City DanceTanztherapie für ganz Köln

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City Dance an der Eigelstein-Torburg.

Köln – Mit einem Ruck erhebt sich die Kabine rheinwärts. Ein kleiner, würfelförmiger MP3-Player unterfüttert die Seilbahnfahrt mit atemlos vorgetragenen Hintergrundinformationen, als befände man sich hier auf einer Touristenbustour. Die Sätze rauschen vorbei, es gibt viel zu viel zu gucken. Im Rheinpark löst sich gerade der Kreis des „Planetary Dance“ auf.

Unter uns, in einem Außenbecken der Claudiustherme, strecken vier Synchronschwimmerinnen ihre Beine aus dem Wasser. Sie sind Teil des Programms von „City Dance“, dem mehr als zwölfstündigen Tanzspaziergang durch die Stadt, den die Choreografin Stephanie Thiersch in zweijähriger Vorbereitungszeit mit einem stetig wachsenden Team und Unterstützung der Kölner Philharmonie auf die Beine gestellt hat. Die ganze Stadt scheint zu tanzen, für einen kleinen Moment der Schwerkraft des Alltags enthoben. 

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Tänzer vorm Hauptbahnhof.

Jetzt senkt sich die Seilbahn ihrem Ziel entgegen. Parkourläufer rennen die Zoobrücke entlang. Auf dem Dach des Zooparkhauses rollen Tänzer einen riesigen, blauen Ball. Unter der Brücke aber wartet schon ein Frauenchor auf die Ankommenden, singt „Radioactive“ von Imagine Dragons und bewirft die Zuhörer mit Kreidestaub. Neben ihnen hindern mehrere Frauen und Kinder einen gelben Ballon in Form eines Pfeils am Davonfliegen.

Er weist zur nächsten Attraktion, eine verrückte Tee-Party mit Lindy-Hop-Tänzern. Und von da aus geht es weiter zum Lentpark, wo die Mutzbacher Alphornbläser „Amazing Grace“ spielen, während sich Jugendliche in bunten T-Shirts in immer neuen Formationen umkreisen, bis sie schließlich ein lebendes Mandala auf der Wiese bilden. 

Therapie für die gebeutelte Stadt

Spätestens jetzt glaubt man, durch die Zeit zu einer Blumenkinder-Feier gereist zu sein, auf der pastellfarbene Crêpe-Bänder durch die Lüfte wehen. Es könnte auch die Spielstraße auf dem Münchener Olympiagelände sein, in der hoffnungsfrohen Zeit, kurz bevor die Terroristen kamen.

Und tatsächlich beruft sich das Kölner Programm auf die City Dances, welche die Choreografin Anna Halprin in den 1970er Jahren in San Francisco veranstaltete, um ihre von Rassenunruhen und vielleicht generell vom großen Kater nach den Sixties gebeutelte Stadt durch den gemeinsamen Tanz zu heilen. 

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Wehende Haare beim City Dance in Köln.

Eine Therapie, die auch Köln bitter nötig hat, immer mehr Menschen schließen sich dem Zug durch die Stadt an, der schon bei Sonnenaufgang mit geführten Spaziergängen und auch mit einer Paddelfahrt den Rhein herunter begonnen hatte. 

Eine mobile Minidisco lädt zum individuellen Tanz im Hula-Hoop-Reifen ein, zwei Profitänzer winden sich zur Begleitung eines Streichquartetts im Blätterwald vorm Fort X umeinander und kreischen dabei wie balzende Vögel. Im Fort werden die Zuschauer nach Bass, Tenor, Alt und Sopran eingeteilt, der Spontanchor schreitet langsam einem Spielplatz entgegen, vorbei am Kletterbaum, in dem Tänzer und Läufer Trauben bilden.

Vom Lindy-Hop zur Love Parade

Eine Tangogruppe lädt zum Paartanz ein, aber wer sich jetzt zu lange aufhalten lässt verpasst den auf 400 Zuschauer beschränkten Einlass ins Oberlandesgericht, in dessen symmetrischen Treppenläufen Tänzer, Sänger und Musiker die imposante Architektur und ihren Widerhall herausfordern. 

Die Choreografie von Stephanie Thiersch und die Musik von Brigitta Muntendorf (die auch generell für die musikalische Begleitung des City Dance verantwortlich zeichnet) zielen gekonnt auf den schönen Effekt, aber ein Moment der Konzentration durch Überwältigung ist genau das, was der lange Tanz durch Köln jetzt braucht.

Und plötzlich wirkt selbst der Ebertplatz freundlich

Schon strömen die Massen aus dem Gerichtsgebäude, reihen sich mit den draußen Wartenden zu einer Protestparade auf, die unter Polizeibegleitung die Riehler Straße bis auf den Ebertplatz zieht, von Muntendorf dirigiert, Pappschilder hochhaltend, die entweder das eigene Konterfei oder eine weiße Fläche zeigen.

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Tänzer beim City Dance in Köln.

Der bunte Zug besteht aus Rollstuhl- und Fahrradfahrern, aus Rentnern und Kindern, aus Flüchtlingsgruppen und Kulturschaffenden, aus Erlebnishungrigen und zufälligen Passanten. Er braucht keine Parolen, ist sich selbst Agenda genug, lässt sogar den scheußlichen Ebertplatz freundlich wirken.

Nach Picknick und Tanzwettbewerb zieht die weiter anwachsende Masse den Eigelstein entlang, elektronische Tanzmusik bollert vom anführenden Lastwagen, im Schaufenster über einer Spielothek wirbelt eine Tänzerin durch herunter schneiende Papierschnipsel, der City Dance wird zur Love Parade.

Niemand schämt sich beim gemeinsamen Tanz

Über den Breslauer Platz - der Polizeifrauenchor singt „Dancing Queen“ - geht es endlich zum Bahnhofsvorplatz, die Treppe vorm Dom ist bereits mit Neugierigen gefüllt, alle Musiker haben sich dort versammelt, Posaunen, Geigen, Samba-Trommeln und Alphörner, Tänzer knüpfen bunte Bänder, laden endlich alle Anwesenden zum gemeinsamen Tanz.

Und niemand schämt sich seiner Hippie-Anwandlungen, es sollen hier ja keine neuen ästhetischen Maßstäbe gesetzt werden, man will den Platz zwischen Bahnhof und Dom nach den schrecklichen Ereignissen der Silvesternacht zurückerobern, die tief geschlagene Wunde heilen. Oder wenigstens zeigen, dass die Stadt nicht in Schockstarre verharren muss, dass man sich in Köln gemeinsam frei bewegen kann.

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