„Cavaliere“ oder „Caimano“Silvio Berlusconi regierte Italien wie einen Selbstbedienungsladen – ein Nachruf

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Der frühere Ministerpräsident Italiens Silvio Berlusconi ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

Der frühere Ministerpräsident Italiens Silvio Berlusconi ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

Der mehrfache ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat die Politik und die Gesellschaft Italiens geprägt und verändert wie kein anderer Politiker der Nachkriegszeit. Jetzt ist er – für Fans „Cavaliere“, für Kritiker der „Caimano“ – im Alter von 86 Jahren gestorben.

Der mehrfache italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist am Montag im Alter von 86 Jahren gestorben. Rund drei Wochen nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus San Raffaele, wurde er vergangenen Freitag für medizinische Untersuchungen erneut eingeliefert. Er litt seit längerem unter einer Leukämie. Nach der Todesnachricht sendeten die italienischen TV-Stationen Nachrufe und Würdigungen in einer Endlos-Schleife – das Land schien stillzustehen.

Zwar war es in den letzten Jahren etwas ruhiger geworden um Berlusconi: In der Regierung von Giorgia Meloni, die er als Premier einst zu seiner jüngsten Ministerin gemacht hatte, spielte er nur die zweite Geige. Aber es hatte eine Zeit gegeben, in der sich in Italien alles um ihn drehte: die Politik, die Wirtschaft, der Fußball, die Medien, der Klatsch.

Der ehemalige Staubsaugerverkäufer und Entertainer, der es zum Multimilliardär und Regierungschef gebracht hatte, hatte des Land polarisiert wie kein anderer vor ihm in der Nachkriegszeit. Sachlich über Berlusconi zu reden oder zu schreiben, war im Belpaese beinahe unmöglich geworden: Seine Gegner verachteten und hassten ihn, seine Anhänger bewunderten und liebten ihn. Der Cavaliere war für die Italienerinnen und Italiener zur Obsession geworden.

Vom Staubsaugerverkäufer zum Multimillionär und Regierungschef

Auch Berlusconi war besessen: von sich selber. Der Sohn eines Bankangestellten musste überall der Beste sein: Als Unternehmer wurde er vorübergehend der reichste Mann Italiens, als Präsident der AC Milan hat er die meisten Champions-League-Pokale (fünf) gewonnen. Er wollte immer und von allen geliebt werden, besonders von den Frauen, gegebenenfalls auch gegen Bezahlung.

Auch in der Politik stellte er Rekorde auf: Als erster und bisher einziger Regierungschef seit Mussolini brachte er im notorisch instabilen Italien das Kunststück fertig, eine ganze Legislatur (2001 bis 2006) durchzuregieren. Insgesamt war Berlusconi während 3336 Tagen Premier – auch das eine Bestmarke. Seiner eigenen Selbsteinschätzung nach war er der „beste Ministerpräsident der letzten 150 Jahre“.

Die vielen Gesichter des Silvio Berlusconi: Der frühere Ministerpräsident Italiens ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

Die vielen Gesichter des Silvio Berlusconi: Der frühere Ministerpräsident Italiens ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

Berlusconi, der zuerst als Baulöwe und dann als Privat-TV-Pionier zu Reichtum gekommen war, wurde im Frühling 1994 zum ersten Mal an die Spitze der italienischen Regierung gewählt. Mit der von ihm gegründeten und bis zuletzt absolutistisch geführten Partei Forza Italia füllte er das politische Vakuum, das nach dem „Tangentopoli“-Korruptionsskandal mit dem Sturz der Craxi-Sozialisten und der Democrazia Cristiana (DC) entstanden war. Schon damals befand sich Berlusconi im Visier der Staatsanwälte. „Wäre Silvio nicht in die Politik gegangen, dann hätten wir entweder im Knast oder unter einer Brücke geendet“, gestand der langjährige Berlusconi-Vertraute Fedele Confalonieri einmal offenherzig.

Ein Skandal jagte den nächsten – und doch wählten die Italiener ihn immer wieder

Insgesamt war Silvio Berlusconi in gut zwei Dutzend Prozessen angeklagt gewesen; ein Skandal jagte den anderen. Ein Mafia-Killer war während einiger Zeit in seiner Villa in Arcore als Stallmeister angestellt gewesen. Und doch haben ihn die Italiener immer wieder gewählt, insgesamt drei Mal: 1994, 2001 und 2008. Berlusconis Erfolgsrezept fasste der Publizist Beppe Severgnini einmal so zusammen: „Er ist eine Art Synthese aller Gewohnheiten, Laster und Tugenden der Italiener.

Er hat eine unglaubliche Fähigkeit, das soziale Geflecht der Italiener zu begreifen. Er vergibt uns unsere Sünden und hält keine Moralpredigten: Er macht uns zu seinen Komplizen.“ Der linke Musiker, Cantautore und Schauspieler Giorgio Gaber hatte es einmal so ausgedrückt: „Non temo Berlusconi in sé – temo Berlusconi in me“ („Ich fürchte nicht Berlusconi als solchen – ich fürchte den Berlusconi in mir“).

G20-Gipfel im April 2009: Silvio Berlusconi (m.) mit Barack Obama und Dmitry Medvedev.

G20-Gipfel im April 2009: Silvio Berlusconi (m.) mit Barack Obama und Dmitry Medvedev.

Wie ein politischer Staubsauger hat sich der im Grunde ziemlich unpolitische Berlusconi nach 1994 alles einverleibt, was zwischen der Mitte und der extremen Rechten des Spektrums eine neue politische Heimat suchte: Er recycelte in seiner Partei Forza Italia abgewirtschaftete Sozialisten und Christdemokraten, er machte die von Gianfranco Fini angeführten Postfaschisten salonfähig und holte die Manager seiner Werbefirma Publitalia und die Showsternchen seiner Privatsender in die Regierung.

Den Wählern versprach er, das Land wie eine Aktiengesellschaft zu führen, deren Aktionäre die Bürger sind. Ein griffiger Slogan – aber in Wahrheit hatte Berlusconi immer nur an die eigene Dividende gedacht: Er regierte Italien, als handelte es sich um einen Familienbetrieb und Selbstbedienungsladen.

Der Sturz und ein letzter geplatzter Traum

Am Ende war Italien praktisch pleite – und der damalige Staatspräsident Giorgio Napolitano sah sich im November 2011 gezwungen, den durch seine Sexskandale und Prozesse politisch gelähmten Premier abzusetzen. Später folgten die definitive Verurteilung wegen Steuerbetrugs, ein langjähriges Ämterverbot, die Verbannung aus dem Senat, der Entzug des Reisepasses und der Sozialdienst in einem Heim für Demenzkranke. Es hat lange gedauert, bis sich der Cavaliere politisch und moralisch von seinem Sturz und seinen Affären erholt hat. In den letzten Jahren hat Berlusconi aber, altersmilde geworden und mit der Ambition, Staatspräsident zu werden, eine neue Rolle für sich gefunden: Er gab sich, für seine Verhältnisse, staatsmännisch und respektvoll gegenüber den Institutionen.

Sein Traum vom Staatspräsidium ist Anfang 2022 definitiv geplatzt – und im Ausland ist Berlusconi spätestens nach dem Auffliegen der „Ruby-Affäre“ ohnehin nur noch als eine Art italienische Freak-Show wahrgenommen worden. Doch auf seine Weise war er eine Figur der Avantgarde: „Sua Emittenza“, wie er ironisch genannt wurde, hat Italien in eine „Mediokratie“ verwandelt, in welcher nicht mehr Parteien und Programme, sondern nur noch Personen, Geld und Berühmtheit zählen.

Er war mit seinen Privat-TV-Sendern zugleich Schöpfer und Geschöpf und dieser modernen Unterhaltungsdemokratie. Silvio Berlusconi, schrieb der US-Autor und Italien-Kenner Alexander Stille in seinem Buch „Citizen Berlusconi“, möge als bizarre, unverständliche und ausschliesslich in Italien vorstellbare Figur erscheinen. „Aber er hat zahlreiche politische Tendenzen unserer Tage vorweggenommen.“ Stille hat sein Buch im Jahr 2006 veröffentlicht – und das Beispiel von Donald Trump belegt, dass seine Analyse heute gültiger ist denn je.

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