schulrucksack. Wer in Klasse Fünf noch mit einem Ranzen erscheint, kann sich auch gleich einen „Paw Patrol“-Aufkleber auf die Stirn pappen.

Der Preis von mehreren Hundert Euro ist natürlich vollkommen gerechtfertigt
Imre Grimm

Die Modelle heißen „Forest Deer Dusty Mint“, „Unicorn Princess Ice Blue“, „Racing Blue Neon“, „Cloudy Peach“, „Happy Raindrops“, „Happy Confetti“, „Funny Fighter“, „Glitterally Perfect“, „Dreamy Pegasus Shadow“, „Glitter Hearts Hazel“ oder „Peppermint Pony“. Man spricht offenbar Englisch in der Ranzenszene, dachte ich. Aber dann entdeckte ich die Modelle „NussKnackBär“, „DschungelfieBär“, „Lamas in Bärjamas“, „ZitronenfaltBär“ und „Urlaub auf dem ReitBärhof“ – und dann doch lieber wolkige Pfirsiche, glückliches Konfetti oder verträumte Pegasusschatten. Ich weiß nicht, was Schulranzendesigner rauchen, aber das Zeug wirkt.

Der Preis von mehreren Hundert Euro ist natürlich vollkommen gerechtfertigt. Schließlich müssen die Himalaya-tauglichen Hightech-Geschosse morgens im Bus Anpressdruckkräften von bis zu zehn Bar standhalten, sind bis 600 Meter Tiefe wasserdicht und rufen bei Keksmangel und Heimweh automatisch Mama oder Unicef an.

Schulranzen verfügen heute über druckstabile Fiberglas-Aufspanntechnik, atmungsaktive Bergsport-Rückenpolster, Tunnelzug mit Kompressionseffekt sowie ErgoFlex Exklusiv Retroreflect Security Lock Patches. Sie wissen nicht, was das ist? Niemand weiß es. Aber es erhöht den Preis.

Das mannigfaltige Zubehör im gleichen Design reicht von Turnbeutel, Sporttasche, Regenhose, Schlampermäppchen und Schmuckgebamsel bis zu Klappspaten, Luftmatratze, Esbit-Kocher und Notraketen. Als wir rauskamen, war ich pleite, aber das Kind glücklich. Wenn wir ihnen schon so früh den Ernst des Lebens auf den Rücken schnallen, sollen sie wenigstens stolz und zufrieden sein. Schönes Wochenende!


Mehr von Imre Grimm lesen Sie in seinem neuen Buch „Lichtstreife und Arschtritte“ und in „Überleben in Deutschland“. Klampen Verlag, ISBN 3866749996


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