NRW-Ministerin Ina Brandes„Es gibt einen enormen Sanierungsstau an den Unis"

Lesezeit 8 Minuten
Neuer Inhalt (7)

Ina Brandes

  • Ina Brandes übernahm im Sommer überraschend das Kulturressort in der Regierung Wüst.
  • Ihr liegt die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler gerade nach Corona und während der Energiekrise am Herzen.
  • Sie möchte aber auch Gebäude sanieren und mehr Studierende für naturwissenschaftliche Studiengänge begeistern.

Düsseldorf – Frau Brandes, viele Kulturschaffende hat Ihre Ernennung zur Ministerin überrascht. Welche Anbindung haben Sie an die Kultur, gerade auch in NRW? Ina Brandes: Ich glaube, die Herausforderungen für die Kulturlandschaft sind in anderen Ländern ganz ähnlich wie bei uns in Nordrhein-Westfalen. Es sind dieselben Themen, die zwischen den Ländern und dem Bund diskutiert werden. Was mich betrifft: Bei uns zu Hause haben Kunst und Kultur eine große Rolle gespielt. Da wurde viel gelesen und musiziert und regelmäßig Konzerte, Ballett und Theater besucht. Dafür hat sich nur bisher kaum jemand interessiert, weil ich ja auch erst seit zehn Monaten Politikerin bin.

Ihre Vorgängerin Isabel Pfeiffer-Poensgen war sehr anerkannt. Ist das eher Belastung oder Chance für Sie als Nachfolgerin?

Ich bin sehr dankbar, dass die Kollegin Pfeiffer-Poensgen so hervorragend vorgelegt hat. Sie hat der Kultur- und Wissenschaftslandschaft einen Boost gegeben, auf dem ich jetzt weiter aufbauen darf.

Sie sind seit zwei Monaten im Amt. Wie lief die Einarbeitung?

Ich bin sehr schnell angekommen, weil wir ja viele große Themen haben, die wir schnell bearbeiten müssen. Da ist natürlich vor allem das Thema Energie-Versorgung, was uns alle sehr beschäftigt. Damit verbunden ist auch die soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler. Auch in der Wissenschaft, für die ich neben der Kultur ja auch zuständig bin, gibt es drängende Themen, etwa den Sanierungsstau an den Hochschulen und Unikliniken oder die Frage, wie wir mehr Studierende in naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen bekommen. Beide Bereiche sind für mich gleichrangig in der Bedeutung. Ich war vorher 15 Jahre in der Wirtschaft und habe viele Herausforderungen, die ich jetzt politisch bearbeiten darf, dort aus erster Hand erlebt.

NRW-Kulturstätten sollen trotz Corona offen bleiben

Die Energiekrise bereitet vielen Kulturschaffenden Sorge. Sie haben gesagt, Archive, Museen, Bibliotheken, die bedeutende Kulturgüter bewahren, seien Teil der kritischen Infrastruktur und sollten dementsprechend auch priorisiert werden. Aber was heißt das für andere Kultur-Bereiche?

Für mich ist ein Dreiklang wichtig. Erstens werden wir als Landesregierung alles dafür tun, dass die Kultureinrichtungen so lange wie möglich offenbleiben können. Das gilt für die Energieversorgung und für Corona. Der zweite Punkt ist, dass wir uns besonders die kritische Infrastruktur anschauen. Das sind in der Kultur zum Beispiel die Archive, wo wir bestimmte klimatische Bedingungen brauchen, was Temperatur und Luftfeuchtigkeit angeht. In der Wissenschaft sind das u.a. bestimmte Laboranordnungen und digitale Infrastrukturen, die wir nicht heute ausstellen und in drei Wochen wieder anstellen können. Wir müssen jetzt schnell klären, welche Bedingungen diese Einrichtungen brauchen, um über den Winter zu kommen. Und zum Dritten dann die Frage, was die Einrichtungen selbst beitragen können, um so viel Energie wie möglich einzusparen. Da sind wir gerade in Abstimmungen, wie ein Energieeinsparbeitrag der Kultur und der Wissenschaft aussehen kann.

Virus

Ina Brandes will die Kultureinrichtungen offen halten - Corona zum Trotz.

Sie wollen sich für eine bessere Vernetzung innerhalb der Kulturszene einsetzen, sei es bei Fragen des Bauens oder bei dem Versuch, mehr Diversität zu erreichen. Wie soll das gelingen?

Wir haben die Situation, dass sich viele Kultureinrichtungen mit denselben Themen parallel beschäftigen, von energetischer Sanierung und Energieeinsparung über Diversität und Provenienzforschung bis hin zur Attraktivität als Arbeitgeber. Mein Ziel ist, dass wir ein Netzwerk von Experten gründen, das sich diesen Themen widmet. Ein Netzwerk, wo sich Kultur-Einrichtungen melden können mit ihren Fragen und ganz konkrete Auskunft bekommen. Das kann eine individuelle Fördermittel-Beratung sein, aber auch eine gezielte Vernetzung von fünf oder sechs Einrichtungen, die jeweils das gleiche Problem haben und dafür gemeinsam nach Lösungen suchen. So schaffen wir mehr Freiheit für die Kulturschaffenden, damit diese sich vor allem mit ihrer Kunst beschäftigen können.

Kommen wir zur Wissenschaftspolitik, was sind Ihre Leitlinien, was ist der neuen Wissenschaftsministerin Ina Brandes für den Standort NRW wichtig?

Nordrhein-Westfalen ist ein Spitzenstandort für Wissenschaft und Forschung in Deutschland und international. Diese Erfolgsgeschichte wollen wir weiter fortschreiben - zum Beispiel mit unserer Exzellenzstrategie, an der wir in der nächsten Runde mindestens so erfolgreich teilnehmen wollen wie beim vergangenen Mal.

NRW mischt in der europäischen Spitzenklasse mit

So dass Köln auch wieder davon profitiert?

Zum Beispiel. Wir haben eine Reihe von Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, die sich aus meiner Sicht mit großem Recht Hoffnung machen können, berücksichtigt zu werden – das unterstützen wir als Ministerium organisatorisch und finanziell. Darüber hinaus sind uns bestimmte Forschungsschwerpunkte besonders wichtig, etwa das Quantencomputing. Im Netzwerk „EIN Quantum NRW“ bündeln wir Kräfte aus Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, das wollen wir ausbauen. Als Landesregierung werden wir hier investieren, auch in Technik, weil wir glauben, dass Nordrhein-Westfalen aufgrund der vielen Hochschulen und Wissenschaftler in diesem Bereich dauerhaft in der europäischen Spitzenklasse mitmischen wird.

Gibt es andere Schwerpunkte abseits der Forschung?

Ein weiterer, zentraler Schwerpunkt ist das Bauen. Das ist dringend notwendig, und das sage ich nicht, weil ich aus diesem Bereich komme und eine Affinität dazu habe. Ich bin zuständig für die Infrastruktur an den Hochschulen und den Universitätskliniken und stelle fest, dass es einen enormen Sanierungsstau aus den – ich würde fast sagen – vergangenen 50 Jahren gibt. In der vergangenen Legislaturperiode haben wir begonnen, den zu beseitigen, aber das ist nicht in fünf Jahren zu schaffen. Hier geht es um höhere Milliardenbeträge und um den Zeitraum der Umsetzung: Wie schaffen wir es, dass ein neues Gebäude in drei bis fünf Jahren dasteht und nicht erst nach zehn bis 20?

Geht es um Neubauten oder Sanierung gerade auch von Universitäten wie Bielefeld, die zwar erst Ende der 60er Jahre gegründet wurden, aber dennoch in vielen Bauteilen marode sind?

Es geht ganz klar um beides. Es gibt Hochschulstandorte, die Anfang der 70er Jahre eröffnet wurden, und deren Kerngebäude seitdem im Wesentlichen unverändert sind. Hier besteht die große Herausforderung in der energetischen Sanierung. Das ist nicht allein fürs Klima wichtig, sondern auch für die Qualität von Lehre und Forschung: Wenn wir ein internationaler Spitzenstandort sein und bleiben wollen, dann müssen wir für gute Rahmenbedingungen sorgen. Dazu gehört, dass es gute Büros und Labore gibt und Räume für Vernetzung und Zusammenarbeit. Dazu gehören auch Neubauten in nennenswerter Anzahl.

Uniklinik Köln HEINEKAMP

Haupteingang und Bettenhaus der Kölner Uniklinik

Die Universitätskliniken haben nicht allein Bedarf hinsichtlich Sanierung und Neubauten, sondern auch bei der Verschuldung.

Hier haben wir das klare Ziel, mit den Kliniken eine gemeinsame Lösung zu finden. An dieser Stelle spüren die Kliniken den Einfluss der Pandemie extrem. Die Frage ist, wie die Universitätskliniken effizienter arbeiten können und dauerhaft ihre Wirtschaftlichkeit sichern können. Ebenso müssen wir prüfen, was das Land an Kapitalspritzen beisteuern kann. In dieser Frage befinden wir uns in den ersten Beratungsstufen.

Sie wollen Forschende, die ins Ausland abgewandert sind, zurück nach NRW locken. Gelingt das?

Wir haben ein spezielles Rückkehrprogramm, mit dem wir Spitzentalente aus der Forschung zurück nach Deutschland holen. Die bekommen dann an einer Universität in Nordrhein-Westfalen eine eigene Forschungsgruppe. Das ist sehr erfolgreich und betrifft vor allem Forschende aus den USA. Das wollen wir vor allem im Zusammenhang mit Forschungsfeldern wie Quantencomputing und Künstliche Intelligenz gezielt weiter ausbauen.

Ein anderes Thema sind Forschende, die aus der Ukraine fliehen mussten. Viele Universitäten haben Emergency Fellowships eingerichtet – auch in NRW?

Wir kümmern uns intensiv um die Geflüchteten aus der Ukraine – das gilt im Übrigen auch für die Kultur. Wir treten hier in eine neue Phase ein, denn ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn stellen sich viele der Geflüchteten die Frage, ob und wann sie in die Ukraine zurückkehren können. Derzeit setzen sich viele stark damit auseinander, auf Dauer hierzubleiben. Das war zu Beginn des Krieges dezidiert anders. Es ist daher wichtig, dass wir Strukturen schaffen, in denen sich die Menschen willkommen fühlen – und zwar dauerhaft. Das gilt besonders für Kinder und Jugendliche.

Präsenz hat absoluten Vorrang für Lehre und Forschung

Welche Konsequenzen hat die Pandemie für das kommende Wintersemester? Worauf müssen Studierende und Lehrende sich einstellen?

Auch hier ist das Ziel, die Hochschulen so lange wie möglich offen zu halten. Wir wollen der Präsenz in Lehre und Forschung absoluten Vorrang geben: Studentinnen und Studenten, Dozentinnen und Dozenten müssen die Chance erhalten, sich zu begegnen, zu diskutieren, und nicht zuletzt geht es um das soziale Leben. Wie sich die Pandemie entwickelt, werden wir im Herbst sehen. Aktuell sind die Infektionszahlen extrem niedrig, es gibt neue Impfstoffe – wir haben allen Grund, optimistisch ins Wintersemester zu starten. Wenn sich das im Herbst anders darstellt, werden wir darüber nachdenken und entsprechend handeln.

Werden aus der Corona-Zeit Dinge beibehalten? Was zum Beispiel die Digitalisierung betrifft, sind die Universitäten sehr viel besser zurechtgekommen als die Schulen.

Das wird eine große Rolle spielen. Wir wollen die Kompetenzen, die in der Corona-Zeit entwickelt worden sind, auch in Zukunft nutzen. Dazu müssen wir die digitale Infrastruktur weiter ausbauen. Aus der Not geboren, ist vieles sehr gut umgesetzt worden. Damit die Digitalisierung auf Dauer funktioniert, müssen wir nachziehen. Das bildet auch einen Schwerpunkt im Koalitionsvertrag.

Das könnte Sie auch interessieren:

Unter anderem durch die steigenden Energiekosten kommt ein massives soziales Problem auf viele Studierende zu – wird es Hilfen geben?

Wir haben bereits angekündigt, dass wir die Studierendenwerke kontinuierlich besser unterstützen wollen. Die Vorgänger-Regierung hat damit begonnen, die Zuschüsse zu erhöhen, und so wollen wir es auch in den kommenden fünf Jahren halten. Was die direkte Unterstützung von Studierenden etwa bei den Energiekosten betrifft: Hier ist ganz klar der Bund zuständig, denn diese Frage geht Hand in Hand mit Themen wie dem Bafög. Deshalb begrüße ich, dass der Bund beim dritten Entlastungspaket jetzt seinen Fehler aus dem Frühjahr, die Studierenden von den Hilfen auszuklammern, korrigiert hat.

Wichtige Bestände der Kölner Universitätsbibliothek konnten auch dank des Engagements Ihrer Vorgängerin saniert werden, wie das Erbe Wallrafs. Hier bleibt mit Blick auf weitere große Bestände viel zu tun. Werden Sie von Landesseite weiter helfen?

Der Ministerpräsident hat die Schirmherrschaft übernommen. Daran sehen Sie, welche Bedeutung das Projekt für die Landesregierung hat. Wir werden die Sanierung der Bestände kontinuierlich weiter vorantreiben.

KStA abonnieren