5 Cent für den RegenwaldKönnen wir die Welt an der Supermarktkasse retten?

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Illustration: Einkaufswagen mit Produkten und einer Weltkugel

Social-Impact-Produkte: Lässt sich an der Supermarktkasse eben mal die Welt retten?

Sprudel-Preise, von denen Spenden abgehen. Schokoladen-Hersteller, die Bäume pflanzen: Machen Produkte, die die Welt verbessern sollen, wirklich einen Unterschied?

Jeder hat sie schon mal gesehen: Aufsteller im Supermarkt, die damit werben, mit dem Kauf von Müsli, Schokolade oder Duschgel einen wohltätigen Zweck zu unterstützen. Das Stichwort lautet Social-Impact-Produkte. Das Prinzip ist simpel: Mit wenigen Cent werden Trinkwasserbrunnen gebaut, Bildungsprojekte gefördert, Hygieneprodukte in Dritte-Welt-Länder geschickt oder Teile vom Regenwald gerettet – das suggerieren die Unternehmen zumindest den Konsumentinnen und Konsumenten. Lässt sich an der Supermarktkasse also mal eben kurz die Welt retten?

Lange stand für die Menschen, die es kaufen, der Preis eines Produkts oder der Gesundheitsvorteil im Vordergrund. Inzwischen habe jedoch ein Wandel stattgefunden, erklärt Birgit Schulze-Ehlers von der Georg-August-Universität Göttingen. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung mit dem Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte und kennt die Strategien wirksamen Marketings. Das Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher an sozialer Verantwortung und Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren stetig gewachsen – und die Wirtschaft reagiert auf die neuen Ansprüche.

Wenn statt Preisen Werte zählen

Ein Produkt, das gut schmeckt oder funktioniert und eine coole Verpackung hat, reicht deshalb heutzutage oft nicht mehr. Bio, klimaneutral oder „finanziert eine Mahlzeit für ein Schulkind“ heißen die neuen Verkaufsargumente. „Uneigennützige Motive wie das Tierwohl stehen jetzt mit an vorderster Stelle. Auch machen viele Verbraucher ihre Kaufentscheidungen von der Umwelt, also zum Beispiel der Artenvielfalt, dem Wasserverbrauch und der Klimawirkung abhängig – die ist aber oft nicht transparent gekennzeichnet“, merkt Schulze-Ehlers an.

Tatsächlich können Konsumentinnen und Konsumenten, die ihre Einkäufe nach bestimmten Werten statt dem Preis-Leistungs-Verhältnis auswählen, einen großen Einfluss haben. Das hat sich jüngst in den USA gezeigt. Die Transgender-Influencerin Dylan Mulvaney hatte im April ein Video auf Instagram gepostet, in dem sie Werbung für Bud Light machte. Vielen konservativen amerikanischen Bud-Light-Trinkern passte das überhaupt nicht. Die Folge: Sie boykottierten das bis dato meistverkaufte Bier. Damit verlor Bud Light seinen Spitzenplatz unter den US-Bieren und das mexikanische Bier Modelo Especial rückte nach vorne.

Die Macht der Konsumenten

Professor Ludger Heidbrink von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel nennt das „die kollektive Macht der Konsumenten“. Ob Boykott oder der Wunsch, etwas Gutes zu tun: Was jemand kauft, ist zwar eine individuelle Entscheidung, jedoch kann auch aus dieser eine größere Welle entstehen, die den Markt sowie das Kaufverhalten anderer beeinflusst, erklärt Heidbrink, der unter anderem zu den Themen Konsumentenethik und Wirtschaftsphilosophie forscht. „Viele Verbraucher sind sich jedoch gar nicht bewusst, dass sie diesen enormen Einfluss auf die Wirtschaft haben.“

Was würde passieren, wenn alle Menschen weltweit plötzlich 25 Prozent weniger einkauften? Diese Frage stellt und beantwortet James B. MacKinnon in seinem aktuellen Buch „Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen“. Wie eine Welt mit weniger Konsum funktionieren könnte und wie MacKinnon selbst zum Einkaufen steht.

Emotionale Nähe spielt eine wichtige Rolle

Neu ist dieser Erkenntnis aber nicht – auch nicht, dass Unternehmen sie für sich nutzen wollen. Die Strategie des sogenannten Cause Related Marketing (CRM) „kam in einer Zeit auf, in der die Menschen einerseits den Wohlstand hatten, auch an andere etwas abzugeben, und andererseits zunehmend deutlicher wurde, dass der eigene Konsum negative Einflüsse an anderen Stellen hat“, sagt Schulze-Ehlers. Zuerst in den USA verbreitet, sind auch viele europäische Unternehmen im Laufe der Jahre auf den Zug der Vermarktung von Produkten mit sozialem Einfluss aufgesprungen.

Damit solche Kampagnen erfolgreich sind, gilt: „Je näher das mit dem Verkauf geförderte Projekt an der Käufergruppe dran ist und je sicherer man weiß, dass diese Zielgruppe auch emotional auf das zu fördernde Projekt anspringt, desto effektiver ist das Cause Related Marketing.“ Beispiele dafür gibt es einige. „Eine Windelmarke hatte mal die Aktion, dass mit jedem gekauften Produkt eine Impfung für ein Kind gefördert wird“, so Schulze-Ehlers. In dem Fall wurde die Zielgruppe, die Mütter, mit dem entsprechenden Interessenfeld, den Kindern, verknüpft.

Das Gewissen reinwaschen?

Doch lassen sich Profit und Ethik überhaupt vereinbaren? Das sei möglich, wenn der Profit moralisch gerechtfertigt werden könne, sagt Heidbrink. „Wenn man zum Beispiel darauf achtet, dass die Unternehmen, von denen man die Produkte kauft, mit dem Geld, das sie verdienen, weitere sinnvolle moralische Investitionen tätigen, wie den Bau eines Trinkbrunnens – dann lässt sich beides verbinden.“ Es entstehe dann eine Art Win-win-Situation: Das gemeinnützige Projekt bekommt Geld und das Unternehmen verkaufe mehr Produkte. Und auch die Kunden und Kundinnen fühlen sich besser. Dass das Konzept so gut funktioniert, liegt laut Heidbrink daher auch im geringen Aufwand für die Konsumierenden. „Es tut auch oft nicht weh, da die Summen relativ gering sind.“

Genau darin sieht Schulze-Ehlers aber auch eine Gefahr. „Oft wird durch den Kauf solcher Produkte das Gewissen reingewaschen. Das kann ein riesiges Problem sein, wenn der Bumerang- oder auch Rebound-Effekt einsetzt und der Verbraucher denkt, dass er durch den vermeintlich guten Kauf einen Freifahrtschein hat, um wiederum umweltunfreundlicher zu handeln“, sagt die Expertin. „Natürlich sollte man soziale Projekte wie die Aufforstung des Regenwaldes mit erheblich größeren Summen, wie etwa Spenden, unterstützen, die weitaus effizienter sind, aber der Kauf eines Produkts, welches solche Projekte unterstützt, ist ein Anfang“, findet auch Heidbrink.

Wird gehalten, was versprochen wurde?

Doch wie kann ich mir als Konsument überhaupt sicher sein, dass mit dem Kauf meines Schokoriegels wirklich Bäume gepflanzt werden? Das sei keine einfach zu beantwortende Frage und oft die Schwachstelle solcher Produktversprechen, erklärt Schulze-Ehlers. „Aktuell gibt es viel Wildwuchs auf dem Markt und für die Verbraucher ist oft nicht ausreichend einsehbar, wo das Geld hinfließt und ob es tatsächlich wirkt“, kritisiert die Marketingexpertin. „Damit Werbung mit sozialem Einfluss zukunftsfähig ist, braucht es mehr Transparenz.“

Manche Unternehmen tun dies, indem sie ihre Produkte mit Codes oder Websites bedrucken, die zeigen, wo mit ihrem Geld ein Trinkbrunnen gebaut oder ein Baum gepflanzt wird. Doch das sind längst nicht alle. Deshalb rät Heidbrink, immer zu hinterfragen, wie vertrauenswürdig ein Unternehmen ist. Sind die sozialen Leistungen überprüfbar? Gibt es online Informationen dazu, wie die Spenden eingesetzt werden?

Insgesamt brauche es mehr Regeln für Firmen, die soziale Versprechen machen, fordert Schulze-Ehlers. Im März dieses Jahres veröffentlichte die Europäische Kommission einen neuen Entwurf für Richtlinien zu Umweltaussagen. „Diese Vorgaben betreffen bisher zwar nur den Umweltschutz, aber auch Unternehmen mit ‚sozialem Impact‘ werden in Zukunft vermutlich stärker nachweisen müssen, dass überhaupt eine Wirkung erzielt wird“, so die Expertin.

Sind Social-Impact-Produkte die Zukunft?

Insgesamt aber sieht Heidbrink eine positive Entwicklung: „Ich glaube, dass der Weg in die Richtung der Social-Impact-Produkte geht und die Marktwirtschaft zunehmend ‚moralischer‘ wird. Nicht weil wir alle bessere Menschen sind, sondern weil wir mit unserem Handeln zu einer Verbesserung der Marktwirtschaft beitragen, von der wir selber profitieren. Die Produkte werden zum Teil gesünder, die Umwelt wird sauberer, der Klimawandel wird eingedämmt, das sind alles Vorteile, die wir durch unser Konsumverhalten erreichen können“, sagt er.


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