Aussterbendes HandwerkWie sich ein Kölner Bäcker gegen den Abwärtstrend stemmt
- Wir Deutschen lieben unser Brot. Dennoch kaufen wir immer mehr Fertigprodukte – zum Leidwesen vieler Bäckereien.
- Seit Anfang des Jahres haben alleine in Köln sieben handwerkliche Bäcker zugemacht.
- Ein junger Kölner stemmt sich gegen den Abwärtstrend – mit Mut zum Risiko und regionalen Produkten. Eine Erfolgsgeschichte?
Köln – Morgens acht Uhr, Köln-Sülz. In „Bergheim’s“ Bäckerei rotieren Verkäuferinnen in blauen Polo-Shirts zwischen belegten Brötchen, Kaffeemaschine, Teilchen und bemehlten Brotlaiben. „Wie viel Roggenanteil ist im Oberländer?“ – „Haben Sie auch was mit Vollkorn?“ – „Kann ich die Laugenstange auch ohne Tomate haben?“ Die Kundschaft ist kritisch. Und anspruchsvoll. Ihre Wünsche haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark verändert. „Vor 20 Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, sich ein Brötchen schmieren zu lassen. Heute ist das gang und gäbe. Der Snackbereich ist das am meisten wachsende Segment.“
Tim Bergheim (32) ist Bäckermeister und betreibt seit vier Jahren seine eigene Bäckerei. Er kennt die Zahlen, die sein Geschäft am Laufen halten. Aber auch die, die seine Existenz bedrohen. Seit Anfang des Jahres haben alleine in Köln sieben handwerkliche Bäcker zugemacht. Konkurrenz durch Billiganbieter ist ein Grund für diese Entwicklung, drastischer Nachwuchsmangel ein anderer. Im Jahr 2008 zählte der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks 14 375 Bäcker-Azubis. Im Jahr 2017 waren es nur noch 6256. Die Bäckerei-Innung Köln hätte aktuell noch 70 Lehrlingsstellen zu vergeben.
Eine davon wäre in der Backstube von Tim Bergheim: „Für dieses Jahr haben wir keine einzige Bewerbung bekommen.“ Beim bereits ausgelernten Nachwuchs sieht es ähnlich schlecht aus. „Die kommen alle aus Großbäckereien und haben noch nie einen Teig angefasst.“
Familiäre Wurzeln
Er selber stammt aus einer Bäckerfamilie. Vater Frank Bergheim betreibt seit 1985 eine Bäckerei in Lindenthal. Dort liegen die Wurzeln. „Ich bin da aufgewachsen und zur Lehre gegangen. Meine ersten Gesellenjahre habe ich bei meinem Vater verbracht. Da habe ich die Grundlagen gelernt.“ Bergheim ist wichtig, dass es bei seiner Existenzgründung nicht um einen familiären Konflikt ging, sondern um seine persönliche Weiterentwicklung. „Ich hatte schon immer meinen eigenen Kopf und wollte einfach mein eigener Chef sein. Der Kunde soll die beiden Bäckereien schon miteinander verbinden. Natürlich.“
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Nach der Meisterschule übernahm Bergheim das Geschäft seiner Mutter in Sülz. Schon in den 20er Jahren existierte an gleicher Adresse eine Backstube. Die wurde allerdings zuletzt nur noch zum Aufbacken von Tiefkühl- und Convenience-Produkten genutzt. Bergheim beschloss, das „wir das jetzt richtig machen. Ohne Tütchen“.
In seiner Backstube wird auf Zusatzstoffe und Fertigprodukte verzichtet. Das Mehl stammt aus Köln, die Milch aus dem Bergischen Land und die Eier kommen vom Bio-Hof. „Wir sind kein Bio-Bäcker. Das braucht man nicht zwangsläufig zu sein“, findet Bergheim. „Beim Discounter gibt’s Bio-Gurken in Folie. Das ist doch Quatsch. Wir kaufen möglichst regional ein und stellen unsere Backwaren auf herkömmliche, traditionelle Art her.“ Das normale Brötchen kostet 35 Cent, das Kaiserbrötchen 55 Cent. Seit vier Jahren verzeichnet Bergheim kontinuierliches Wachstum. Mittlerweile beschäftigt er einen zusätzlichen Bäckermeister, zwei Gesellen, eine Konditorin, einen Auszubildenden und sieben weitere Mitarbeiter im Verkauf. Im September eröffnete er einen Verkaufsstand in der Kölner Markthalle im Belgischen Viertel. Sein Konzept „Tradition 2.0“ ist aufgegangen.
Nur noch 49 Bäcker in Köln
Besuch bei der Geschäftsführerin der Bäckerinnung Köln/Rhein-Erft, Alexandra Dienst: „Eines der Grundprobleme ist der Preis. Bäckerei-Produkte werden viel zu billig verkauft. Die wenigsten Konsumenten machen sich Gedanken darüber wie viel Arbeits-, Material- und Personalaufwand in einem Brötchen stecken.“ Als Alexandra Dienst vor 25 Jahren ihren Posten übernahm, gab es in Köln noch 300 handwerkliche Bäcker. Aktuell sind es 49. Trotz der desaströsen Zahlen ist die Innungs-Geschäftsführerin zuversichtlich: „Das ist ein Abschmelzungsprozess und wir sind gerade in der Umbruchphase. Die Wellen sind mal stärker und mal schwächer. Vor einigen Jahren wollte kein Mensch mehr Torten und Gebäck, sondern nur noch Körnerbrot. Alles musste gesund und fettfrei sein“, erinnert sich Dienst. „Zurzeit erleben wir eine Renaissance der Konditorwaren. Die Bäckerei wird niemals sterben.“ Tim Bergheim geht noch weiter: „Wir sind eigentlich gerade in einem guten Zeitalter für handwerkliche Bäcker. Die Mentalität der Kunden ändert sich. Wir verkaufen nicht nur Backwaren, wir verkaufen Werte.“
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Die Bedürfnisse der Verbraucher laufen in konträre Richtungen. Während die einen Fertig- und vor allem Billigprodukte kaufen und kaum mehr wissen, wie natürliche, unbehandelte Lebensmittel aussehen, entwickelt sich eine andere Käuferschicht, die das Gegenteil will. Essen ist Trend. Bioprodukte, Bauernmärkte, Kochkurse, Hochglanz-Dokumentationen über internationale Gourmettempel und Foodreisen sind gefragt.
Wer Wert auf gutes Essen legt, gehört nicht zwangsläufig zu den Besserverdienern, stammt aber zumindest häufig aus gebildeten Schichten. Studien belegen, dass soziale Ungleichheit sich im Ernährungsverhalten einer Gesellschaft widerspiegelt. Geringeres Bildungsniveau bedeutet meistens auch schlechtere Ernährungsgewohnheiten. In Deutschland steht bessere Bildung aber keineswegs zwangsläufig für gute Ernährung.
In keinem anderen Land in Europa sind die Kosten für Lebensmittel so gering wie in Deutschland. Fleisch, Milchprodukte und Brot werden zu Schleuderpreisen verkauft. Die Folge: Landwirte können ohne staatliche Subventionen nicht überleben. Traditionelle Produzenten unterliegen im Konkurrenzkampf der Industrie. Der Deutsche gibt nach wie vor mehr Geld für sein Auto aus als für Lebensmittel – Foodtrend hin oder her. Teures Küchenequipment und Pasta-Kurse zeugen nicht unbedingt von einem kulinarischen Gewissen. Denn auch Billigfleisch landet im Thermomix.
Tim Bergheim übt Kritik an der eigenen Zunft: „Der klassische Bäckermeister steht zehn bis zwölf Stunden, sechs Tage die Woche in seiner Backstube. Da haben einige den Anschluss verpasst. Wir sind keine reinen Ernährer mehr, wir sind irgendwo auch Dienstleister.“ Bergheim hat auch kleine Brotlaibe im Sortiment – für den Ein- oder Zweipersonenhaushalt. 500 Gramm ist die beliebteste Brotgröße, sagt er. „Würden wir noch kleiner backen, würden die Leute auch das kaufen.“
Die Abneigung mancher älteren Bäcker gegenüber Körnerbroten kennt auch Alexandra Dienst: „So’n Vogelfutter back’ ich nicht“, sagen sie. Es soll ja auch Köche geben, die vegetarische Küche ablehnen. Tim Bergheim mag die Vielfalt: „Ich bin großer Körner-Fan. Meine Kunden auch. Wir probieren immer wieder Dinge aus und machen auch Sonderanfertigungen.“ Zu den Verkaufsschlagern seiner Backstube gehören ein Ciabatta mit getrockneten Tomaten und die Hamburger Spezialität Franzbrötchen. Das Bild vom grobschlächtigen Bäcker, der mit Ach und Krach einen Zopf formen kann, aber feinmotorisch nichts aufs Backblech bringt, stellt Bergheim infrage. „Konditoren und Bäcker sind Brüder. Ein guter Bäcker muss auch einen Blätterteig hinbekommen. Teilchen sind ein Muss.“
Der Bäcker Tim Bergheim ist auch Geschäftsmann. Nicht nur das Sortiment hat er präzise der Kundschaft angepasst, sondern auch eine komplette Marke rund um seine Bäckerei entwickelt: Farbwahl, Logo, Online-Präsenz, Ladenlokal – nichts blieb dem Zufall überlassen. Die offene Backstube neben der Verkaufstheke war anfangs als Hauptproduktionsstätte gedacht. „Wann sehen die Leute denn mal einen Bäcker bei der Arbeit? Das ist direkt ein anderer Spirit. Da bekommt das Brot sofort einen anderen Wert.“ Die Mengen sind mittlerweile zu groß für die kleine Backecke am Fenster – und so wurde die Backstube wieder an ihren ursprünglichen Ort im Souterrain verlegt.
Teigromantik und Marketingstrategien können nicht davon ablenken, was die Hauptursache für den ausbleibenden Bäckernachwuchs ist: die ungewöhnlichen Arbeitszeiten. „Der erste kommt bei uns um 22 Uhr, der nächste um 23 Uhr und ich hab heute von Mitternacht bis kurz vor Fünf gemacht“, erklärt Bergheim achselzuckend. „Man hat einen anderen Lebensrhythmus. Ich teile meinen Schlaf zwei Mal auf. Am Wochenende relativiert sich das.“
Mit dem Bäckerfahrrad zu Schule
Tim Bergheim ist mit dem Handwerk aufgewachsen, hat erlebt, dass sich Familie und Freunde auch mit diesem Beruf vereinbaren lassen. „Mein Vater hat mich morgens mit dem Bäckerfahrrad zur Schule gebracht und sich dann hingelegt.“ Der Sohn wirkt weder müde noch missmutig, er brennt für sein Handwerk: „Ein gewisses Maß an Leidenschaft muss sein, sonst hält man das nicht durch. Aber es ist ein Beruf mit Chance. Bäcker werden immer gesucht.“
Die Abbrecherquote unter Auszubildenden ist hoch. Auch Tim Bergheim empfand das erste Jahr als schrecklichen Kampf. Er hasste das Frühaufstehen und schleppte sich täglich zur Arbeit. Den Wendepunkt brachte ein Film. In der Berufsschule sah er eines Tages eine Dokumentation über Lionel Poilâne, den berühmtesten Bäcker Frankreichs. Poilâne wurde in den Siebziger Jahren bekannt für unfassbar gute Brotqualität und die Verbundenheit zum traditionellen Handwerk. Auch nach seinem Tod gilt die Bäckerei Poilâne immer noch als beste von Paris. „Auch wenn’s kitschig klingt, aber mit dem Film hat sich was verändert.“ Heute mag Tim Bergheim gerade die frühen Morgenstunden. Diese ganz spezielle Stimmung, wenn die aufgehende Sonne durch die Fenster seiner Backstube scheint. Die Ruhe, das Licht, den Duft nach frischem Brot. Bergheim nennt das Twilight-Zone. „Mein Vater hat immer zu mir gesagt, der große Unterschied zu anderen Berufen ist der, dass du morgens mit Mehl, Salz und Wasser anfängst und am Ende des Tages sehen kannst, was du geschaffen hast.“
Belgien ist ein gutes Beispiel
Deutsche Brotkultur wurde im Jahr 2014 durch die nationale Unesco-Kommission ins bundesdeutsche Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks hat mit dem Brotregister ein Instrument geschaffen, um die über Jahrhunderte gewachsene deutsche Brotvielfalt zu bewahren. Handwerksbäcker, die Mitglied einer Innung sind, können ihre Brotschöpfungen im Internet eintragen. Knapp 3200 verschiedene Sorten sind schon zusammengekommen.
Eine Entwicklung, die Tim Bergheim gut findet. Es gehe um Anerkennung, sagt er. Belgien gebe ein Beispiel, dort kennt man den warmen und den kalten Bäcker. „Ein Unding, dass hierzulande für uns dieselbe Berufsbezeichnung gilt wie für Aufback-Ketten, die ihre gefrorenen Teiglinge aus China bekommen.“
Bergheim’s – Die MeisterbäckereiSülzgürtel 96, 50937 Köln, Tel. 0221 / 424679Öffnungszeiten: Mo-Fr 6.30-18.30 Uhr, Sa 7-13 Uhr, So 8.30-11.30 Uhr