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Interview

Kölner Onkologe Hallek
„Wir kommen dem Sieg gegen den Krebs näher, Stück für Stück“

8 min
15.10.2025
Köln:
Interview mit Prof. Dr. Michael Hallek, Direktor Klinik I für Innere Medizin und Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) Köln,  zum internationalen HämatologInnen-Kongress in Köln.
Foto: Martina Goyert

Professor Dr. Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin und des Centrums für Integrierte Onkologie (CIO) am Universitätsklinikum Köln

Der Kölner Onkologe Michael Hallek über neue Erkenntnisse der Krebsforschung, Probleme im Gesundheitswesen und übertriebene Warnungen vor Alkohol.

Herr Professor Hallek, 6400 Teilnehmende auf dem Fachkongress der Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie – so viele wie nie. Und auch so viele wissenschaftliche Beiträge wie nie. Wie kommt‘s?

Die Krebsforschung ist ein wissenschaftlich sehr aktives Feld, in dem sich permanent etwas ändert. Wir schätzen die Halbwertszeit des Wissens inzwischen auf nur mehr ein halbes Jahr bis zu einem Jahr. Das heißt: Man muss das Fachwissen permanent aktualisieren. Ein solcher Kongress bietet den Ärztinnen und Ärzten Gelegenheit zu einem umfassenden Update. Das Bedürfnis, dafür nach Amerika zu fahren, hat deutlich abgenommen.

Wegen Donald Trump?

Ja, es gibt schon eine gewisse Sorge und das Gefühl, als Wissenschaftler in den USA nicht immer willkommen zu sein.

Das hat man in Köln normalerweise nicht.

Eben. Die Kolleginnen und Kollegen kommen offensichtlich gerne nach Köln. Deswegen sind wir schon auch ein bisschen stolz auf die große Zahl.

Das wahrscheinlich wichtigste Innovationsgebiet der letzten Jahre sind Immuntherapien.
Professor Michael Hallek

Bei dem angesprochenen Innovationstempo – was liegt denn in Diagnose und Therapie gerade in der Luft?

Grundsätzlich gibt es inzwischen für fast jede Form der Krebserkrankung gezielte Therapien, - auch und gerade bei Leukämie und Blutkrebserkrankung. Die Chemotherapie wird zunehmend ersetzt. An ihre Stelle treten - mit großer Geschwindigkeit - Kombinationen gezielter Therapien. Das zweite und wahrscheinlich wichtigste Innovationsgebiet der letzten Jahre sind Immuntherapien. Sie revolutionieren die Krebsmedizin. Allerdings gibt es einige Tumore, die auf diese neuen Therapieformen nicht ansprechen. Daher versuchen wir jetzt zu erforschen, warum das so ist. Außerdem stellen wir – zum Glück seltene - gravierende Nebenwirkungen und Komplikationen fest, deren Ursachen wir auch noch nicht verstehen.

Was für Nebenwirkungen?

Wir sehen bei Patienten zum Beispiel neurologische Störungen bis hin zu Lähmungen. Auch treten manchmal Autoimmunerkrankungen auf. Das bedeutet, dass die Aktivierung des Immunsystems durch die neuen Therapien in die falsche Richtung geht oder zu stark wirkt. Bestimmte therapeutisch wirksame Zellen tauchen dann auf einmal an Stellen des Körpers außerhalb des Tumors auf und lösen dort Entzündungen aus. Dies ist selten, wie gesagt. Aber wenn man diese Nebenwirkungen nicht kennt, dann übersieht man sie leicht. Angesichts des enormen therapeutischen Fortschritts müssen wir also lernen, neue Nebenwirkungen zu erkennen und sie bestenfalls zu verhindern. Der dazu nötige fachliche Austausch ist zentraler Bestandteil unseres Kongresses.

Wir sind bei 70 bis 75 Prozent Heilungschancen.
Professor Michael Hallek

Würden Sie sagen, er bringt Sie dem „Sieg über den Krebs“ ein Stück näher?

Auf jeden Fall. Wir kommen Stück für Stück voran. Immer ein paar Prozent mehr. Ich nehme mal das Beispiel Lymphknotenkrebs, den ersten Bereich, in dem die zellulären Immuntherapien in großem Umfang angewandt werden. Das hat zu den 60 Prozent Heilungschance durch „normale Therapien“ weitere 10 bis 15 Prozent gebracht. Damit sind wir jetzt schon bei 70 bis 75 Prozent. Man mag das viel nennen – oder noch zu wenig. Für die Betroffenen, also die Patientinnen und Patienten, ist es ein Riesenfortschritt. Und in vielen weiteren Fällen, in denen uns keine vollständige Heilung gelingt, bringen die Therapien einen echten Gewinn an Lebenszeit mit nicht allzu großen Nebenwirkungen.

Also, das ist schon ein Versprechen?

Ja klar, absolut. Und das ist es, was mich – wenn Sie das Wort erlauben – beseelt: diesen Fortschritt mitgestalten zu dürfen. Man nimmt sich etwas vor und treibt es voran, bis man das Gefühl hat: Jetzt ist das Ziel erreicht, und wenn nicht erreicht, dann sind wir doch weiter als zuvor. Das Einzige, was mich manchmal verzweifeln lässt, ist das Gefühl, nicht jede Hoffnung erfüllen zu können – weniger aus Mangel an Wissen und Können als wegen fehlender Zeit für den einzelnen Patienten. Unter diesem Gesichtspunkt laufe ich immer mit einem latent schlechten Gewissen durch die Klinik.

Wir prägen durch unsere Studien in bestimmten Gebieten die Behandlung in unserem Feld.
Professor Michael Hallek

Ich muss jetzt aber keines haben, weil ich Sie von der Arbeit abhalte?

Kommunikation ist auch ein wichtiger Teil meiner Aufgabe. Und, nicht zu vergessen: Ich habe hier am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) in Köln eine große, wachsende Zahl an Mitstreitern, auf die mich verlassen kann. Anders als im Team geht es ohnehin nicht.

Was macht in Köln den Unterschied?

Ich glaube, der unbedingte Wille, dass alle Arbeit, alle Forschung am Ende den Patienten nützt. Ich kann sagen: Wir prägen durch unsere Studien in bestimmten Gebieten die Behandlung in unserem Feld. Nicht umsonst ist Köln in den Wissenschaftsrankings zur Onkologie immer auf den vorderen Plätzen weltweit.

Wir müssen auch die steigenden Kosten im Griff halten. Dieses Thema bewegt uns sehr.
Professor Michael Hallek

Hat der Kongress auch eine politische Botschaft?

Deutschland hat in Europa und wahrscheinlich sogar weltweit den besten Zugang zu neuen Medikamenten. Der „Gemeinsame Bundesausschuss“ (G-BA) aller Akteure im Gesundheitswesen, der unter anderem über die Erstattungsfähigkeit von Präparaten befindet, arbeitet sehr sachkundig und effizient. Aber jetzt geht es auch darum, die zugelassenen Medikamente in der Behandlung weiter zu prüfen. Denn wir müssen auch die steigenden Kosten im Griff halten. Dieses Thema bewegt uns sehr. Medikamente machen mit Kosten von etwa 60 Milliarden pro Jahr den zweitgrößten Posten im Gesundheitswesen aus. Das ist mehr als alle Ausgaben der niedergelassenen Vertragsärzte. Auf die Onkologie mit ihren innovativen, aber auch teuren Therapien entfallen ungefähr 20 Prozent des Ausgaben-Volumens. Hier ist auch unsere Verpflichtung zu verantwortungsvollem Umgang mit unseren Ressourcen gefragt.

Verbinden Sie das mit einer Forderung an Parlament und Regierung?

Es steht der Vorschlag im Raum, neue Arzneimittel längerfristig zu prüfen. Die Zulassung allein sagt noch nichts über deren Nutzen oder den gezielten Einsatz. Es gilt, Übertherapien zu vermeiden, die in unserem Fach manchmal ein Problem sind, weil wir natürlich am liebsten immer alles geben würden. Aber oft ist das gar nicht sinnvoll – nur wissen wir es nicht immer.

Wie wollen Sie das ändern?

Mit dem neuen Forschungsdatenzentrum beim Bonner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das erst vor wenigen Tagen in Betrieb genommen wurde, stehen jetzt die Daten von 74 Millionen Krankenversicherten zur Verfügung. Das ist ein enormer Schatz, der hoffentlich bald mit den Krebsregisterdaten zusammengeführt wird. Von der Nutzung dieser Daten erwarte ich mir Antworten auf wichtige Fragen: Wie häufig wird ein bestimmtes neues Medikament X eingesetzt? Wie wirkt es – auch im Vergleich mit Medikament Y? Wie effizient funktioniert die Versorgung insgesamt? Wir müssen Medikamente gezielter einsetzen, damit wir die Ausgaben besser kontrollieren.

15.10.2025
Köln:
Interview mit Prof. Dr. Michael Hallek, Direktor Klinik I für Innere Medizin und Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) Köln,  zum internationalen HämatologInnen-Kongress in Köln.
Foto: Martina Goyert

Professor MIchael Hallek im Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) des Universitätsklinikums Köln

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat gerade wieder ihre Warnung vor Alkohol bekräftigt. Alkohol verursache mindestens sieben Arten von Krebs, am häufigsten Darm-, Brust- und Mundhöhlenkrebs. Sie selbst sind – wie manche wissen – nicht nur ein Weinliebhaber, sondern haben sogar ein eigenes Weingut. Schaffen Sie sich am Ende Ihre eigenen Patienten?

Nein, ich bin doch kein Zyniker! Meine Sicht auf Alkohol und seine Gefahren – das schicke ich voran – ist wahrscheinlich nicht vollkommen frei von einem persönlichen Bias. Tatsächlich schätze ich persönlich ein gutes Glas Wein. Aber als Wissenschaftler bin ich überzeugt: Der maßvolle Konsum von Alkohol ist nicht so schädlich, wie von der WHO behauptet.

Die Wiederbesinnung unserer städtischen Gesellschaften auf gemeinschaftliches Zusammenleben, zu dem auch ein gemeinsames Mahl gehören kann, wäre wichtig.
Professor Michael Hallek

Und das ist mehr als eine Behauptung?

Es gibt auf der Welt die „blauen Zonen“, in denen die Menschen im Durchschnitt deutlich gesünder sind und krankheitsfrei älter werden als anderswo. Das sind Regionen mit überdurchschnittlich vielen 90- oder 100-Jährigen wie beispielsweise Sardinien (Italien), Ikaria (Griechenland) und Okinawa (Japan). Dort wird auch regelmäßig Alkohol konsumiert. Auf Sardinien und Ikaria sind das lokale Rotweine wie der Cannonau, während man in Okinawa gern einen destillierten Reisbrand wie Awamori trinkt. Dabei wird Wert auf maßvollen Konsum in geselliger Runde gelegt.

Sie wollen sagen: Einsamkeit tötet eher als Alkohol?

So pauschal gilt das nicht. Bei jungen Menschen und generell in hohen Mengen ist Alkohol hochgradig schädlich. Und bekanntlich wird Alkohol auch getrunken, um Einsamkeit scheinbar vergessen zu machen. Auch das ist eine Gefahr. Aber die soeben erwähnte mediterrane oder fernöstliche Lebensform mit ihren nachweislich positiven Auswirkungen auf Gesundheit und Lebensdauer verpönt Alkohol nicht von vornherein. Das sollte man vor weiteren Verboten bedenken, die wahrscheinlich über das Ziel hinausschießen.

Sie argumentieren hier sozusagen psycho-sozial. Aber was ist mit der Biochemie? Ein Zellgift ist und bleibt ein Gift. Deswegen sagt die WHO ja: Jeder Tropfen Alkohol ist schädlich.

Dass Alkohol bei - ich wiederhole - maßvollem Konsum die Zellen so verändert, dass sie im Organismus Krebs auslösen, halte ich für unbewiesen. Einige epidemiologische Studien suggerieren das zwar für einige Krebsarten, andere zeigen aber das Gegenteil. Es wie bei allen Substanzen: Die Dosis macht das Gift. Krankheiten wie Krebs entstehen durch eine Summe an Faktoren, nicht durch eine einzige Ursache. Meine größere Sorge ist unser durchorganisiertes, oft isoliertes Leben. Eine Studie der „Techniker Krankenkasse“ aus dem Jahr 2024 zeigt, dass etwa 60 Prozent der Menschen das Gefühl der Einsamkeit kennen. In großen Städten gibt es mehr als 50 Prozent Singlehaushalte. Wenn hier ein erhöhter Alkoholkonsum hinzukommt, ist dies ein Problem. Die Wiederbesinnung unserer städtischen Gesellschaften auf gemeinschaftliches Zusammenleben, zu dem auch ein gemeinsames Mahl gehören kann, wäre wichtig.

Da braucht es nicht zwingend Alkohol.

Natürlich nicht. Aber wenn zum Essen ein Glas Wein auf dem Tisch steht, ist das auch kein Grund für einen Aufschrei – oder für den Ruf nach Verboten. Ich jedenfalls habe nichts dagegen einzuwenden.


Zur Person und zum Kongress

Professor Michael Hallek, geboren 1959, ist Leiter der Klinik I für innere Medizin am Universitätsklinikum Köln und dort auch Direktor des Centrums für Integrierte Onkologie (CIO) Köln. Der international anerkannte Krebsspezialist zählt zu den einflussreichsten Forschern seines Fachgebiets. Hallek ist seit 2023 auch Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

Vom 24. bis zum 27. Oktober findet in Köln die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) statt. Sie ist die Vereinigung von Wissenschaftlerinnen und Ärzten, die auf die Erforschung, Diagnose und Behandlung von Blutkrankheiten und bösartigen Tumoren spezialisiert sind. Nach mehr als 30 Jahren ist Köln erstmals wieder Gastgeberstadt.

Mit 6400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, unter ihnen mehr als 400 Studierende, ist der diesjährige Kongress der bislang größte seiner Art. 1550 Präsentationen und rund 800 eingereichte Fachbeiträge (Abstracts) sind nach DGHO-Angaben ebenfalls Rekord. Fachlich im Mittelpunkt stehen aktuelle Entwicklungen – von der Gen- und Genomsequenzierung über KI-gestützte Diagnostik bis hin zu neuen Therapieansätzen bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Co-Präsidenten der diesjährigen Tagung sind die Professoren Michael Hallek vom Universitätsklinikum Köln und sein Aachener Kollege Tim H. Brümmendorf, wissenschaftliche Sekretäre sind Professorin Barbara Eichhorst vom Universitätsklinikum Köln und Professor Steffen Koschmieder vom Universitätsklinikum Aachen. (jf)

Info-Abend für Leserinnen und Leser

Über die Ergebnisse des Kongresses, Erkenntnisse der Krebsforschung und neue Therapien berichtet Professor Michael Hallek in einem Talk am 19. November. 19 Uhr, im Neven DuMont Haus, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln. Der Ticket-Verkauf startet in Kürze. Vormerkung unter: leserforum@kstamedien.de