„Lynchmob“-Angeklagter beging SuizidAnwalt sieht Wende durch Abschiedsbrief aus der JVA Köln

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Die Verteidiger Pantea Farahzadi und Ingmar Rosentreter beim Prozessauftakt mit den Angeklagten. Der 57-Jährige (r.) hat sich das Leben genommen.

Die Verteidiger Pantea Farahzadi und Ingmar Rosentreter beim Prozessauftakt mit den Angeklagten. Der 57-Jährige (r.) hat sich das Leben genommen.

Nach dem Selbstmord eines Mordverdächtigen spielte dessen Abschiedsbrief nun eine wichtige Rolle im Kölner Landgericht. 

Kurz vor einem ersten Urteil im Prozess um den sogenannten „Lynchmob“ von Höhenberg hatte sich einer der Angeklagten das Leben genommen. Bei einem Parallelprozess wurde am Montag im Kölner Landgericht ein Abschiedsbrief des Verstorbenen verlesen, den die Staatsanwaltschaft sichergestellt hatte. Der verstorbene JVA-Insasse beteuerte darin seine Unschuld und bat um Gerechtigkeit für seinen ebenfalls beschuldigten Sohn. Dem droht weiterhin lebenslange Haft wegen Mordes.

Köln: Existenz von Abschiedsbrief auf Nachfrage offenbart

Dass ein Abschiedsbrief existiert, offenbarte der Staatsanwalt nur auf die konkrete Nachfrage von Verteidiger Günther J. Teworte. Auch die Vorsitzende Richterin Sabine Kretzschmar wusste nicht von dem Dokument. Er kenne den Inhalt des Briefes nicht, dieser müsse noch übersetzt werden, so der Ankläger. Pragmatisch forderte die Richterin eine Kopie des Abschiedsbriefs ein – damit die im Saal anwesende eine Dolmetscherin für die serbische Sprache diesen direkt übersetzen könne.

„Weint nicht um mich“, heißt es sinngemäß in dem im Gefängnis entstandenen Brief, der sich offenbar an Angehörige richtet, „ihr wisst, dass ich sehr krank bin“. Er sei unschuldig, aber „die Wahrheit“ sei ihm nicht geglaubt worden. Der im Alter von 57 Jahren Verstorbene schrieb, nur zufällig in die Situation geraten zu sein und von einem Mordplan nichts gewusst zu haben. Das gelte auch für seinen Sohn. Drei Personen benannte der Mann als eigentliche Drahtzieher in dem Fall.

Anwalt sieht entlastenden Aspekt in Abschiedsbrief

Verteidiger Abdou Gabbar, der einen dritten Beschuldigten vertritt, sieht in dem Abschiedsbrief den Beweis dafür, dass eben nicht alle etwa 30 Angehörige eines Familienclans, die sich am Tatort befunden hatten, in den mutmaßlichen Mordplan eingeweiht gewesen seien. Nur ein enger Kreis von fünf bis acht Männern hätte auf das Opfer eingewirkt. Dieser Kreis sei von Staatsanwalt und Gericht weiter gezogen worden, sodass alle Männer gleicherweise des Mordes schuldig seien.

Ein Überwachungsvideo zeigt, wie die Männer sich teils stundenlang in Höhenberg im Bereich Bamberger Straße aufhalten. Mehrere Täter stürmten dann auf einen Autofahrer zu, zogen diesen aus dem Wagen und verletzten ihn letztlich tödlich. Ausgangspunkt war laut Anklage eine Fehde zweier Familien-Clans. Der Bruder des späteren Opfers soll in der Nacht zuvor über Facebook die andere Familie beleidigt haben. Das Familienoberhaupt der Gegenseite habe Rache geschworen.

Die Theorie der Anklage, dass es den Mordauftrag eben nur eines Familienoberhauptes gegeben habe, sei durch den Abschiedsbrief widerlegt. Dort würden konkrete Namen genannt – eine dieser Personen habe seinen Mandanten sogar bedroht. „Nur durch Zufall“, so Gabbar, habe man von dem aufschlussreichen Abschiedsbrief erfahren, dabei wäre es womöglich die Pflicht des Staatsanwalts gewesen, dies von sich aus preiszugeben. Gabbar nannte das „ein Unding, eine absolute Frechheit“.

Köln: Verteidiger beantragt Freispruch im „Lynchmord“-Prozess

Ein Mordkomplott könne man laut Gabbar nur sehen, wenn man unbedingt verurteilen wolle. Niemand wisse, was die Männer untereinander besprochen hätten. Es mache ihm Angst, dass jemand – wie vom Staatsanwalt gefordert – zu lebenslanger Haft verurteilt werden könne, nur weil er bei einem Tötungsdelikt anwesend gewesen sei. Der Anwalt beantragte Freispruch. Der verstorbene Mitangeklagte hatte geschrieben: „Ich bin beschuldigt für den Mord eines anderen.“

Verteidiger Gabbar kritisierte auch den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Dann sitzen verurteilte Mörder erfahrungsgemäß noch mehrere Jahre länger in Haft. Am Dienstag will das Kölner Schwurgericht ein erstes Urteil im „Lynchmob“-Komplex sprechen. Eine weitere Entscheidung ist für Mittwoch angekündigt, parallel läuft noch ein weiteres Verfahren. Viele weitere Tatverdächtige befinden sich immer noch auf der Flucht.


Beratung und Seelsorge in schwierigen Situationen

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