Roni Horn im Museum LudwigWas wäre, wenn nichts mit sich selbst identisch wäre?

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Zwei ausgestopfte weiße Eulen sind nebeneinander abgebildet.

Roni Horn liebt Bilderpärchen, bei denen man nicht weiß, ob sie das Gleiche oder verschiedene Sachen zeigen: „Dead Owl“ aus dem Jahr 1997.

Roni Horn ist eine Pionierin der queeren Kunst. Das Kölner Museum Ludwig feiert die New Yorkerin mit einer großen Werkschau.

Vielleicht ist es ein bissig billig, eine Ausstellung mit 96 Fotografien eines Mädchens zu beginnen, das auf den 96 Aufnahmen in allen bekannten Niedlichkeitsgraden schmollt, grinst, das Gesicht verzieht oder in die Kamera glotzt. Andererseits gilt die US-amerikanische Konzeptkunst immer noch als mittelschwere Museumskost. Da kann es sicherlich nicht schaden, die bittere Pille einer Roni Horn gewidmeten Werkschau mit Fratzen und Schnuten zu versüßen.

Es hilft auch nichts, man muss durch dieses Spalier hindurch, das Horn für das Kölner Museum Ludwig auf zwei einander gegenüberliegenden Wänden eingerichtet hat. Die Arbeit heißt „This is Me, This is You“ und zeigt Georgia Loy Horn, die von ihrer Tante im Laufe dreier Jahre immer wieder im klassischen Porträtformat fotografiert wurde. Die Memory-Spiel-Pointe der Arbeit liegt darin, dass Roni Horn den Auslöser im Abstand weniger Sekunden immer zweimal betätigte und die Bilderpaare für die Wandinstallation auseinanderriss. Während man nun versucht, die Zwillingsaufnahmen einander zuzuordnen, ist man schon in die Denkfalle getappt: Ist das wirklich dieselbe Person, die uns in immer neuen Mienen, Gemütszuständen und Gesichtern entgegenblickt?

Mein Geschlecht geht niemanden etwas an
Roni Horn

Identität oder die Unmöglichkeit derselben ist das Thema, mit dem Roni Horn in den 2000er Jahren in der internationalen Kunstwelt bekannt geworden ist. Einige Jahre nach „This is Me“ hat sie die Ich-Dekonstruktion auch am eigenen Beispiel vorgeführt: Für ihre Serie „a.k.a“ (die Abkürzung für „also known as“, auf Deutsch: „auch bekannt als“) ordnete sie aus Familienalben genommene Porträts zu 30 Bilderpaaren, auf denen sich scheinbar verschiedene Personen gegenüber stehen. Lebensalter, Geschlechter und Moden wechseln einander ab, aber in Wahrheit sehen wir auf allen Aufnahmen immer nur Roni Horn. Ein „a.k.a“-Doppelporträt in Schwarz-weiß ist geradezu zur Ikone geworden, weil die Grenze zwischen männlich und weiblich auf ihm bis zur Unkenntlichkeit verwischt.

Heute nennt man das non-binär, weshalb die 1955 in New York geborene Horn als Pionierin der queeren Kunst gehandelt wird. Allerdings gehört sie noch zu einer Generation, in der Identitätsfragen zwar bereits politisch, aber vor allem Privatsache waren. Daran hat sich offenbar nichts geändert. „Mein Geschlecht geht niemanden etwas an“, hat Horn einmal gesagt, und das Museum Ludwig druckt diesen Satz nun auf vegane und fair gehandelte Baumwolltaschen.

Ein junges Mädchen kaut Gummi mit offenem Mund.

Aus Roni Horns Serie „This is Me, This is You“ (1997-2000). Aktuell ist sie im Kölner Museum Ludwig zu sehen.

Schon als Kind habe sie erkannt, so Horn, „dass die gesellschaftlichen Konventionen weitgehend auf der Festlegung des Geschlechts beruhen“, und daraus den Schluss gezogen, diese Festlegungen auf männlich und weiblich nicht zu akzeptieren. Die kleine Roni muss ziemlich altklug gewesen sein, aber davon abgesehen bildet ihre Diagnose heute den Konsens vieler postfeministischer Geschlechterdebatten ab: Nicht nur Frauen leiden unter dem Patriarchat; auch Männer leiden darunter, in eine selbstzerstörerische Männerwelt hinein geboren zu sein.

Roni Horns Lösung für dieses offenbar unauflösbare Problem ist ein fortgesetztes Gedankenexperiment: Was wäre, wenn nichts mit sich selbst identisch wäre? Der Fluss nicht, den sie in einer fantastischen Fotoserie über die Themse auf jedem Bild anders aussehen lässt; Isabelle Huppert nicht, die sich für Horns Kamera in alte Rollen hinein versetzte; oder das Gussglas nicht, das in ihren runden Wasserbassin-Skulpturen zugleich fest und flüssig zu sein scheint.

Roni Horn muss ein verdammt altkluges Kind gewesen

Am schnellsten erschließt sich dieses Prinzip bei den zahlreichen Bilderpaaren, die sich durch die Kölner Werkschau ziehen. Diese Gegenüberstellungen des ungleichen Gleichen beginnen bereits mit den frühen Zeichnungen, die laut Ludwig-Direktor Yilmaz Dziewior in Köln erstmals zu sehen sind. Auf diesen abstrakten Arbeiten arbeitete Horn mit reinen Farbpigmenten, was den abgebildeten Formen eine ursprüngliche, allen gesellschaftlichen Konventionen vorausgehende Note gibt. Auf einer Gruppe riesiger Papierarbeiten zerschnitt Horn dagegen abstrakte Zeichnungen in tausend Stücke, um sie, gegeneinander versetzt, neu zu collagieren. An diesen Puzzlearbeiten sitzt Horn manchmal bis zu einem Jahr – sie sind das Nicht-mehr-mit-sich-selbst-Identische im monumentalen Format.

Wem das zu intellektuell ist, der wird weiter hinten in der Ausstellung bedient. Die Fotoserie „Bird“ versammelt Hinterkopfaufnahmen ausgestopfter Wildvögel, die in ihrer abstrakten Farbenpracht entzücken, aber vor allem die verwirrende „This is Me“-Pärchenbildung ins Tierreich ausdehnen. In „Hack Wit“ zerstückelt Horn hingegen beliebte Spruchweisheiten, um sie zu absurden Haikus wieder zusammenzusetzen: „Life is candy like a baby taking cherries from a bowl.“ 

Für eine Konzeptkünstlerin ist Roni Horn leicht zu verstehen; die meisten Werke sprechen auch ohne Studium kuratorischer Beipackzettel für sich. Zudem verfügt Horn über ästhetisches Feingefühl, was sich nicht von allen Konzeptkünstlern sagen lässt. Wenn sie will, kann sie etwa eine versierte Fotografin sein; das fließende Wasser der Themse-Serie wirkt mitunter wie versteinert. Die Illusion der „flüssigen“ Glasskulpturen ist wiederum so täuschend echt, dass man sich zurückhalten muss, um nicht testweise gegen eines der randvollen Bassins zu treten.

Wie Fremdkörper wirken die wenigen frühen, der Minimal Art zuzurechnenden Arbeiten: ein sich verjüngender Gummikeil auf dem Fußboden und eine hauchdünne Blattgoldmatte, die in einem der hinteren Säle liegt. Sie zeigen aber, woher Horns hohes Materialbewusstsein kommt. Etwas rätselhaft wirkt auch der Kölner Ausstellungstitel „Give Me Paradox or Give Me Death“. Hier hat Roni Horn die „Freiheit“ aus einer berühmten Rede des Politikers Patrick Henry gegen das „Paradox“ getauscht. Vielleicht liegt darin ja die größte Freiheit: zu akzeptieren, dass man ist, was man nicht ist.


„Roni Horn. Give Me Paradox or Give Me Death“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-Fr. 10-18 Uhr, 23. März bis 11. August 2024. Eröffnung: Freitag, 22. März 2024, 19 Uhr. Der Katalog kostet 38 Euro.

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