Prostitution verbieten? Ein KommentarNein! Das drängt Frauen in die Illegalität

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Prostitutions-Kritiker sagen, Deutschland sei eins der größten Bordelle Europas.

  • Für unsere Serie „Köln im Rotlicht“ sind unsere Reporter in die Rotlicht-Szene eingetaucht, haben mit Prostituierten, Freiern, Zuhältern und Bordellchefs gesprochen.
  • Ihre Recherchen zeigen, dass viele Frauen nicht freiwillig als Prostituierte arbeiten. Sollte man Prostitution also verbieten?
  • Nein, sagt Josefine Paul, Grünen-Abgeordnete im NRW-Landtag. Ein Verbot würde Sexarbeiterinnen vor allem schaden.
  • Lesen Sie hier die beiden Streitschriften.

Prostitution ist noch immer gesellschaftlich tabuisiert und von Mythen geprägt. Eine schnelle Antwort auf unübersehbare Missstände – Menschenhandel, Ausbeutung und Gewalt – gibt es nicht. Der Weg über Beratung, Prävention und Empowerment mag mühsam klingen, kann aber die Situation von Sexarbeiter*innen tatsächlich verbessern. Ein Prostitutionsverbot kann das nicht. Es würde nicht illegale und verbrecherische Strukturen aufbrechen, sondern Prostitution und Sexarbeiter*innen zurück in die Illegalität drängen. Außerdem verlören diese Sozial- und Krankenversicherung. -> Hier: Alle 20 Folgen der Serie „Köln im Rotlicht“ im Überblick!

Sexarbeiter*innen wurden bis ins 21. Jahrhundert in einen rechtsfreien Raum gedrängt. Erst das 2002 von Rot-Grün beschlossene Prostitutionsgesetz verbesserte ihre rechtliche Stellung. Die „Sittenwidrigkeit“ wurde aufgehoben und Sexarbeiter*innen erlangten einen einklagbaren Anspruch auf das vereinbarte Honorar sowie Zugang zu Sozial- und Krankenversicherung. Gleichzeitig sollte das Gesetz kriminelle Begleiterscheinungen eindämmen. Es war ein politischer und juristischer Paradigmenwechsel: Aus dem Grundsatz „Schutz vor der Prostitution“ wurde „Schutz in der Prostitution“. Doch nach wie vor gibt es Grauzonen. Noch immer werden vor allem Frauen und Mädchen Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Neben der konsequenten Verfolgung von Menschenhändlern und dem Zerschlagen krimineller Strukturen muss insbesondere der Opferschutz im Mittelpunkt stehen. Dafür sind die acht spezialisierten Beratungs- und Unterstützungsstellen unverzichtbar.

Lesen Sie hier alle bereits erschienenen Folgen von „Köln im Rotlicht – Das Geschäft mit der Prostitution“ ->

Es gibt nicht einfach „die“ Prostitution, „die“ Sexarbeiterin oder „den“ Sexarbeiter. Vielmehr gibt es verschiedene Erscheinungsformen der Sexarbeit. Hinzu kommt, dass viel über Sexarbeiter*innen diskutiert wird – meist als Opfer –, aber ihre eigenen Erfahrungen zu selten einbezogen werden. Um Wissenslücken zu schließen und Sexarbeiter*innen einzubeziehen, wurde im Jahr 2010 in NRW der „Runde Tisch Prostitution“ ins Leben gerufen. Dieser breit angelegte Diskussionsprozess schuf eine Wissensbasis über die Situation in NRW, auf der die Situation von Sexarbeiter*innen verbessert werden kann.

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Josefine Paul

Denn Gesetze müssen Menschen in der Prostitution schützen, ihre Arbeitsbedingungen verbessern und für diejenigen Perspektiven jenseits der Prostitution schaffen, die diese wünschen. Leider tut das 2017 in Kraft getretene Prostitutiertenschutzgesetz der Großen Koalition genau das in der Praxis nicht. Es enthält die Pflicht sich anzumelden und die Bescheinigung als „Hurenpass“ mitzuführen, eine verpflichtende Gesundheitsberatung sowie eine Kondompflicht. Was erstmal gut klingt, trägt in der Praxis zu Stigmatisierung und Verunsicherung der Sexarbeiter*innen bei.

Auch ein Verbot von sexuellen Dienstleistungen, das Menschen stigmatisiert, in die Illegalität drängt und somit größeren Gefahren aussetzt, würde Sexarbeiter*innen nicht schützen. Gewalt und Ausbeutung würden noch schwerer zu verfolgen, Beratungsarbeit würde erschwert. In Schweden etwa werden Förderung und Akzeptanz von Beratungsangeboten in Frage gestellt. Wenn es offiziell keine Prostitution mehr geben darf, wozu dann noch Beratungsstellen? Zudem würde den Beratenden der Zugang zu den in die Illegalität gedrängten Menschen erschwert.

Statt eines schnellen Verbots, brauchen wir einen langen Atem: Wir müssen die rechtliche Situation von Sexarbeiter*innen verbessern, Präventions- und Beratungsangebote ausbauen und Menschenhandel mit aller Härte des Rechtsstaats verfolgen.

Von Josefine Paul

Lesen Sie hier: Warum Prostitution verboten werden muss

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Der Straßenstrich am Kölner Eifeltor – wo die Frauen in ständiger Angst vor gewalttätigen Freiern und ihren Zuhälter arbeiten müssen.

Nehmen wir an, Sie wären ein Zuhälter in, sagen wir: Rumänien. Also jemand, der junge Frauen für sich anschaffen lassen will: sei es unter Vortäuschung von Liebe, sei es mit falschen Versprechungen und, früher oder später, mit Gewalt. Welches Land suchen Sie sich für Ihr Geschäft aus? Entscheiden Sie sich für Deutschland, wo es Rotlichtmeilen und eine gewaltige Zahl von Bordellen aller Art gibt, in denen Sie Ihre „Mädchen“ unterbringen können? Wo diese Bordelle auf Plakatwänden oder Taxis werben dürfen? Wo Rockstars oder Fußballer ganz öffentlich ins Bordell gehen und dort in VIP-Lounges bevorzugt bedient werden, wo Hotels ihren Gästen Prostituierte aufs Zimmer bestellen, wo Junggesellenabschiede und Abifeiern im Puff stattfinden?

Wo es also einen gigantischen Markt für Ihre Ware gibt, weil die Nachfrage so riesig ist? Und wo die Polizei Sie in Ruhe lässt, weil Prostitution hierzulande ein ganz normales Gewerbe und Zuhälterei praktisch nicht nachweisbar ist?

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Chantal Louis

Oder entscheiden Sie sich für Schweden, wo es kein einziges Bordell gibt und selbst in Stockholm gerade mal ein rundes Dutzend Prostituierte auf der Straße stehen? Wo Sie für Ihr Geschäft keine Anzeige schalten dürfen; wo Hotels den Verdacht auf Prostitution melden? Wo ein Mann, der für den Kauf einer Frau zur sexuellen Benutzung zahlt, erstens eine Strafe berappen muss und zweitens als Loser gilt? Wo der Markt also winzig ist und Sie zudem ständig mit einem Bein im Knast stehen, weil die Polizei alle, die mit diesem Geschäft zu tun haben, knallhart verfolgt? Alle – bis auf Ihre „Mädchen“. Denn die sind in Schweden völlig entkriminalisiert und haben nichts zu befürchten.

Vermutlich ist Ihre Entscheidung klar: Schweden kommt nicht in Frage. Zu wenig Profit, zu viele Probleme. Weil das so ist, ist laut Interpol der schwedische Markt für Menschenhandel heute „quasi tot“. Das Europäische Parlament hatte schon 2014 erklärt, das Schwedische Modell sei „der effizienteste Weg zur Bekämpfung des Frauenhandels“. Norwegen, Island, Frankreich, Irland und zuletzt Israel haben sich diesem Weg angeschlossen.

Und Deutschland? Wir bieten hierzulande all jenen, die an dem Geschäft mit der Ware Frau verdienen wollen, die optimale Infrastruktur. 80 bis 90 Prozent der Frauen in deutschen Bordellen oder auf dem Straßenstrich kommen aus Ungarn, Rumänien oder Bulgarien, sprich: den ärmsten Ländern Europas. Schlepper rekrutieren sie, viele gerade einmal 18 Jahre jung, nicht selten mit Einverständnis ihrer notleidenden Familien, bevorzugt in den Slums der Sinti und Roma. Der deutsche „liberale“ Ansatz sorgt – auch nach der Reform von 2017 – dafür, dass sie hier einen großen Markt vorfinden, auf dem sie diese Mädchen und Frauen unterbringen können.

Ein oft gehörtes – und von der Pro-Prostitutionslobby gezielt verbreitetes –Argument gegen das Schwedische Modell ist: „Wenn man Prostitution verbietet, rutscht sie in die Illegalität und dann geht es den Frauen erst recht schlecht.“

Erstens: In Schweden und all den anderen Ländern machen sich nicht die Prostituierten strafbar, sondern die Sexkäufer, also diejenigen, die den Markt überhaupt erst schaffen.

Zweitens: Wer mit schwedischen Polizisten spricht, erfährt, dass es für sie kein Problem ist, die Prostituierten bzw. ihre Kunden und Zuhälter zu finden. Sie durchforsten das Internet, machen Fake-Anrufe. Einfache Maxime: „Wenn die Freier die Frauen finden, finden wir sie auch.“

Drittens: Was in deutschen Bordellen stattfindet, vom Straßenstrich ganz zu schweigen, ist ja keineswegs automatisch legal. Denn die nicht nur die großen „Wellness“-Bordelle („100 Girls von 11 bis 5 Uhr“) müssen ihr Werbeversprechen vom Rund-um-die-Uhr-Frauenangebot einhalten und entsprechend mit Ware bestückt werden. Im Februar 2019 wurde der Bordellbetreiber Jürgen Rudloff zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Stuttgarter Landgericht konnte beweisen, dass Rudloff sein Stuttgarter „Paradise“ von Zuhältern hatte beliefern lassen, die „ihre“ Frauen schwer misshandelt hatten. Zur Erinnerung: „Bordellunternehmer“ Rudloff war lange Zeit gern gesehener Talkshow-Gast und durfte vor Millionenpublikum sein Märchen von der sauberen Prostitution verbreiten. Richter Reiner Gless sprach klare Worte: „Ein sauberes Bordell in der Größe ist kaum vorstellbar.“

Wie mag das im Kölner „Pascha“ laufen? „Eine Frau kommt auf die Welt, um dem Mann zu dienen und zu gehorchen“, hatte Pascha-Betreiber Hermann Müller zum 20. Jubiläum seiner Sexfabrik frank und frei erklärt.

In Schweden hat man von der Rolle der Frau eine etwas andere Auffassung. Dort gilt Prostitution schlicht als „Verstoß gegen die Menschenwürde“.

Von Chantal Louis

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