20 Euro für die Notaufnahme?„Strafgebühren können gefährlich sein – gerade für ärmere Menschen“

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Ein Notfallsanitäterin schiebt eine Seniorin nach einem Schlaganfall auf einer Trage in die Notaufnahme eines Krankenhauses.

Die Notaufnahmen der Krankenhäuser sind überfüllt. Kann eine Gebühr Abhilfe schaffen?

Für die Behandlung in der Notaufnahme könnten künftig 20 Euro anfallen. Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft wittert soziale Benachteiligung.

Die Notaufnahmen sind häufig überlastet. Die Union hat jetzt einen Vorschlag zur Entlastung gemacht. Wer selbst die Notaufnahme einer Klinik aufsucht, soll demnach 20 Euro zahlen. Gefallen daran findet hingegen Jan Schirmer von der Kassenärztlichen Vereinigung. Nicht begeistert ist Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Warum, erklärt er hier.

Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft:

„Die Notaufnahmen der Krankenhäuser sind durch zu viele Fälle, die nicht in eine Notaufnahme gehören, überlastet. Das ist bekannt, hier gibt es großen Reformbedarf. Diese Schieflage mit einer Strafgebühr auszugleichen, ist allerdings zum jetzigen Zeitpunkt keine Option und birgt gesundheitliche Risiken. Die Erfahrungen mit der Praxisgebühr haben gezeigt, dass solche Gebühren keine positive Steuerungsfunktion haben. Im Gegenteil, die Praxisgebühr hatte nur Verlierer: Mehrkosten für Patientinnen und Patienten, zusätzliche Bürokratie für die Praxen und teilweise unterbliebene notwendige medizinische Behandlungen.

Mit der aktuellen Diskussion um eine Strafgebühr laufen wir Gefahr, mit dem Finger auf die Patientinnen und Patienten zu zeigen, statt uns der strukturellen Defizite anzunehmen. Natürlich gibt es jene, die sich am Sonntagabend nach wochenlangen Rückenschmerzen dazu entscheiden, eine Notaufnahme aufzusuchen. Was ein Notfall ist oder nicht, schätzen aber die meisten Menschen – medizinische Laien – völlig subjektiv ein. Niemand geht grundlos in eine Notaufnahme.

Ausschlaggebend für überfüllte Notaufnahmen ist die Versorgungslücke bei niedergelassenen Ärzten

Ausschlaggebend für die überfüllten Notaufnahmen ist vor allem die Versorgungslücke im niedergelassenen Bereich: Arztpraxen, die am frühen Nachmittag schließen, keine neuen Patientinnen und Patienten aufnehmen, eine Telefonhotline der Kassenärztlichen Vereinigungen, die entweder unbekannt ist, in eine Warteschleife führt oder vielfach dann doch keine konkrete Unterstützung bietet. Hilfe zu finden ist oft sehr kompliziert, zeitaufwändig und angesichts wochenlanger Wartezeiten auf einen Facharzttermin manchmal sogar unmöglich.

Auf das Krankenhaus hingegen kann man sich verlassen, das wissen die Menschen. In der Notaufnahme müssen sie zwar auch warten, werden aber verlässlich versorgt, und wenn es ernst wird, stehen die Stationen mit ihren Fachärzten bereit.

Wenn wir an sozioökonomische Faktoren denken, können Strafgebühren gefährlich sein. Gerade ärmere Menschen, die statistisch kränker sind, würden aus wirtschaftlichen Gründen davor zurückschrecken, eine Notaufnahme aufzusuchen. 20 Euro mehr oder weniger können für Menschen mit geringen Einkommen und Renten einen elementaren Unterschied machen.

Die Gesundheitspolitik ist aufgefordert, den Rahmen für die Notfallversorgung neu zu setzen. Es geht darum, Strukturen so zu gestalten, dass alle Patientinnen und Patienten im Notfall in den richtigen Versorgungsbereich gesteuert werden und dort angemessene medizinische Hilfe finden. Eine gute Notfallversorgung beginnt mit der qualifizierten medizinischen Ersteinschätzung unter der 112 und einer erreichbaren 116 117. An dieser Stelle müssen die Patientinnen und Patienten bereits kompetent in die korrekte Versorgungsbahn gelotst werden – in die Arztpraxis, oder, wenn notwendig, in die Notaufnahmen der Krankenhäuser. Dazu braucht es aber ausreichende Sprechzeiten und Termine in nahegelegenen Arztpraxen für solche Notfälle und schnell verfügbare Hausbesuche.

Diese Angebote sicherzustellen, liegt in der Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen und der niedergelassenen Ärzte. Erst wenn den Hilfe suchenden Menschen diese verlässlichen Versorgungsangebote im Notfall bereitstehen, können wir über Strafgebühren für all jene diskutieren, die sich diesen Angeboten trotzdem verweigern.“

KStA abonnieren