Brutaler ÜberfallPolizei kündigt Einsatzkonzept für den Kölner Neumarkt an

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Der Neumarkt ist einer der Hotspots der Kölner Drogenszene.

Der Neumarkt ist einer der Hotspots der Kölner Drogenszene.

  • Ein Überfall am hellichten Tag am Kölner Neumarkt hat am Samstag zahlreiche Kölner geschockt.
  • Eine Gruppe offenkundig Drogenabhängiger hatte auf einen 56-Jährigen eingeprügelt und ihn schwer verletzt.
  • Die Drogenszene am Neumarkt alles andere als neu - die Polizei will nun ein Konzept erarbeiten.

Innenstadt – Zwei Tage, nachdem eine Gruppe Drogenabhängiger auf dem Neumarkt einen 56-jährigen Mann und dessen Sohn brutal attackiert und beraubt hat, stehen nur wenige Junkies am Abgang zur U-Bahn, trinken Bier, reden.

Die Drogenszene hat sich offenbar an andere Orte verlagert – zumindest vorübergehend. „Die Leute haben Panik, dass hier jetzt mehr kontrolliert wird“, sagt Hans. Seit 30 Jahren kommt der 47-Jährige täglich zum Neumarkt, trifft sich mit Bekannten. Der Überfall ist das Gesprächsthema an diesem Montag.

„Das waren Fremde, keine Kölner“, ist sich Hans sicher. „Wenn die sich hier noch mal blicken lassen, kriegen sie was auf die Mütze. Das geht gar nicht, einfach so Passanten zu überfallen.“

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Rund 30 bis 50 Personen umfasst die Szene rund um den Neumarkt nach Einschätzung des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM). Der zentrale Platz ist – neben Hauptbahnhof, Kalk und dem Wiener Platz in Mülheim– traditionell einer der Hotspots der Kölner Szene.

Einer, der sich hier auskennt, ist Andreas Hecht vom SKM. Der Leiter der Suchthilfe am Hauptbahnhof kennt die Stellen, wo sich die Junkies den Schuss setzen. Hecht zeigt auf ein unscheinbares Stückchen Grün neben einem Möbelgeschäft an der Ecke Mauritiussteinweg/ Neumarkt. Unter verwitterten Holzbohlen liegen Spritzenverpackungen, ein Pfännchen zum Aufkochen des Heroins, ein blutiges Taschentuch, Schnapsflaschen.

„Hier finden wir seit zwei, drei Wochen immer wieder Spritzen, Blister von Schlaftabletten und Müll“, sagt Hecht. Zuvor hätten sich die Abhängigen oft auf der Wiese rund um die Mauritiuskirche getroffen. Doch seit die Stadt die hohen Büsche gerodet habe und die Fläche regelmäßig von den „Kölner Fegern“, einem Beschäftigungsprojekt für Drogenabhängige, gereinigt werde, bleiben sie weg.

„Das ist immer das gleiche Spiel“, sagt Hecht. „Die Abhängigen suchen sich einen Rückzugsort für ihren Konsum, dann gibt es verstärkte Kontrollen und die Leute ziehen weiter.“ Umso wichtiger wäre ein Drogenhilfeangebot direkt am Neumarkt. Dieses müsste nach Ansicht des SKM nicht nur einen Konsumraum und Aufenthaltsmöglichkeiten umfassen, sondern auch Betreuung und Ausstiegshilfen. „50 Prozent unserer Arbeit bei der Suchthilfe am Hauptbahnhof besteht darin, Perspektiven für Veränderungen aufzuzeigen“, sagt Hecht.

Viele Opiat-Abhängige in Köln seien substituiert, würden also Drogenersatzstoffe wie etwa Methadon nehmen. „Denen müssen wir eine Tagesstruktur anbieten, eine sinnvolle Beschäftigung, um den Ausstieg aus dem Milieu zu schaffen.“ Die „Kölner Feger“ seien dafür ein gutes Beispiel.

Händler am Neumarkt sind verängstigt

Der Kiosk ist oft umlagert von Drogenabhängigen.

Der Kiosk ist oft umlagert von Drogenabhängigen.

Viele Einzelhändler scheuen sich, offen über die Situation zu sprechen. „Ich habe leider erfahren, dass es lebensgefährlich für meine Mitarbeiter und mich ist, wenn wir öffentlich Stellung beziehen“, sagt einer. „Mein Geschäft wäre am nächsten Tag demoliert.“

Er, seine Familie und seine Mitarbeiter seien schon öfters von Mitgliedern der Szene bedroht worden. „Unsere Kunden werden täglich angebettelt und angepöbelt.“ Die Situation werde immer schlimmer, die Drogenszene aggressiver. „Wer Zivilcourage zeigt und eingreift, wenn etwa ein Junkie seine Frau verprügelt, wird angegriffen.“ Er sagt aber auch: „Die Junkies sind nicht ein Übel, das mal eben entfernt werden kann – die meisten sind arme, kranke Menschen, die vor unseren Augen verelenden und Hilfe brauchen.“

Er hofft auf den geplanten Konsumraum. „Trotzdem bräuchte es mehr Streetworker, Polizeipräsenz und eventuell eine Videoüberwachung des Platzes.“

Die Polizei kündigte an, noch in dieser Woche ein neues Einsatzkonzept vorbereiten. „Dieser Platz fordert Polizei, Stadt und Träger sozialer Einrichtungen rund um die Uhr.“ Der Überfall mache deutlich, dass alle, die für die Sicherheit auf dem Neumarkt verantwortlich sind, sich konzeptionell besser aufstellen müssten.

Sozialpolitiker Michael Paetzold über fehlende Unterstützung für Abhängige

Suchtexperte Andreas Hecht kennt die Szene am Neumarkt.

Suchtexperte Andreas Hecht kennt die Szene am Neumarkt.

„Wir brauchen ein umfassendes Drogenhilfsangebot“

Herr Paetzold, am Wochenende ist ein 56-Jähriger am Neumarkt von Drogenabhängigen massiv attackiert und beraubt worden. Was muss passieren, um die Situation zu befrieden?

Den Angreifern ging es ja offensichtlich um das Geld des Opfers. Solche Attacken werden wir nicht dadurch verhindern, dass wir einen reinen Drogenkonsumraum einrichten. Wir brauchen stattdessen ein umfassendes Drogenhilfeangebot, das auch medizinische Hilfe, intensive sozialarbeiterische Betreuung und Ausstiegshilfen mit einschließt.

Das in der vergangenen Woche von der Stadt vorgelegte Konzept für einen Drogenkonsumraum am Neumarkt ist im Sozialausschuss heftig kritisiert worden. Was konkret bemängeln Sie?

Die Verwaltung hat ihr Konzept nicht mit den seit langem in Köln aktiven Trägern der Sucht- und Drogenhilfe abgesprochen. Dass die Stadt sich damit leichtfertig des vorhandenen Sachverstands beraubt, wundert mich sehr.

Außerdem bleibt das Konzept sehr vage und sagt nichts über die notwendige Personalausstattung. Gleichzeitig werden die Kosten auf 800.000 Euro pro Jahr geschätzt. Da bleibt die Frage, ob das denn reicht.

Zudem beschränkt sich der Verwaltungsvorschlag auf den Neumarkt, wo die Szene aufgrund des hohen Publikumsaufkommens, nicht zuletzt von Touristen, besonders auffällt. Aus Umfragen wissen wir aber, dass der Bedarf in Kalk und Mülheim mindestens genau so hoch ist. Diese Menschen brauchen gleichberechtigt Hilfe.

Was sind Ihre Befürchtungen?

Meine Sorge ist, dass wir am Neumarkt einen Drogenkonsumraum light bekommen; dass also aus Kostengründen die Standards, die wir in Köln in der Drogenhilfe erreicht haben, unterschritten werden. Ein Angebot am Neumarkt sollte sich mindestens an den Standards orientieren, die der Sozialdienst Katholischer Männer am Hauptbahnhof befolgt.

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