Erklärung der Bischöfe„Ein Coup, der die AfD kalt erwischt hat“

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Bischöfe sitzen im Augsburger Dom zur Eröffnung ihrer Frühjahrsversammlung.

Die katholischen Bischöfe in Deutschland haben in einer Erklärung gegen Rechtsextremismus die AfD für „nicht wählbar“ erklärt.

Die katholischen Bischöfe haben einstimmig eine Erklärung beschlossen, wonach völkischer Nationalismus und Christentum unvereinbar sind.

Herr Püttmann, die Zeit der „Wahlhirtenbriefe“ mit Empfehlungen für das gläubige Volk schien lang vorbei zu sein. Jetzt erklären die Bischöfe die AfD für „nicht wählbar“. Was halten Sie davon?

Die vorige Woche veröffentlichte Erklärung ist ganz anderer Natur als die früheren Hirtenbriefe, in denen die Programme demokratischer Parteien nach ihren Schnittmengen mit katholischen Positionen bewertet wurden. Jetzt beziehen die Bischöfe Position zu einer radikalen Infragestellung von Grundnormen unserer Verfassung wie auch des christlichen Bilds vom Menschen und daraus abgeleiteter Sozialprinzipien. Es geht ans Eingemachte: um Verfassungsverteidigung, theologisch gewendet quasi um den „Status confessionis“, den christlichen Bekenntnisfall. Deshalb erinnert mich die aktuelle Erklärung an ein großes historisches Vorbild.

Dr. Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler (Bonn)

Dr. Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler (Bonn)

Nämlich?

Die Bischöfe sehen den erstarkenden Rechtsextremismus mit seiner menschenwürde-feindlichen, völkisch-nationalistischen Ideologie betont „mit großer Sorge“. Das ist – ob Absicht oder nicht – sprachlich eine Parallele zur berühmten Enzyklika „Mit brennender Sorge“, in der Papst Pius XI. 1937 den Nationalsozialismus verurteilte. Das unterstreicht die Dringlichkeit der aktuellen Erklärung, die übrigens nach dem Motto „doppelt genäht hält besser“ vorgeht.

Was meinen Sie damit?

Die Erklärung weist nach, dass die neurechte Ideologie sowohl in säkularer Sicht Prinzipien der Verfassung angreift als auch religiös der Idee der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen, dem christlichen Universalismus und dem Solidaritätsprinzip der katholischen Soziallehre Hohn spricht. In starken Bildern verteidigt die Erklärung die Menschenwürde als „Anker des Grundgesetzes“ und den „Glutkern“ christlichen Glaubens. Und das wird so entwickelt, bevor die Erklärung die AfD das erste Mal erwähnt. Das heißt: Das Schreiben der Bischöfe verurteilt in erster Linie eine Ideologie, erst dann eine Partei. Klug finde ich auch die Differenzierung zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus.

Es wäre zu grob und falsch, zu sagen: „AfD-Wähler sind alle Nazis.“
Andreas Püttmann

Warum?

Weil es einerseits zu grob und falsch wäre, zu sagen: „AfD-Wähler sind alles Nazis.“ Andererseits ist eben doch der innere Zusammenhang zu betonen: Rechtspopulismus und Rechtsextremismus fußen beide auf den gleichen Stereotypen für Ressentiment und Hass. Das Schreiben identifiziert den Rechtspopulismus korrekt als „schillernden Rand des Rechtsextremismus, von dem er ideologisch aufgeladen wird“.

Für wie belastbar halten Sie die Erklärung der Bischöfe in deren eigenen Reihen? Es gibt Bischöfe, die vor der Ausgrenzung von AfD-Anhängern warnten oder eine „Entkrampfung“ im Verhältnis zu der Partei erwarteten.

Zunächst gilt: Die Erklärung wurde einstimmig verabschiedet. Das ist ein Coup, mit dem angesichts der von Ihnen erwähnten Äußerungen nicht unbedingt zu rechnen war und der die AfD kalt erwischt hat. Nachdem die Massendemonstrationen der jüngsten Vergangenheit schon den Anspruch „Wir vertreten das Volk“ hinweggefegt haben, reißt ihr nun auch noch „die“ konservative Institution schlechthin das Etikett „konservativ“ herunter. Dafür war die Einstimmigkeit wichtig, denn sonst hätte man immer argumentieren können, „die einen sagen so, die anderen sagen so“.

Politische Naivität und Unfähigkeit zu politologischer Analyse bei den „Wackelkandidaten“ unter den Bischöfen
Andreas Püttmann

Aber de facto stimmt das doch. Beim „Marsch für das Leben“ gehen Bischöfe Seit‘ an Seit‘ mit AfD-Funktionären und Vertretern neurechter Gruppen.

Bei den „Wackelkandidaten“ unter den Bischöfen scheint mir das weniger ideologischer Übereinstimmung geschuldet als politischer Naivität und Unfähigkeit zu politologischer Analyse. Wer eine „Entkrampfung“ im Verhältnis von Kirche und AfD erwartete, verkannte schlicht den extremistischen Kern einer Partei, der sich im Lauf der Jahre mehr und mehr herausgeschält hat und inzwischen offen liegt. Hinzu kam bei einzelnen Bischöfen wohl ein Missverständnis des Auftrags, in einer ohnehin polarisierten Kirche den Frieden zu bewahren.

Muss man nicht trotzdem das Auge auf den rechten Rand der Kirche sehr fest zudrücken, um solch einen Beschluss „gegen rechts“ fassen zu können?

Damit machen Sie ein eigenes, wichtiges Fass auf. Zwar liegt die Zustimmung zur AfD bei kirchennahen Katholiken prozentual klar unter dem Bevölkerungsdurchschnitt. Dennoch reden wir damit immer noch von einer absoluten Zahl im sechsstelligen Bereich, und qualitativ geraten die Rechtskatholiken wegen ihres Eifers und ihrer Lautstärke für die Kirche zum Antizeugnis. Deswegen sollte ein „Hirte“ die Geisterfahrer gegen die katholische Schwarmintelligenz nicht noch durch seine Präsenz oder Pontifikalämter aufwerten. Besser wäre die diskrete oder öffentliche Zurechtweisung.

Gegen bloße Mitgliedschaften in der AfD wird man klugerweise präventiv vorgehen.
Andreas Püttmann

Wenn die Zahl katholischer AfD-Wählerinnen und -Wähler in die Hunderttausend geht, was bringt dann eine Unvereinbarkeitserklärung? Und lässt die sich überhaupt durchsetzen?

Für Sanktionen gegen Kirchenbedienstete müssten Sie das einen Arbeitsrechtler fragen. Ich bin gespannt auf die ersten Verfahren, wenn Kirchenmitarbeiter offen rechtsradikale Positionen verträten oder AfD-Parteiämter übernähmen. Gegen bloße Mitgliedschaften in der AfD wird man klugerweise präventiv vorgehen und vor einer Übertragung kirchlicher Ämter danach fragen. Befristete Beauftragungen etwa zum Kommunionhelfer oder Mandate in Räten kann man einfach auslaufen lassen. Auf der Ebene darunter kann es – auch rein praktisch – nicht um Gesinnungsschnüffelei gehen. Die Stimmabgabe an der Wahlurne unterliegt ohnehin dem Wahlgeheimnis. Solange ein Katholik seine Entscheidung für die AfD nicht in die Welt posaunt, hat er sie allein vor Gott zu verantworten. Erst die öffentliche Parteinahme verlangt ein Einschreiten. Das hat auch mit einer Schutzfunktion der Kirche zu tun.

Wer schützt da wen?

Es wäre doch eine Zumutung für Minderheiten und andere Opfer rechter Hetze, wenn sie auch von Kanzeln und Katholikentagspodien herab oder beim frommen Lektorendienst mit solchen Agitatoren konfrontiert würden. Das darf die Kirche nicht zulassen. Sie muss sich vor Schwache, Diskriminierte und zu unrecht Denunzierte stellen – um deretwillen, aber auch für ihr Selbstverständnis.

Wichtiges Signal an die aus Enttäuschung anfälligen Gruppen in der Kirche

Für wie wirkungsvoll halten Sie die Erklärung mit Blick auf die Zielgruppe der Katholikinnen und Katholiken. Werden die sich davon beeindrucken lassen, was die Bischöfe ihnen sagen?

Die neurechts Infizierten, die dieser Ideologie bereits sektenartig verfallen sind, wird man kaum mehr bekehren können. Das gelingt, wenn überhaupt, nur durch enge private Bezugspersonen. In Richtung dieser Gruppe gesprochen, erklären die Bischöfe aber jetzt immerhin: Ihr steht gegen die Kirche. Größer dürfte die Wirkung auf konservativ fromme Katholiken sein, die den Rechtspopulisten nur als naiver Beifang ins Netz gegangen sind. Am wichtigsten finde ich aber das Signal an zwei ungleich größere Gruppen.

Welche beiden Gruppen?

Erstens die möglicherweise aus Enttäuschung anfälligen Gläubigen. In deren Richtung betont die Erklärung: Bestehende gesellschaftliche Probleme müssen bearbeitet werden, dürfen aber kein Grund sein für einen Schwenk nach Rechts aus Frustration.

Und die zweite Gruppe?

Das ist die säkulare Öffentlichkeit, Nicht-Gläubige, Laizisten und Linke, denen Kirche nur als ultrakonservatives Sahnehäubchen auf einer bürgerlichen Existenz galt. Seit dieser Erklärung der Bischöfe steht in den sozialen Medien manch einem schier der Mund offen, wie entschieden und anschlussfähig sich die katholische Kirche hier positioniert. Praktisch gesehen, bietet das die Möglichkeit, im Engagement gegen Rechtsextremismus Bündnisse zu schmieden und kirchliche Infrastruktur mitzunutzen: Tagungshäuser, Akademien, Bildungswerke, die es fast in jedem Dekanat gibt.

Aber löst ein Bischofswort gerade in der nicht-kirchlichen Öffentlichkeit nicht sofort den Reflex aus: Ihr müsst uns grad kommen! Bringt doch erst mal euren eigenen Laden in Ordnung – Stichwort: Missbrauch oder Reformstau?

Diese Masche versuchen jetzt AfDler. Natürlich bietet die Kirche mit ihren Skandalen eine offene Flanke. Aber sie darf der einen Schande doch nicht durch kleinlautes Wegducken oder feiges Schweigen zu anderen Bedrohungen der Menschenwürde noch eine weitere Schande hinzufügen. Keinem Missbrauchsopfer wäre geholfen, wenn die Kirche nun auch denen die Unterstützung versagte, die im Visier rechtsextremer Hetze und Gewalt sind.


Zur Person

Andreas Püttmann, geboren 1964, ist Politikwissenschaftler. Er beschäftigt sich intensiv mit dem Verhältnis von Christentum und säkularem Staat. 2010 veröffentlichte er das viel diskutierte Buch „Gesellschaft ohne Gott. Risiken und Nebenwirkungen der Entchristlichung Deutschlands“, 2017 „Wie katholisch ist Deutschland - und was hat es davon?“. Außerdem ist Püttmann einer der besten Kenner der rechtskatholischen Szene in Deutschland. Bis 2020 war er Berater des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) in politischen und ethischen Grundfragen. (jf)

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